Die Bundestagswahl im September 2017 wurde bereits im März entschieden: Annegret Kramp-Karrenbauer, damals noch Ministerpräsidentin im Saarland, brachte mit einem starken Ergebnis bei der Landtagswahl den "Schulz-Zug" zum Entgleisen. Die Niederlage der Sozialdemokraten an der Saar läutete das Ende des Umfragehochs ein, das die Nominierung von Kanzlerkandidat Martin Schulz der SPD beschert hatte. Die Wahl im Saarland, so will es zumindest die Legende, rettete die Kanzlerschaft von Angela Merkel.
Vier Jahre später ist das Bild diffuser. Einen Schulz-Zug gibt es nicht, aber auch keine Merkel-Kanzlerschaft, die gerettet werden könnte. Wenn an diesem Wahlsonntag in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ein Zug entgleist sein sollte, dann jener der Union. In beiden Bundesländern fuhr die CDU die jeweils schlechtesten Ergebnisse ein, die sie dort je bei Landtagswahlen erzielt hat.
Drei Gründe nannte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. Erstens Malu Dreyer und Winfried Kretschmann, zweitens die Masken-Affäre und "das wirklich unanständige Verhalten und die Schamlosigkeit einzelner Abgeordneter", drittens die Corona-Politik. Er dürfte damit ziemlich richtig liegen, denn das langsame Abrutschen der Union auch in bundesweiten Umfragen wird durch die Diskussion um die Raffgier von Mandatsträgern nur beschleunigt.
Zu viele Minister der Union haben in den vergangenen Wochen, teils Monaten, eine zu schlechte Figur gemacht: Gesundheitsminister Jens Spahn konnte Erwartungen, die er beispielsweise mit Blick auf verfügbare Schnelltests geweckt hatte, nicht erfüllen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier wird das Fiasko um die Corona-Überbrückungshilfen angelastet. Verkehrsminister Andreas Scheuer ist vermutlich nur noch im Amt, weil CSU-Chef Markus Söder ihn das Maut-Debakel alleine ausbaden lassen will und ein Rauswurf kurz vor der Wahl nur Unruhe in die Partei bringen würde. Es wäre zusätzliche Unruhe, denn zumindest in der Unionsfraktion haben die Maskenaffäre und auch die Reaktion der Fraktionsspitze für Unmut gesorgt.
Mehr Fragen als Antworten
Ziemiak forderte als Konsequenz aus den Wahlen, die Corona-Politik müsse "besser" werden. Die Verantwortlichen müssten sich fragen: "Wo können wir besser werden? Wo können wir pragmatischer handeln? Wo können wir vor allem schneller werden?"
Die Fragen sind gut, Antworten darauf zu finden, dürfte schwierig werden. Denn die Probleme der Corona-Politik sind vielfach struktureller oder grundsätzlicher Art: der Föderalismus, der in der Pandemie für unübersichtliche Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten sorgt. Eine Bundeskanzlerin, die auf neue Herausforderungen mit ihrer alten Schritt-für-Schritt-Strategie reagiert, was in der Praxis permanente Konferenzen mit zahllosen durchgestochenen Beschlusstexten und entsprechend großer allgemeiner Verwirrung bedeutet. Und nebenbei leistet sich die CDU noch einen latenten Machtkampf zwischen Merz- und Merkel-Flügel.
Dazu kommen Alltagserfahrungen der Wähler, die wenig mit den Verlautbarungen der Verantwortlichen zu tun haben: Von ihrer Kultusministerin hört die Lehrerin, dass es Corona-Tests für alle Schulen gebe. Zu Gesicht bekommen hat sie jedoch noch keinen. Der 75-Jährige hat gelesen, dass er jetzt an der Reihe sei beim Impfen. Sein örtliches Impfzentrum vergibt jedoch gerade keine Termine. Und als wäre das alles nicht schon genug, steigt parallel die Sieben-Tage-Inzidenz. Kein Wunder: Die jüngste Bund-Länder-Runde wurde, das zeigt ein flüchtiger Blick in eine beliebige Berliner S-Bahn zur Hauptverkehrszeit, als Startschuss in allgemeine Lockerungen verstanden.
"Zu viel funktioniert nicht überzeugend"
Und so wachsen Unmut und Unverständnis über das Corona-Krisenmanagement. Das hat auch die CSU erkannt. Der "Augsburger Allgemeinen" sagte Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, die Maskenaffäre sei "ein zusätzlicher negativer Punkt", der Abwärtstrend der Union in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz aber schon davor deutlich erkennbar gewesen. "Es ist einfach zu vieles, was zurzeit nicht überzeugend gut funktioniert", so Dobrindt. "Wir müssen zurück auf die Erfolgsspur kommen und das heißt, die aktuellen Herausforderungen lösen und einen Reformplan für Deutschland vorlegen." Anders gesagt: Ohne Merkel muss die Union auf Inhalte setzen.
Ob es dann besser wird? Die Wählerinnen und Wähler haben noch nicht richtig mitbekommen, dass die Kanzlerin im September nicht wieder zur Wahl steht; dieser Satz fehlt mittlerweile in keinem Gespräch über die anstehende Bundestagswahl. SPD, Grüne und FDP ziehen Hoffnung daraus, die Union scheint das eher zu verunsichern. Sie braucht nicht nur einen Plan, sondern auch einen Kandidaten, der ihn glaubwürdig verkörpert. Die Entscheidung, Armin Laschet oder Markus Söder, soll zwischen Ostern und Pfingsten fallen. Dann ist noch Zeit genug, den Zug wieder aufs Gleis zu setzen und in Fahrt zu bringen - das jedenfalls ist die Hoffnung in der Union.
Quelle: ntv.de
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