Britische Wirtschaft im Jammertal

  02 Februar 2021    Gelesen: 606
Britische Wirtschaft im Jammertal

Die Corona-Pandemie hat die britische Wirtschaft hart getroffen, Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung sind hoch wie lange nicht. Und jetzt machen auch noch Zölle den Unternehmen das Leben schwer. Es sieht so aus, als habe sich das Vereinigte Königreich zum denkbar ungünstigen Zeitpunkt aus der Eurozone verabschiedet.

Jetzt wird auch noch die Pappe knapp: Kaum ein Tag vergeht in Großbritannien seit dem Brexit, ohne dass ein neues Problem bekannt wird. Lastwagen fahren leer zurück aufs europäische Festland, Kunden lehnen Warensendungen aus der EU wegen hoher Zollgebühren ab, manche Pflanzen dürfen nicht mehr von Großbritannien in die Provinz Nordirland geliefert werden. Der Brexit, seit Jahresbeginn voll wirksam, trifft mit seinen neuen Zollschranken die britische Wirtschaft schwer. Und das in einem Moment, in dem die Konjunktur sich langsam aus dem Corona-Tief arbeitet.

Beispiel Automobilindustrie: Die Produktion fiel 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 29,3 Prozent auf den niedrigsten Wert seit 1984, wie der Verband SMMT unlängst mitteilte. Das lag vornehmlich an Corona. Doch die Branche sei wegen ihrer komplexen Zuliefererketten nun besonders schwer von den Brexit-Zollerklärungen betroffen, sagte der Präsident der britischen Handelskammer in Deutschland, Michael Schmidt. "Es gibt eine ganze Reihe von Komponenten, die gehen, bevor sie ins Fahrzeug eingebaut werden, drei, teilweise vier Mal über den Kanal. Das ist ein echtes Thema, weil das jedes Mal neu gerechnet werden muss."

Das trifft besonders den Handel mit Deutschland, denn Fahrzeuge und Kfz-Teile machen einen Großteil der importierten Güter aus. Wie die deutsche Außenwirtschaftsgesellschaft GTAI mitteilte, ist der Anteil von rund 29 Prozent an britischen Warenimporten aus Deutschland 2019 auf 25,9 Prozent im Zeitraum Januar und November 2020 zurückgegangen (auf Pfundbasis).

Lockdown bringt Firmen ans Limit

Andere Zahlen geben ebenfalls wenig Anlass zum Optimismus. Die Arbeitslosenquote stieg zuletzt auf 5,0 Prozent und damit auf den höchsten Wert seit vier Jahren. Die Wirtschaftsleistung gab vor allem wegen des neuen Corona-Lockdowns um 2,6 Prozent nach. Unterm Strich mussten einer Analyse zufolge 2020 wegen den Folgen der Pandemie etwa 6000 Pubs, Restaurants und Clubs endgültig schließen, drei Mal so viele wie 2019.

Wegen milliardenschwerer Corona-Regierungshilfe für Unternehmen kletterte die Staatsverschuldung auf einen Rekordwert. Der Industrieverband CBI sieht die Lage dennoch recht gelassen. Die Menschen hätten sich mittlerweile auf die Corona-Beschränkungen eingestellt, so Anna Leach, die Vize-Chefvolkswirtin des CBI. "Deshalb ist der Schlag für die Wirtschaft nicht so schwer." Einige Bereiche seien anders als im ersten Lockdown im Frühling 2020 weiter in Betrieb. "Wir wissen, wie schnell die Wirtschaft anlaufen kann, wenn die Beschränkungen aufgehoben sind", sagte Leach und verwies auf hohe Konsumausgaben im Sommer.

Demonstrativ zuversichtlich zeigte sich die Wirtschaftsexpertin auch mit Blick auf den Brexit. "Die Unternehmen merken die Änderungen erst seit ein, zwei Wochen. Wir haben also noch ein paar Wochen Zeit, um wirklich einzuschätzen, was getan werden kann und sollte", sagte sie. Die Regierung von Premierminister Boris Johnson spricht von "Kinderkrankheiten", die sich noch legen würden.

Zölle teuer und aufwendig

Doch Wirtschaftsvertreter sehen die Lage deutlich kritischer. Das Problem sei viel grundsätzlicher, sagte Ian Wright, Chef des Verbands der Lebensmittel- und Getränkehersteller FDF. "Viele Unternehmen werden aufhören, mit der EU zu handeln, weil es zu teuer und aufwendig ist." Als Beispiel nennt Wright eine große Firma. "Normalerweise braucht sie drei Stunden für den Papierkram. Seit dem Brexit hat sie es maximal in fünf Tagen geschafft." Ein Problem sei, dass es zu wenig Zollbeamte gebe. "Die Bürokratie ist fünf Mal höher, also müsste es auch fünf Mal mehr Zollbeamte geben. Aber es gibt keinen einzigen zusätzlich", sagte Wright.

Außenhandelsexperte Marc Lehnfeld von GTAI betont ein weiteres Problem. "Gerade kleine und mittelgroße Firmen werden durch die Zollgrenze belastet, weil die Zusatzkosten auf ein kleineres Absatzvolumen umgelegt werden als bei den Großunternehmen". Mehrere britische Unternehmen bauten Lager in der EU auf, um Zusatzkosten und Bürokratie beim EU-Geschäft abzumildern. In britischen Medien wurden Unternehmenschefs mit Aussagen zitiert, dass ihnen die Behörden in London den Umzug nahegelegt hätten.

Ironischerweise könnte Deutschland trotz aller Brexit- und Corona-Sorgen 2020 die USA als wichtigsten Handelspartner Großbritanniens verdrängen. Zwar sank der Warenaußenhandel zwischen Januar und November im Vorjahresvergleich um 16,7 Prozent auf 78,2 Milliarden Pfund (88,8 Mrd Euro). Doch fiel der Handel zwischen Großbritannien und den USA noch deutlicher, um rund ein Fünftel (20,6 Prozent) auf 77,2 Milliarden Pfund.

Das Ende der Fahnenstange ist aber vermutlich noch nicht erreicht. Wegen des Brexits werde das Handelsvolumen zwischen Großbritannien und der EU weiter deutlich sinken, prognostiziert Andreas Glunz, Bereichsvorstand für International Business bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Beispielsweise sei Großbritannien das Eintrittstor für Mode, Textilien, Accessoires, Spielzeug von Asien nach Europa gewesen. Das werde sich nun ändern.

Quelle: ntv.de, Benedikt von Imhoff und Christoph Meyer, dpa


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