Die Talkshow von Anne Will in der ARD hatte gerade begonnen, da wurden einige Journalisten von einer interessanten Eilmeldung überrascht: In Großbritannien hatte es einen Rekord gegeben. Dort waren 844.285 Menschen gegen das Corona-Virus geimpft worden - an einem einzigen Tag. Fast wie Hohn klang da die Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel aus dem ersten Einspieler der Sendung: "Ab sofort gilt nur noch eins: impfen, impfen, impfen." Denn die täglichen Corona-Impfungen in Deutschland liegen im Durchschnitt bei gut zehn Prozent des britischen Ein-Tages-Wertes.
Und während in New York trotz eines Inzidenzwertes von 300 die Geschäfte wieder öffnen dürfen, werden sich die Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin am Montagabend vermutlich auf eine Verlängerung des Lockdowns um weitere vier Wochen verständigen. Bei den Unternehmen, die im Moment nichts verdienen, tröpfeln die Corona-Hilfen, obwohl sie eigentlich fließen sollten. Der Sieben-Tages-Inzidenzwert lag am Sonntag bei über 100. Damit er wieder sinkt, wird über Ausgangssperren sowie Kita- und Schulschließungen nachgedacht. Immer mehr Bundesbürger sind mit den Corona-Maßnahmen der Bundesregierung unzufrieden. Die Gäste bei Anne Will waren sich denn auch diesmal einig wie selten: Sie forderten mehr Selbsttests und mehr Impfungen.
Schwesig in Erklärungsnot
Der Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, fiel dabei die undankbare Aufgabe zu, die Politik der Bundesregierung zu erklären, ohne sie allzu sehr zu verteidigen. Die SPD-Politikerin gehört immerhin einer der Regierungsparteien an. Eine Notbremse sei richtig, nur mit möglichen Ausgangssperren sei das so eine Sache: Die müssten nämlich von den Kommunen beschlossen werden. Immerhin handle es sich dabei um eine starke Einschränkung für die Bürger. Aktuell gibt es nach Schwesigs Ansicht drei Möglichkeiten, um die Ansteckungen mit Corona zu verringern: Einmal "massives Impfen", doch das sei wegen des aktuellen Impfstoffmangels nicht möglich; ein "ganz harter Lockdown", der aber von der Bevölkerung nicht akzeptiert werden würde; oder man könne die aktuellen Öffnungsschritte beibehalten, müsse dann jedoch deutlich mehr testen. Die Bundesregierung solle die Bevölkerung "mit kostenlosen Selbsttests ausstatten", verlangte Schwesig.
Der stellvertretende Bundestagspräsident Wolfgang Kubicki von der FDP forderte, jeder Bürger müsse vor dem Betreten eines Geschäfts, eines Restaurants oder einer Schule zuerst einen negativen Corona-Test vorzeigen. Er hält die aktuelle Lage auch nicht für so ernst wie vor Weihnachten. Denn im Moment seien von Corona-Erkrankungen vorwiegend junge Menschen betroffen, bei denen die Krankheit häufig einen leichten Verlauf nehmen würde. Menschen mit schwerem Verlauf seien die älteren, die aber schon jetzt zu einem großen Teil geimpft und immun seien.
Janosch Dahmen sitzt für die Grünen im Bundestag und hat bis letztes Jahr beim Rettungsdienst der Berliner Feuerwehr als Oberarzt gearbeitet. Er ist der Ansicht, dass jetzt so schnell wie möglich die Menschen zwischen 50 und 80 Jahren geimpft werden müssten. Für sie sei die Ansteckungsgefahr jetzt am größten. Gleichzeitig kritisiert er die Maßnahmen der Bundesregierung. Sie kamen "zu langsam, zu zögerlich, zu spät". Nun müsste deswegen wieder die Notbremse gezogen werden. Wenn nicht, hieße das: "Der Zug rollt weiter, aber der Zug rollt gegen die Wand." Notbremse bedeutet für den Grünen-Politiker: Ausgangsbeschränkungen, Friseure und Baumärkte wieder schließen, Pflegeheime und Bildungseinrichtungen erst öffnen, wenn genug Tests vorhanden sind.
Der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes Ulrich Weigeldt ist sich sicher: Eine richtige Teststrategie wäre eine große Hilfe. "Es reicht nicht, etwas zu versprechen, wir müssen es einfach machen", sagt der Verbandschef. Und wir müssten schnell damit anfangen, sagt Weigeldt. "Die Industrie kann uns diese Tests liefern".
Osterurlaub auf Mallorca?
"Es war ein Fehler, die Reisewarnung für Mallorca aufzuheben", meint Manuela Schwesig. Dort gebe es bereits die Brasilianische Virusmutante, bei der man nicht wisse, ob sie durch die Impfstoffe bekämpft werden kann. Wichtig sei zu verhindern, dass diese Corona-Variante nach Deutschland kommt. Deswegen müsse es für Heimkehrer strenge Test- und Quarantäneregeln geben. Sie ist für eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit, kann sich aber vorstellen, dass ein Osterurlaub möglich ist, wenn man sich dabei an Kontakteinschränkungen hält. Schwesig ist für einen Urlaub im eigenen Bundesland - was vermutlich Berlinern oder Hamburgern nicht so sehr gefallen wird.
Einig sind sich alle Gäste darin, dass letztendlich nur hilft, schnell zu impfen. Ulrich Weigeldt findet es gut, dass jetzt auch Haus- und niedergelassene Ärzte in die Impfungen eingebunden werden. "Die Hausärzte könnten sofort loslegen", sagt er. In Mecklenburg-Vorpommern passiere das auch, sagt Manuela Schwesig. Sie wolle nicht bis nach Ostern warten. Und Weigeldt wirbt: Die Ärzte kennen ihre Patienten. Sie wissen, bei wem die Impfung dringend ist. Sie könnten entscheiden, dass ein 24-jähriger Krebspatient einem 74-Jährigen vorgezogen werden müsse, der gerade ein Sportabzeichen gemacht habe.
Das sieht Kubicki ähnlich. "Wir müssen weg von der starren Priorisierung der Impfkommission", fordert er. Dahmen findet, die niedergelassenen Ärzte hätten schon viel früher eingebunden werden müssen. Sie sollten gemeinsam mit den Impfzentren das Virus bekämpfen, wobei sich die Zentren auf Menschen beschränken sollten, die beweglich und jung sind.
Zusammengefasst haben die Teilnehmer für die Ministerpräsidentenkonferenz am heutigen Montag einen Wunsch: Egal, ob der Lockdown in der jetzigen Form beibehalten oder verschärft wird - jeder Bürger müsse sich mindestens zweimal die Woche testen können, und die Zahl der Impfungen muss dringend erhöht werden. Es gilt, einen britischen Impfrekord zu toppen.
Quelle: ntv.de
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