Dass Design eine wandelbare Größe ist, ist nicht neu. Doch bei in in Deutschland entworfenen Fahrzeugen setzt man seit jeher auf eine gewisse Stringenz, im besten Fall auf Zeitlosigkeit. Ein Umstand, der dazu führt, dass auch Vorgänger-Fahrzeuge nie wirklich alt wirken. Aber andere Länder, andere Sitten. Vor allem in Asien ist man bekannt dafür, auch mal dem exzentrischen Design eine Chance zu geben. Jüngstes Beispiel dafür ist der Hyundai Tucson. War der Vorgänger noch von den beiden deutschen Designikonen Peter Schreyer und Thomas Bürkle in Szene gesetzt, gewann diesmal das koreanische Design-Team um den Chef Sang Yup Lee.
Keine halben Sachen
Und mit Blick auf den neuen Tucson haben die Asiaten keine halben Sachen gemacht. Statt der typisch deutschen Tornadolinie, die sich pfeilgerade von Kotflügel zu Kotflügel erstreckt, hat man jetzt Diagonalen ins Türblech geschlagen, die Radhäuser eckig gemacht und an der Front mit kühnem Schwung und am Heck mit einer fetten Sicke überdacht. Statt der Silhouette freien Lauf zu lassen, zieht sich jetzt der Silberstreif der Fensterleisten als eine Art Bumerang in die C-Säule. Front und Heck sind ebenfalls martialisch zerklüftet. Doch während das Tagfahrlicht im Kühlergrill die Schwingen eines Raubvogels nachzubilden scheint, klammert die scharfen LED-Eckzähne am Heck ein ebensolches Leuchtband. Mit dem Design des Tucsons haben die Koreaner sogar die kühnsten Schwünge und Kanten der Japaner überflügelt. Hyundai nennt diese Designphilosophie übrigens "Sensuous Sportines".
Aber was hierzulande polarisieren mag, ist in anderen Ländern ein Schlager. In Südkorea und auch in den USA wird die neue kühne Optik des Tucson gefeiert. Und da gerade der letztgenannte Markt für Hyundai zu den wichtigsten gehört, ist es eigentlich auch schon fast egal, wie sich das Mittelklasse-SUV hierzulande schlägt. Seine Fans dürfte der Koreaner auf jeden Fall finden und das nicht nur wegen seiner prägnanten Optik, sondern auch, weil der Wagen einiges zu bieten hat. Zum Beispiel wie der Testwagen ein 1,4 l eHybrid OPF mit Turboaufladung, 180 PS und einem maximalen Drehmoment von 265 Newtonmetern. Aber das ist noch nicht alles. Da es sich um einen Hybrid handelt, wird der Benziner zusätzlich von einem E-Motor mit 60 PS unterstützt, was im Endeffekt für eine Systemleistung von 230 PS und ein maximales Drehmoment von 350 Newtonmetern reicht.
Anzug wie ein Sportwagen
Wer nun den so bestückten Tucson besteigt, den Gang über den Knopf in der Mittelkonsole einlegt, um dann mal kurz das Gaspedal Richtung Bodenblech zu pressen, der sieht sich mit einem sportwagengleichen Vortrieb konfrontiert. Wie von der Tarantel gestochen schießt der Koreaner aus dem Startblock und der Fahrer guckt nicht schlecht, wenn sich die virtuelle Tachonadel im volldigitalen Zentraldisplay nach acht Sekunden an der 100er-Marke vorbeibewegt. Auch beim flotten Überholen auf der Landstraße gibt sich der Tucson mit den zwei Herzen keine Blöße. Für die Beschleunigung von Tempo 80 auf 120 km/h braucht es lediglich 5,7 Sekunden, was nur bedeutet, dass es keiner großen Überlegung bedarf, um zu überholen, sondern einzig eines beherzten Tritts auf den Pin.
Bei der Endgeschwindigkeit muss man allerdings mit Blick auf das Datenblatt einen kleinen Abstrich machen. Angegeben sind hier in der Spitze 193 km/h. Die schafft der Tucson 1.6 T-GDI HEV AWD auch, aber nur mit Anlauf. Wohl fühlt er sich bis Tempo 180 und am wohlsten bei 150. Hier schnurrt er unhörbar dahin, filtert über ein wirklich sehr ausgewogenes Fahrwerk selbst schlimme Verwerfungen der Straße, reagiert vorbildlich auf die Befehle, die der Fahrer über die Lenkung erteilt und kann mit dem zweiten Fahrprogramm Sport auch mal, seiner Optik entsprechend, wie ein Husar im Angriff nach vorn galoppieren. Das macht Spaß und erfreut den Fahrer.
Auf der Langdistanz durstig
Erstaunt ist der dann allerdings, wenn ihn ein leerer Tank an die nächste Zapfsäule zwingt. Denn obgleich der Benziner eine stete Unterstützung durch den Elektromotor erfährt, standen auf der Langstrecke - vorrangig Autobahn - mehr als 10 Liter auf der Uhr, die sich der Verbrenner aus dem mehr als 50 Liter fassenden Tank saugte. Ja, das ist zum einen dem Umstand geschuldet, dass die schon erwähnte Reisegeschwindigkeit von 150 km/h, wo immer es ging, gefahren wurde, zum anderen der Außentemperatur, die weit in den Minusbereich reichte und dem Umstand, dass sich der Tucson mit allen vieren in bravouröser Weise durch Schnee und Eis zu kämpfen hatte. Hinzu kommt, dass der E-Motor, der seine Kraft aus dem unter der Rückbank verbauten Lithium-Polymer-Akku mit einer Netto-Kapazität von 1,49 kWh schöpft, vor allem durch das Rekuperieren der Roll- und Bremsenergie geladen wird, die es auf der Autobahn kaum gibt. Also muss der Verbrenner ran, um Akku und E-Motor bei Laune zu halten. Schade nur, dass das Zusammenspiel der Betriebsarten und das sechsstufige Automatikgetriebe keinen Weg fanden, sich ruckelfrei über die ansonsten exzellente Kraftverteilung an alle vier Räder zu einigen.
Anders verhält es sich, wenn man mit dem Hybrid in der Stadt unterwegs ist. Hier kann der Akku tatsächlich durch das Rollen und Bremsen fast vollständig geladen werden und die jetzt zur Verfügung stehende Unterstützung des E-Motors ist so groß, dass die 1,8 Tonnen locker mit 6,2 Litern über 100 Kilometer bewegt werden können oder beim Rangieren den Wagen ganz allein bewegen. So gesehen ist bei besserem Wetter und höheren Temperaturen sicher auch ein anderes Verbrauchsbild zu erreichen. Dass aber die von Hyundai angegebenen Werte von kombiniert 5,6 Litern zu erfahren sind, ist schwer vorstellbar.
Sauber eingepasst
Bewiesen ist aber, dass jede Fahrt im Tucson eine echte Erholung ist. Das liegt nicht nur an den sehr bequemen zu kühlenden und heizbaren Sitzen, sondern auch an der gesamten Ergonomie des Innenraums. Obgleich man sich auch daran gewöhnen muss. Denn anders als andere Hersteller von kompakten SUV ist der Koreaner nicht darauf bedacht, den Gästen in der ersten Reihe besonders viel Freiraum zu bieten, sondern er achtet vielmehr darauf, dass er sie stark einbindet. Man ist fast schon versucht, die Sitzplatz-Philosophie von BMW oder Porsche in Gedanken zu bemühen. Dafür spricht aber das Interieur wieder eine ganz eigene Sprache. Die abgesetzte und vertikal verlaufende Mittelkonsole ist nämlich, so erklärt es Hyundai, von "einem Wasserfall inspiriert".
In diesem "Wasserfall" befindet sich dann auch ein neuer 10,25 Zoll großer Touchscreen, über dessen obere Hälfte sich die Infotainment-Funktionen steuern lassen, während der untere Bereich die Klimatisierung im Tucson übernimmt. Die funktioniert übrigens gerade mit Blick auf vereiste Scheiben ganz hervorragend. Zudem erfreut der Koreaner durch seine gute Verarbeitung und anders als noch beim Vorgänger wesentlich hochwertiger wirkende Materialien. Schade nur, dass die Flascheneinschübe in den Türinnenseiten etwas sehr schmal geraten sind. Dafür gibt es ein Ablagefach in der Mittelkonsole und ein Fach für induktives Laden unterhalb des "Wasserfalls". Was der Autor schmerzlich vermisst hat, ist das sonst bei Hyundai obligatorische Brillenfach im Himmel. Die Reisenden im Fond vermissen auf keinen Fall Platz. Den gibt es in dem 4,50 Meter langen Tucson erstaunlicherweise reichlich. Und das, obgleich doch der Akku - wie schon erwähnt - direkt unter der Rückbank verbaut wurde. Auch Freunde der Zuladung werden mit den 616 bis 1795 Litern Kofferraumvolumen keine nennenswerten Probleme bekommen.
Reichlich Hilfe
Ohne Probleme soll man auch mit den Assistenzsystemen fahren, die Hyundai für den Tucson bereithält: Aufmerksamkeit-, Fernlicht-, Spurhalte- und Notbremsassistent sind ebenso an Bord wie eine intelligente Verkehrszeichenerkennung mit Geschwindigkeitsassistent und ein Spurfolgeassistent. Wie schon im Hyundai Nexo wird übrigens per Kamerabild beim Blinken der jeweilige tote Winkel in das Hauptdisplay hinter dem Lenkrad projiziert, auf das auch ja kein Fahrradfahrer an der Kreuzung übersehen werden kann. Eine wirklich brillante Idee. Einziger Kritikpunkt ist, dass sich - anders als man es sonst von Hyundai kennt - der Spurhalteassistent nie vollständig deaktivieren lässt. Ganz blöd, wenn das System auf schneeweißer Fahrbahn glaubt, eine Spur erkannt zu haben und den Wagen dann rigide dahin beordern will. Hier wird der Assistent eher zur Gefahr als zum Helfer.
Ansonsten kann man die Arbeit der einzelnen Systeme nur loben. Einzig, aber das ist modell- und herstellerübergreifend, hat auch beim Tucson das interne Navigationssystem keine wirklich gute Figur gemacht. Die Fehlerquote war recht hoch und wenn man garstig ist, würde man sagen, dass sich das System einfach nicht auskennt. Verpasste Abfahrten, falsche Routenführung, Tankstellen in der Nähe wurden einfach nicht angezeigt, in Summe einfach ärgerlich. Wer hier sein Smartphone mit der Multimediaeinheit koppelt und Google Maps oder Apple Karten nutzt, fährt definitiv besser.
Dafür staunt man nicht schlecht, wenn man sich am Ende den Preis für den in der höchsten Ausstattung mit Namen Prime fahrenden Testwagen ansieht. Der liegt nämlich inklusive aller hier aufgezählten Annehmlichkeiten bei 47.140 Euro. Das ist angesichts des Pakets, das auch noch fünf Jahre Garantie oder eine Laufleistung von 200.000 Kilometern umfasst, ein durchaus akzeptabler Preis.
Fazit: Der neue Hyundai Tucson hat sich mit Blick auf seinen doch recht europäisch gehaltenen Vorgänger deutlich verändert. Wer auffallen will und die scharfe Kante im Blech liebt, wird hier schon mal das richtige Auto finden. Wer zudem Fahrkomfort und den Hauch einer sportlichen Attitüde bei einem SUV sucht, ist beim Tucson ebenfalls richtig. Zudem gibt es ein sehr umfängliches Angebot an Assistenzsystemen und eine Garantie von fünf Jahren. Allerdings sollten Langstreckenfahrer für sich überschlagen, ob der Verbrauch des Hybrid für sie eine Option ist. Der Preis von deutlich unter 50.000 Euro ist es auf jeden Fall.
Quelle: ntv.de
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