Warum ist Tirschenreuth erneut Hotspot?

  04 Februar 2021    Gelesen: 830
  Warum ist Tirschenreuth erneut Hotspot?

Der bayerische Landkreis Tirschenreuth ist zum zweiten Mal nach dem Frühjahr Corona-Hotspot. Warum das so ist, weiß man nicht wirklich. Viele vermuten die Grenznähe zu Tschechien als Ursache. Es könnte aber auch an mutierten Varianten des Virus liegen, die sich in der Oberpfalz verbreiten.

Schon in der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020 gelangte Tirschenreuth zu trauriger Berühmtheit. Mit Inzidenzen jenseits von 1000 Fällen pro 100.000 Einwohner tobte damals in dem oberpfälzischen Landkreis mit Abstand der gefährlichste Ausbruch Deutschlands. Und jetzt ist es wieder passiert: Während in den meisten Regionen die Fallzahlen im Lockdown sinken, wird Tirschenreuth erneut zum deutschen Corona-Hotspot mit der höchsten Sieben-Tage-Inzidenz. Am Dienstag lag sie bei 322, am Mittwoch bei knapp 300. Diesmal gehen die Neuinfektionen aber aus ganz anderen Gründen durch die Decke als im vergangenen März. Man kennt sie nicht genau, aber es gibt Vermutungen und einen ganz heißen Verdacht.

Weil das RKI eine Studie anfertigte, sind die Ursachen für den Ausbruch im Frühjahr weitgehend bekannt. Die erste bekannte infizierte Person erkrankte bereits am 17. Februar, am 29. Februar wurde ein zweiter Fall symptomatisch, ab dem 4. März zeigten sich weitere einzelne Infektionen, vier Tage später stieg die Fallkurve steil an. Das Virus sei wahrscheinlich durch Winterurlauber aus Österreich und Italien eingeschleppt worden, so die Schlussfolgerungen des RKI. Dann habe sich der Erreger zunächst unbemerkt auf diversen Bierfesten in dem Landkreis verbreitet.

Weder kann Sars-CoV-2 diesmal von Winterurlaubern in die Oberpfalz gebracht worden sein, noch konnten sich haufenweise Menschen auf irgendwelchen Großveranstaltungen angesteckt haben. Tirschenreuth wurde also diesmal offenbar aus völlig anderen Gründen zum Corona-Hotspot Nummer 1 in Deutschland.

Eine mögliche Ursache liegt auf der Hand, wenn man die Inzidenzen auf der Europakarte betrachtet: Der Landkreis Tirschenreuth liegt unmittelbar an der Grenze zu Tschechien. Und das Nachbarland wurde von der zweiten Corona-Welle extrem schwer getroffen. Schon Mitte Oktober wurden dort bei einer Inzidenz von rund 450 Fällen je 100.000 Einwohnern die Intensivbetten knapp.

Dramatische Situation in Tschechien

Ein Lockdown brach die Welle erst bei etwa 13.000 registrierten Neuinfektionen im Sieben-Tage-Schnitt und drückte sie auf etwa 3700. Doch schon nach zaghaften Lockerungen explodierten die Fallzahlen erneut und kletterten wieder auf den alten Höchststand. Nach Weihnachten rief Tschechien wieder die höchste Lockdown-Stufe aus. Es gilt dort seitdem eine nächtliche Ausgangssperre, die meisten Geschäfte sind dicht, Restaurants, Sport- und Kultureinrichtungen sowie die meisten Schulen geschlossen. Nur zwei Personen dürfen sich in der Öffentlichkeit treffen.

Ungefähr seit dem 25. Januar gehen die Neuinfektionen trotzdem nicht mehr zurück, verharren bei fast 7000 neuen Fällen täglich. Und die Sieben-Tage-Inzidenz ist mit knapp 450 Fällen pro 100.000 Einwohnern aktuell fünfmal so hoch wie in Deutschland. Die Tschechen sind erschöpft und umgehen mehr und mehr die Regeln. Unter anderem deklarieren sie Urlaubsfahrten in Skigebiete als Dienstreisen. Innenminister Jan Hamáček erwägt deshalb laut "Onetz" sogar, "die Bewegungsmöglichkeiten auf die Kreise und Bezirke zu begrenzen."

Besonders schlimm ist die Situation in den Regionen Cheb und Sokolov mit Inzidenzen über 1100. Sie grenzen an Tirschenreuth und dessen nördliche Nachbar-Landkreise Wunsiedel und Hof, in denen es bei Inzidenzen von etwa 250 bis 260 kaum besser als im oberpfälzischen Hotspot aussieht.

Tausende Tschechen, aber auch Deutsche, die im Nachbarland leben, kommen jeden Tag zum Arbeiten nach Bayern oder Sachsen. Rund 2500 davon laut BR in den Landkreis Tirschenreuth. Oft handelt es sich dabei um systemrelevante Jobs, unter anderem im Gesundheitswesen, in der Altenpflege oder der Müllabfuhr. Viele Pendler sind aber auch in den zahlreichen mittelständischen Industriebetrieben der Region unabkömmlich.

Keine Beweise

Beweise dafür, dass Pendler das Infektionsgeschehen in Bayern antreiben, gibt es nicht. "Mir scheint das keine reale Möglichkeit zu sein", sagte der Leiter des Biologie-Zentrums der Akademie der Wissenschaften in Prag, Professor Libor Grubhoffer, der "Sächsischen Zeitung". Die Pendler hielten sich überwiegend im unmittelbaren Grenzgebiet auf. "Es ist zweifellos möglich, dass sie an einer sporadischen Einschleppung der Infektion beteiligt sind, aber es dürfte kein Krankheitsimport von grundlegender epidemiologischer Bedeutung sein."

Seit dem 24. Januar gilt für Pendler wie für andere Einreisende aus Hochrisikogebieten eine Testpflicht. Das führt schon jetzt zu Staus an den Grenzen. Trotzdem wird das Landratsamt Tirschenreuth ab Donnerstag für die Arbeitspendler nur noch Antigen-Schnelltests an zwei Testzentren anbieten. Diese Verfahrensweise soll die Zeit zwischen Test und Ergebnis minimieren, berichtet "Onetz".

"Diffuses Ausbruchsgeschehen"

Der Landkreis hat mit Spezialisten der Landesregierung auch begonnen, Ansteckungen in Unternehmen zu untersuchen. Das Infektionsgeschehen verlagere sich von älteren Menschen in Heimen hin zu jüngeren Mitarbeitern in Firmen, sagte Landrat Roland Grillmeier TV Aktuell. Im Blickpunkt stünde dabei vor allem das Pandemiegeschehen in Tschechien und die Verhinderung des Eintrags des Virus durch Grenzgänger der Firmen, heißt es auf der Website des Kreises.

Nach Auswertung der verfügbaren Datenlage sei man sich schnell einig gewesen, dass es sich in den Betrieben wie im gesamten Landkreis um ein diffuses Ausbruchsgeschehen handele. "Die Fälle verteilen sich über den gesamten Landkreis. Es sind keine räumlichen Schwerpunkte festzustellen. Betroffen sind sowohl deutsche als auch tschechische Mitarbeiter."

In größeren Unternehmen bieten Betriebsärzte nicht nur Tests für Pendler vor Ort an, sondern führen auch Reihentests für die ansässige Belegschaft durch. Im Ernstfall reicht der Maßnahmenkatalog von Quarantäne bis hin zu Betriebsschließungen.

Mutierte Virus-Varianten im Verdacht

Neben den Grenzpendlern hat Landrat Grillmeier einen weiteren Verdacht, was in seinem Kreis zu so hohen Inzidenzen führen könnte: mutierte Varianten des Coronavirus, speziell der als besonders infektiös geltende Ableger B.1.1.7. Unter anderem schließt er dies daraus, dass es zunehmend jüngere Mitarbeiter in Unternehmen und auch komplette Familien trifft.

"Leider müssen auch wir melden, dass wie in anderen Regionen auch bei uns die Coronavirus-Mutation wohl angekommen ist", zitiert ihn das "Oberpfalzecho". Deshalb würden seit einigen Tagen positive Proben stichprobenartig sequenziert. 40 Verdachtsfälle gäbe es bisher, aber noch keine Bestätigungen.

Quelle: ntv.de


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