Der Rückzug vom Arbeitsplatz ins Homeoffice soll ein zentraler Baustein im Kampf gegen die Corona-Pandemie werden. Nach dem Willen von Bund und Ländern müssen Arbeitgeber dies überall dort möglich machen, wo es die Tätigkeiten zulassen. Dadurch sollen Kontakte am Arbeitsort, aber auch auf dem Weg zur Arbeit reduziert werden. Details der geplanten Vorgaben will Arbeitsminister Hubertus Heil um 11 Uhr vorstellen.
Die Regelung könnte schon in der kommenden Woche in Kraft treten. Sie soll noch heute im Kabinett beschlossen werden. Da es eine Verordnung, aber kein Gesetz ist, ist eine Zustimmung von Bundestag und Bundesrat nicht erforderlich.
In der entsprechenden Verordnung heißt es, Arbeitgeber hätten Beschäftigten im Falle von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anzubieten, diese in deren Wohnung auszuführen, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstünden. Das Ministerium spricht in den Erläuterungen zur Verordnung von einer "Pflicht", Homeoffice anzubieten, "soweit dies nach den betrieblichen Gegebenheiten möglich ist".
Zudem werden strengere betriebliche Arbeitsschutzregeln für Abstände und Mund-Nasen-Schutz vorgeschrieben. Wenn Räume von mehreren Personen gleichzeitig genutzt werden, müssen pro Person zehn Quadratmeter zur Verfügung stehen. In Betrieben ab zehn Beschäftigten müssen diese in möglichst kleine, feste Arbeitsgruppen eingeteilt werden. Wenn Abstände und Belegungsvorschriften nicht eingehalten werden können, müssen Arbeitgeber medizinische Gesichtsmasken zur Verfügung stellen.
Es soll Kontrollen geben
SPD-Politiker Heil warnte am Dienstagabend bei "Bild live" Arbeitgeber davor, die Möglichkeit zum Homeoffice willkürlich zu verneinen und kündigte Kontrollen an. "Sie müssen klar sagen, wo es geht - und auch, wo es nicht geht. Wo es möglich ist, sollen sie es ermöglichen, und das wird im Zweifelsfall auch von Arbeitsschutzbehörden überprüft." Für die Beschäftigten besteht laut Ministerium keine Verpflichtung zur Annahme und Umsetzung eines Homeoffice-Angebots.
Kontrollen oder Sanktionen bei der Einhaltung der Homeoffice-Regelungen werden nach Meinung von Wirtschaftsminister Peter Altmaier aber "nur ganz selten" gebraucht werden. "Wir wollen kein bürokratisches Gebilde, sondern wir wollen erreichen, dass es flexibel im Interesse der Betriebe und Arbeitnehmer funktioniert", sagt er der ARD. Es müssten so wenig Menschen wie möglich im öffentlichen Nahverkehr oder auf den Straßen sein. "Wir müssen soziale Kontakte reduzieren", sagte der CDU-Politiker. "Wir wollen so wenig staatliche Regulierungen wie möglich."
Ein Zwang zum Arbeiten in den eigenen vier Wänden ist allerdings umstritten. Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart von der FDP sagte im Radiosender WDR 5, das Ziel, den Homeoffice-Anteil an der Belegschaft zu erhöhen, sei zwar richtig, der Weg über eine Verordnung sei aber falsch. Die von Heil vorgelegte Regelung sei ein "Bürokratiemonster". Pinkwart wies darauf hin, dass Unternehmen seit dem Ausbruch der Pandemie mit Hygienekonzepten und mit geteilten Teams, die wechselnd zu Hause und im Unternehmen im Einsatz waren, "hervorragend gearbeitet" hätten.
Simulation errechnet Nutzen der Regelung
Ähnlich hatten Unternehmerverbände in der seit Wochen laufenden Homeoffice-Debatte argumentiert - und sich stets gegen eine Pflicht zur Arbeit zu Hause gesperrt. Für Ärztefunktionär Frank Ulrich Montgomery ist eine solche Pflicht aber nun dringend geboten. "Es ist gut, dass die Arbeitgeber jetzt per Verordnung zu mehr Homeoffice-Angeboten gebracht werden sollen", sagte der Vorsitzende des Weltärztebundes der "Rheinischen Post". "In dieser zweiten Welle wurden noch viel zu viele Büros offengelassen. Es gab sogar Unabkömmlichkeitserklärungen, die an Arbeitnehmer verschickt wurden, obwohl dies nicht unbedingt nötig gewesen wäre." Aus seiner Sicht haben Arbeitgeber "einen Anteil daran, dass die Infektionszahlen noch einmal so stark steigen konnten".
Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Oliver Zander, bezeichnete die beschlossenen Vorgaben für mehr Homeoffice als "inakzeptabel". Noch im November habe Heil verkündet, von diesem Vorhaben abzusehen. "Dieses nun unter dem Etikett der Pandemiebekämpfung einzubringen, erweckt den Eindruck, als nutze der Minister die Pandemie für parteipolitische Zwecke", teilte Zander mit.
Eine stärkere Verlagerung der Büroarbeit nach Hause könnte die Zahl der Infektionen nach Berechnungen von Wirtschaftswissenschaftlern deutlich verringern. Forscher um den Bonner Ökonomieprofessor Hans-Martin von Gaudecker haben in einem Rechenmodell eine Erhöhung der Homeoffice-Quote (die derzeit auf 25 Prozent geschätzt werde) auf 35 Prozent simuliert. Die Zahl der Neuinfektionen könne dadurch Ende Februar um gut ein Viertel geringer sein.
Quelle: ntv.de, mli/dpa/rts
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