Das Corona-Rätsel um Kinder und Schulen

  11 Januar 2021    Gelesen: 721
 Das Corona-Rätsel um Kinder und Schulen

Die Schulen in Deutschland bleiben geschlossen - in den meisten Bundesländern mindestens bis Ende Januar. Unklar bleibt jedoch, was diese Maßnahme wirklich bringt. Die Rolle von Kindern und Schulen in der Pandemie ist und bleibt umstritten. Doch was weiß man bisher darüber?

Kaum eine Frage ist während der Pandemie umstrittener: Sind Schulen ein wesentlicher Motor der Coronavirus-Pandemie? Diese Frage treibt Politiker und Forscher auch deshalb so um, weil Kinder und Jugendliche eine Sonderstellung zu haben scheinen, wenn es um eine Infektion mit Sars-CoV-2 geht: Sie scheinen mehrheitlich nur milde oder sogar gar keine Symptome zu entwickeln. Die Befürchtung: Werden Infektionen bei Kindern und Jugendlichen oft übersehen und tragen so - unter anderem an Schulen - zur ständigen Ausbreitung des Erregers und nicht sinken wollenden Fallzahlen bei?

Dabei stellt sich zum einen die Frage: Wie ansteckend sind Kinder eigentlich? Laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) ist dieser Punkt bisher nur selten untersucht worden - eine abschließende Bewertung sei daher schwierig. Die Bundesoberbehörde verweist auf eine Studie, laut der die Ansteckungsrate durch Kinder ähnlich hoch ist wie durch infizierte Erwachsene. Auch was die Viruslast angehe, gebe es bei Kindern keine wesentlichen Unterschiede zu Erwachsenen, schreibt das RKI. Dies zeigten verschiedene Untersuchungen - darunter auch eine des Berliner Virologen Christian Drosten, die im Frühjahr einen heftigen wissenschaftlichen und medialen Streit ausgelöst hatte.

Gleichzeitig scheinen Kinder weniger empfänglich für das Virus als Erwachsene. Dies hätten Studien gezeigt, in denen Kontaktpersonen von infektiösen Personen untersucht wurden, so das RKI. Kinder im Kindergartenalter waren demnach noch weniger empfänglich für eine Infektion mit Sars-CoV-2 als Kinder im Schulalter. Kinder ab etwa 12 bis 14 Jahren würden sich nicht mehr von Erwachsenen unterscheiden, sagen auch andere Experten.

Geringere Inzidenz bei kleinen Kindern

Was die 7-Tage-Inzidenz in Deutschland angeht, also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern innerhalb einer Woche, sind Kinder unter 15 Jahren in den vergangenen Wochen unterdurchschnittlich betroffen. Anders sieht es bei älteren Schulkindern aus. In den Altersgruppen von 15 bis 19 und 20 bis 25 Jahren liegt die Inzidenz laut den RKI-Zahlen zum Jahresende 2020 oft deutlich über dem Durchschnitt. Doch die deutschen Meldedaten haben zudem einen Nachteil: Sie geben keine Auskunft über die Höhe der Dunkelziffer. Kinder haben nach bisherigem Kenntnisstand jedoch in den meisten Fällen nur milde oder gar keine Symptome, wenn sie sich infizieren, so das RKI. Gut möglich, dass viele unter den Jüngeren unentdeckt das Virus verbreiten.

Eine noch laufende Monitoring-Studie aus Österreich nimmt sich der Frage der Dunkelziffer in Schulen an. Bei ihr werden Kinder bis 14 Jahren aber auch die Lehrkräfte untersucht, die in die Schule gehen und sich für gesund oder nicht infiziert halten. Vor einigen Tagen wurden aktuelle Ergebnisse der Studie veröffentlicht, die zeigen: Rund 1,5 Prozent der Untersuchten wurden zum Testzeitpunkt Mitte November positiv auf das Coronavirus getestet. Die Studienautoren betonen, dass der Wert eine "ähnliche Größenordnung" habe, wie es ihn zu diesem Zeitpunkt in der Gesamtbevölkerung gab.

Der Berliner Virologe Christian Drosten verwies im jüngsten NDR-Podcast allerdings auf Erhebungen der Statistikbehörde ONS aus Großbritannien. Dort würde jede Woche in demografisch ausgewählten Haushalten untersucht, wie viele Personen in welchem Alter "gerade das Virus im Rachen" hätten. Das Ergebnis: Kurz vor Weihnachten, als die Schulen noch offen waren, lag der Anteil bei den Erwachsenen bei einem Prozent - bei Schülern über dem Grundschulalter bis zum 18. Lebensjahr war er allerdings etwas über dreimal so hoch. Auch in der jungen Altersgruppe vom 2. Lebensjahr bis zur 6. Klasse gab es noch doppelt so viele Infizierte wie unter den Erwachsenen. "Im Prinzip ist die Frage, was jetzt die Schüler beitragen zur Epidemie, beantwortet", sagte Drosten.

Schulen ein Risiko oder nicht?

Andere Untersuchungen kamen zu dem Schluss, dass das Corona-Infektionsrisiko von Kindern in Kita und Schule wohl vergleichsweise gering ist. So etwa eine Ende November 2020 veröffentlichte bundesweite Datenerhebung der Universitätskinderklinik Regensburg. Bis Mitte November waren demnach rund 116.000 Kinder und Jugendliche in mehr als 100 Kinderkliniken teils routinemäßig auf Sars-CoV-2 getestet worden. Bei 0,53 Prozent fiel der Test positiv aus. Und nur 8 von mehr als 600 infizierten Kindern und Jugendlichen hätten sich in der Schule angesteckt, so die Forscher.

Wiederum andere Studien haben versucht, sich dem Problem mit Datenanalysen zu nähern. Eine Studie des Karlsruher Instituts für Technologie etwa kam dabei zu folgendem Ergebnis: Frühzeitige Schulschließungen können einen deutlichen Einfluss auf die Pandemie haben. Doch die Forscher betonen, dass auch dabei ein hohes Maß an Unsicherheit bestehe. Eine Untersuchung einer internationalen Forschergruppe der University of Oxford kam ebenfalls zu dem Schluss, dass die Schließung von Schulen und Hochschulen "sehr effektive" Maßnahmen seien. Eine neue Studie aus der Schweiz erbrachte vergleichbare Resultate.

Dabei hieß es Ende Oktober noch in einem Artikel der renommierten Fachzeitschrift "Nature", weltweit gesammelte Daten würden immer mehr darauf hindeuten, dass Schulen "keine Hot-Spots für Coronavirus-Infektionen" seien. Was stimmt denn nun? Die zum Teil widersprüchlichen Erkenntnisse erklärte Epidemiologe Timo Ulrichs im Gespräch mit RTL/ntv zum einen mit den unterschiedlichen Untersuchungszeiträumen. "In einer Hochinzidenzphase wie jetzt oder vor Weihnachten bekommt man andere Daten, als wenn man im Sommer getestet hätte." Zum anderen verwies er auf unterschiedliche Methoden von Studien. "Die große Frage ist, wie das Ganze erfasst wird", so Ulrichs - ob etwa durch Reihenuntersuchungen, bei denen in Schulen alle getestet würden, oder durch anlassbezogene Analysen. "Dann findet man natürlich unterschiedliche Daten."

"Keine Treiber der Pandemie"

Zusammengefasst betrachtet, so Ulrichs, seien Schulen jedoch keine "Treiber" der Pandemie. Aber: "Wenn der Infektionsdruck von außen eben groß ist, dann kann es auch sein, dass Übertragungen in der Schule stattfinden." Andere Experten hatten sich zuletzt ähnlich geäußert.

So hatte etwa der Dresdner Kinderarzt und Infektiologe Reinhard Berner gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe die andauernden Schließungen von Schulen und Kitas kritisiert, da Kinder auch seiner Ansicht nach "nicht die Treiber der Pandemie" seien. Wissenschaftlich gesehen gebe es "keine klaren Gründe, warum Kitas und Schulen längerfristig geschlossen bleiben sollen", so der Leiter der Kinderklinik des Universitätsklinikums Dresden. Von März bis Ende Dezember seien in Deutschland etwa 800 Kinder mit dem Coronavirus in Krankenhäusern behandelt worden, was "enorm wenig" sei, wenn man sie auf die Gesamtzahl der 14 Millionen Kinder und Jugendlichen in Deutschland beziehe.

Mit einigermaßen großer Gewissheit kann man derzeit vor allem eines feststellen: Zur Rolle von Kindern und Schulen in der Corona-Pandemie dürfte das letzte Wort noch nicht gesprochen sein.

Quelle: ntv.de


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