Marjorie Taylor Greene lebt in ihrer ganz eigenen, gefährlichen, komplett irren Welt. Sie glaubt zum Beispiel, dass ein Laser aus dem Weltraum 2018 die Waldbrände in Kalifornien verursacht hat - mithilfe jüdischer Banker. Sie fragte sich öffentlich, ob die Anschläge am 11. September 2001 eine Verschwörung der US-Regierung gewesen sein könnten. Genauso wie das Sandy-Hook-Massaker, bei dem 2012 zwanzig Kinder und sechs Angestellte einer Schule erschossen wurden. Und auch das Massaker von Las Vegas, bei dem 2017 ein Attentäter 58 Menschen tötete, könnte in ihrer Vorstellung ein perfider Plan gewesen sein, um die Waffengesetze zu verschärfen.
Wer steckt dahinter? Natürlich, so glaubt Taylor Greene, der politische Gegner, die Demokraten. Deshalb sollten Spitzenvertreter der Partei wie Ex-Präsident Barack Obama, die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi und die frühere Außenministerin Hillary Clinton am besten exekutiert werden.
Marjorie Taylor Greene klingt wie eine verrückte Anhängerin von Ex-Präsident Donald Trump im Internet. Seit der Wahl am 3. November ist sie aber republikanische Abgeordnete für den 14. Bezirk des Bundesstaates Georgia - und selbst für republikanische Verhältnisse extrem, sagt der Politologe Philipp Adorf von der Universität Bonn im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". "Wenn man schaut, an welche Verschwörungstheorien sie glaubt, sticht sie heraus. Sie ist ganz klar jemand, der wirklich am äußersten Rand der Gesellschaft steht."
"Krebsgeschwür für Partei und Nation"
Taylor Greene gehört auch zu den Menschen, die an QAnon glauben - den Kult, der seit 2017 im Internet wilde Verschwörungstheorien mit rechtsextremem Hintergrund verbreitet. Der bekannteste Mythos ist der vom Deep State. Vom Staat im Staate, der das Weltgeschehen aus dem Untergrund heraus kontrolliert und fürchterliche Verbrechen begeht. Dazu soll unter anderem die Entführung, Folter und Ermordung von Kindern gehören, um aus ihrem Blut eine Verjüngungsdroge zu gewinnen.
"Bis vor ein paar Monaten haben viele Republikaner gesagt, dass sie von QAnon noch nie etwas gehört haben", sagt Politologe Adorf. Durch Personen wie Taylor Greene aber sei diese Bewegung bekannter geworden. "Entsprechend der letzten Daten sagt mittlerweile ungefähr die Hälfte der Republikaner, die von QAnon gehört haben: Ja, wir glauben, an deren Unterstellungen ist etwas dran."
Dieser Glaube unterwandert die Grand Old Party seit einigen Jahren. Erst war die Wählerschaft betroffen, mit dem Wahlsieg von Donald Trump 2016 breitete sich der Mythos QAnon peu à peu auch im Parteiestablishment aus. Das war nie zimperlich, wenn es um den eigenen Machterhalt ging. Taylor Greene aber würde die Parteispitze lieber heute als morgen wieder loswerden. Ihre "verrückten Lügen und Verschwörungstheorien sind ein Krebsgeschwür für Partei und Nation", erklärte diese Woche Mitch McConnell, die Graue Eminenz der Republikaner im US-Kongress.
Eine unmissverständliche Einsicht des früheren Senatsführers, für die es allerdings zu spät scheint. Taylor Greene habe die Ängste der überwiegend weißen und ländlichen republikanischen Wählerschaft erfolgreich aufgegriffen, sagt Parteiforscher Adorf. Die sorge sich sehr um ihren Platz in einer sich rapide verändernden Gesellschaft. Wahlkampf-Videos mit Sturmgewehr, Warnungen vor Sozialisten und "Antifa-Terroristen" kommen an.
Die Botschaften der 46-jährigen Taylor Greene sind sehr viel deutlicher als die anderer Republikaner in der Vergangenheit, wirklich neu sind sie aber nicht. Republikanische Politiker und Strategen würden seit Jahrzehnten argumentieren, dass das Zusammenleben der verschiedenen Ethnien ein gewisses Nullsummenspiel sei, betont US-Experte Adorf. Ein Nullsummenspiel, das lautet: "Wenn schwarzen Amerikanern oder anderen Minderheiten geholfen werden soll, geht das oftmals nur auf Kosten der weißen Mehrheit."
Überzeugung oder Kalkül?
Mit Abgeordneten wie Marjorie Taylor Greene ernten die Republikaner, was sie über Jahre gesät haben. Denn bei den Kongresswahlen am 3. November war gleich eine ganze Gruppe von Kandidaten desselben Kalibers erfolgreich. Lauren Boebert zum Beispiel ist für den Bundesstaat Colorado in das Repräsentantenhaus eingezogen. Danach warb sie in einem Video der Marke "martialisch" damit, dass sie ihre halbautomatische Glock mit in den Kongress nehmen werde. Die Regierung habe schließlich kein Recht ihr vorzuschreiben, wie sie sich verteidigen solle, erklärte sie vollmundig.
Oder Madison Cawthorn, 26 Jahre jung, auf den Rollstuhl angewiesen und seit Januar Vertreter seines Heimatstaates North Carolina im Repräsentantenhaus. Eine Erfolgsstory, eigentlich. Seine Heimatzeitung hält ihn allerdings für eine "Peinlichkeit", einen "Lügner" und für einen "Aufrührer". Denn wie Taylor Greene, Boebert und 144 weitere Republikaner hatte auch er nur wenige Stunden nach dem Sturm auf das Kapitol unbeeindruckt dafür gestimmt, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl zu kippen. Aus Überzeugung oder doch nur aus Kalkül, weil es bei den Wählern gut ankommt?
"Es steckt in gewisser Weise eine Strategie dahinter. Dieser Glaube, die Wahl sei gestohlen worden, ist in der republikanischen Wählerschaft weit verbreitet. Das wissen die Mandatsträger", erklärt Philipp Adorf. "Das heißt, wenn man als republikanischer Abgeordneter verhindern möchte, bei den nächsten Vorwahlen von einer Marjorie Taylor Greene oder Lauren Boebert herausgefordert und möglicherweise geschlagen zu werden, muss man beweisen: Ich habe gegen den vermeintlichen Wahlbetrug gekämpft."
"Eine Seite hat schon gewonnen"
Nach der Wahl ist vor der Wahl. Schon in zwei Jahren müssen 34 Senatoren und alle Abgeordneten im Repräsentantenhaus ihre Sitze das nächste Mal verteidigen. Dabei läuft es für die Partei des Präsidenten historisch betrachtet eher schlecht. Adorf traut den Republikanern zu, sowohl die Mehrheit im Senat als auch im Repräsentantenhaus zurückzuerobern. Aber nicht mit klassischen Themen wie freien Märkten und Deregulierung. Die seien in gewisser Weise unpopulär geworden, sagt der Politologe. Mit dem Trump'schen Populismus, der Ablehnung von Einwanderung, mit Attacken auf politische Gegner und dem Narrativ, dass die Demokraten die Vereinigten Staaten zerstören wollten, könne man die Wählerschaft viel besser mobilisieren. Deshalb würden auch vormals eher Trump-kritische Republikaner wie der texanische Senator Ted Cruz auf den Zug aufspringen.
Die Republikaner befinden sich am Scheideweg. Können die moderaten Mitglieder, die den Wahlsieg von Joe Biden nicht infrage stellen, extremen Abgeordneten wie Taylor Greene die Stirn bieten und die Partei wieder zurück in die Mitte rücken? Auch auf die Gefahr hin, dass Trump dann eine neue Partei gründen und große Teile der Wählerschaft mitnehmen könnte? Oder ist es dafür bereits zu spät? Philipp Adorf glaubt, dass diese Frage bereits beantwortet ist: "Wenn wir uns die Entwicklungen der letzten Wochen wie das Impeachment-Verfahren anschauen, kann man ganz klar sagen, dass eine Seite schon gewonnen hat. Das ist die Seite, die eher Trump treu ist. Es ist der Flügel, in dem auch Verschwörungstheoretiker wie Marjorie Taylor Greene vorzufinden sind."
Die republikanische Partei hat in den letzten Jahrzehnten so viele politische Blendgranaten geworfen, dass im Jahr 2021 weder ihre Abgeordneten noch ihre Wähler zu wissen scheinen, was Wahrheit und was Lüge ist. So viele, dass nicht einmal eine historische Niederlage an den Wahlurnen zu einem Umdenken führt. Donald Trump war der erste Präsident seit den 1930er Jahren, der innerhalb von vier Jahren das Präsidentschaftsamt und beide Kammern des Kongresses verloren hat. Aber wenn man sich einredet, dass man eigentlich gewonnen hat, stimmt der Kurs.
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"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Bekommt die Deutsche Bank ihr Geld von Donald Trump zurück? Verpasst Deutschland den weltweiten Cannabis-Boom? Weshalb müssen manche Berufspiloten Geld für ihren Job zahlen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.
Quelle: ntv.de
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