Vor allem die beschlossene Lockerung der Impfreihenfolge in den Hausarztpraxen erntet Kritik. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Brysch, sagte den Zeitungen der „Funke Mediengruppe“, wenn jetzt auf mehr Flexibilität, weniger Starrheit und vorgezogene Impfungen in Hotspots gesetzt werde, könne damit „die lebensrettende Impfpriorisierung für die Schwächsten zu Grabe getragen“ werden. Die Einbeziehung der Hausarztpraxen könne zu einer Verschärfung der Ungleichbehandlung führen. Es müsse deshalb fest geregelt werden, dass die Hausärzte in den nächsten Monaten nur den über 70-Jährigen ein Impfangebot machen dürften, betonte Brysch. Dies müsse Bundesgesundheitsminister Spahn verbindlich klarstellen.
„Hausarztpraxen sind nicht die Resterampe für übriggebliebene Impfdosen“
Der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Weigeldt, sieht vor allem die vorrangige Belieferung der Impfzentren mit großer Skepsis. Die Hausarzt-Praxen dürften nicht zur Resterampe werden für Impfdosen, die in den Impfzentren übrig seien. Auch den auf den 5. April vorgezogenen Impfstart bei Hausärzten hält Weigeldt für zu spät. Man könne sofort loslegen, betonte er in verschiedenen Medien.
Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Gassen, hält vor allem das Tempo der Impfungen für zu langsam. An der grundlegenden Situation ändere der Beschluss von Bund und Ländern nichts. Es werde weiter in „Slow Motion“ geimpft, sagte Gassen dem Magazin „Business Insider“. Die Impfzentren machten im Grundsatz eine ordentliche Arbeit, aber sie hätten nun einmal Kapazitätsgrenzen, erklärte Gassen. Er betonte, es wäre fatal, falls die Impfzentren es nicht schaffen sollten, die wöchentlich 2,25 Millionen Impfstoffdosen zu verimpfen: „Jede Dosis, die im Schrank liegen bleibt, ist ein potenzieller Corona-Toter mehr.“
„Am Ende wird das gesamte Impfgeschehen über die Praxen laufen.“
Positiver beurteilt der Grünen-Gesundheitspolitiker Dahmen den Beschluss des Impfgipfels von Bund und Ländern, die Hausärzte nach Ostern in die Impfkampagne gegen das Coronavirus einzubeziehen. Das Impfen in den Praxen sei ein Schlüssel, um verlorengegangenes Vertrauen wiederzugewinnen, sagte Dahmen im Deutschlandfunk. Zudem könnten dadurch leichter Hochrisikopatienten identifiziert werden, die man auf anderen Wegen nicht erreiche. Auch der Leiter des Hamburger Impfzentrums, Heinrich, erklärte ebenfalls im Deutschlandfunk (Audio-Link), er halte einen schrittweisen Einstieg der niedergelassenen Ärzte für richtig. Am Ende werde das gesamte Impfgeschehen über deren Praxen laufen.
Merkel: „Die Devise lautet: Impfen, Impfen, Impfen.“
Bund und Länder hatten sich angesichts der schnell steigenden Corona-Infektionszahlen auf eine neue Impfstrategie mit den Hausärzten verständigt. Bundeskanzlerin Merkel kündigte nach einer Telefonkonferenz mit Ländervertretern an, dass neben den Impfzentren auch die Arztpraxen mit zunächst einer Million Impfdosen in der Woche versorgt werden – also 20 Impfdosen pro Praxis. Diese Menge verdreifache sich dann in der letzten Aprilwoche.
Merkel betonte, man könne schneller und flexibler werden. Deutsche Gründlichkeit werde um mehr Flexibilität ergänzt. Zugleich machte die Bundeskanzlerin klar, dass Lockerungen der Corona-Auflagen zunächst wieder zurückgenommen werden müssten. Am Montag treffen sich Bund und Länder erneut, um über die grundsätzliche Strategie in der Corona-Pandemie zu beraten. „Wir werden leider auch von dieser Notbremse Gebrauch machen müssen“, kündigte die Bundeskanzlerin an.
RKI: „Ostertage nur im engsten Kreis“
Das Robert Koch-Institut (RKI) befürchtet ein exponentielles Wachstum der Corona-Fälle. Es sei sehr gut möglich, dass die Lage um Ostern ähnlich sei wie vor Weihnachten – mit sehr hohen Fallzahlen und vielen Corona-Patienten in den Krankenhäusern, sagte RKI-Vizepräsident Lars Schaade. Er appellierte deshalb an die Bevölkerung, die Ostertage nur im engsten Kreis zu verbringen. Schaade forderte einen Verzicht auf Reisen. „Es stehen uns schwere Wochen bevor.“
Auch die Präsidentin der EU-Kommission, von der Leyen, sieht Urlaubsreisen in den nächsten Monaten kritisch. Von der Leyen sagte den Zeitungen der „Funke-Mediengruppe“, es sei jetzt zu früh, schon über den Sommer zu diskutieren. Man sei noch in einer sehr schwierigen Situation mit der schnellen Verbreitung aggressiverer Virus-Varianten. In manchen EU-Mitgliedsländern beginne die dritte Welle. Zunächst gehe es darum, die Verbreitung des Virus einzudämmen und die Zahl der Impfungen zu steigern.
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