"Ein Satz im Infektionsschutzgesetz würde reichen"

  09 April 2021    Gelesen: 382
"Ein Satz im Infektionsschutzgesetz würde reichen"

Das Saarland öffnet Kinos, Nordrhein-Westfalen schließt Schulen. Eine einheitliche Linie unter den 16 Bundesländern ist im Kampf gegen Corona nicht erkennbar. Bundeskanzlerin Angela Merkel will bundesweit gültige Regeln schaffen – dafür braucht sie aber eine Änderung im Infektionsschutzgesetz. "Kein Problem", das sei innerhalb von zwei Wochen möglich, sagt Johann Wadephul, CDU-Vorstandsmitglied und einer von drei Abgeordneten, die Merkels Ansinnen nun mit einer Initiative unterstützen. Per Brief suchten sie weitere Mitstreiter in der Unionsfraktion.

ntv.de: Ihr Fraktionskollege Norbert Röttgen vermeldet 52 Rückmeldungen für Ihre gemeinsame Initiative. Wie bewerten Sie das?

Johann Wadephul: Die Rücklaufquote ist erfreulich. Ich gehe davon aus, dass die Fraktionsgremien sich in der kommenden Woche mit der Initiative befassen werden. Wir hatten ja nicht die gesamte Fraktion angeschrieben, sondern das war eine eher persönliche Auswahl. Yvonne Magwas, Norbert Röttgen und ich haben rund 100 Kolleginnen und Kollegen ausgesucht, von denen wir meinen, dass sie kurzfristig für eine solche Initiative zu gewinnen wären.

Sie schreiben selbst im Brief an die Parteifreunde, dass "die Zeit drängt". Aber der Bundesrat tritt erst wieder im Mai zusammen. Müssen Sie die Länderkammer nicht mit im Boot haben?

Nicht unbedingt. Es geht ja darum, dem Bund eine eigene Kompetenz in der Bekämpfung der Pandemie zuzubilligen. Aus unserer Sicht bedarf es da nicht unbedingt der Zustimmung des Bundesrates. Der ist laut Grundgesetz immer dann gefragt, wenn unmittelbar Verwaltungshandeln der Länder erforderlich ist oder wenn eine Entscheidung direkte finanzielle Auswirkungen auf die Bundesländer hat. Beides ist hier nicht der Fall. Die Situation ist etwa so, als würden wir neues Rentenrecht schaffen. Dafür bräuchten wir die Bundesländer auch nicht.

Hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel denn Unrecht, als sie vor zehn Tagen sagte, ohne die Länder gehe es nicht?

Nein. Gerade das durchaus verwirrende und widersprüchliche Bild der letzten Tage, das auch die Ministerpräsidentenkonferenz abgegeben hat, zeigt, dass der Bund jetzt einige grundlegende Festlegungen treffen sollte. Für die Umsetzung braucht man aber selbstverständlich wieder die Ministerpräsidenten, das steht außer Zweifel. Sie sollen ja anhand von bestimmten Kriterien ihre Einzelregelungen treffen können. Wir müssen bloß sicher sein, dass dort, wo die Inzidenzen stark ansteigen und in den 100er-Bereich gehen, nicht gleichzeitig Lockerungsmaßnahmen getroffen werden. Da haben wir in der letzten Zeit festgestellt, dass ein bisschen die Linie verloren gegangen ist.

Dann ist Ihre Initiative vor allem nötig, weil Ihr Parteifreund Tobias Hans das Saarland mit seinen Lockerungen gerade gegen den Strich bürstet?

Ich würde keinen einzelnen herausgreifen wollen. Ich nehme nur das Gesamtbild, es gibt mehrere Beispiele aus dem gesamten Bundesgebiet, die uns gewundert, teilweise verärgert haben. Wir wollen den Ländern nicht ihre Kompetenzen wegnehmen, wir wollen eine zusätzliche Kompetenz des Bundes schaffen.

Aber in dem Moment, wenn der Bund im ganzen Land eine strengere Maßnahme verhängt, tut er das unter Umständen ja auch gegen den Willen einer Landesregierung.

Das ist vollkommen klar. Es steht aber auch im Grundgesetz der ganz einfache und klare Satz: Bundesrecht bricht Landesrecht. Der muss auch bei prinzipiellen Maßnahmen gelten. Wir haben in der letzten Zeit festgestellt, dass die Länder Meinungen vertreten und Maßnahmen verabschiedet haben, die weit auseinanderliegen. Der Bund ist in der ärgerlichen Lage, für alle Folgen fast vollständig allein eintreten zu müssen. Stichwort Wirtschaftsbeihilfe, Stichwort Kurzarbeitergeld. Das zahlt beinahe ausschließlich der Bund. Er hat aber auf der anderen Seite keine Kompetenz, dafür zu sorgen, dass auch gewisse Mindestmaßnahmen gegen eine Pandemie getroffen werden. Uns geht es darum, Mindeststandards durchzusetzen, das ist unser Ziel. Ich glaube, die meisten Ministerpräsidenten haben auch gar nichts dagegen einzuwenden.

Nochmal zu Ihrem Satz, die Zeit dränge. Wie lange würden Sie brauchen, um dem Bund mehr Macht zu geben?

Wir haben das Infektionsschutzgesetz und darin bisher eine Verordnungsermächtigung für die Länder. Daneben muss man im Grunde nur einen einzigen Satz einfügen, dass auch der Bund durch die Bundesregierung eine entsprechende Verordnung erlassen kann. Das kann man innerhalb von zwei Sitzungswochen beraten und verabschieden. Wir haben Rettungspakete für ganz Europa in Milliardenhöhe innerhalb von einer Woche verabschiedet. Dann wird man auch eine derartige Gesetzesänderung so schnell beraten können. Das ist überhaupt kein Problem.

Sie haben positive Reaktionen von mehr als 50 Unions-Abgeordneten. Bei 245 Fraktionsmitgliedern unterstützen Sie also fast 200 Parteifreunde bislang nicht. Und Ihr Koalitionspartner ist noch gar nicht eingepreist. Vielleicht wird das ein Problem?

Vom Koalitionspartner wissen wir aus dem letzten Jahr, dass er solchen Überlegungen positiv gegenüberstand. Klar, noch haben wir keine Mehrheit, noch haben wir keinen Gesetzentwurf. Aber wir haben jetzt eine politische Initiative in der Union, die sich an dieser Stelle bislang eher zurückgehalten hat. Wir meinen, dass wir jetzt einen Schritt nach vorne gehen sollten. Einen ersten Hinweis hat die Bundeskanzlerin gegeben, und es gibt ein dezidiert positives Votum von Bundesinnenminister Horst Seehofer in diese Richtung. Namhafte Vertreterinnen und Vertreter innerhalb der Unionsparteien finden unsere Initiative also richtig. Vollkommen klar, dass das noch nicht die Meinung der Gesamtfraktion ist, die muss sich erst bilden. Dieser Diskussion stellen wir uns jetzt.

Schon im vergangenen Herbst sagte die Kanzlerin: "Das reicht nicht, was wir hier machen." Dann kam die zweite Welle mit Todesraten von mehr als 5000 Gestorbenen in der Woche. Sind Sie mit Ihrer Initiative nicht spät dran? Mit einem beherzten Lockdown im Oktober hätte man viele Leben retten können.

Ja, natürlich. Die Kanzlerin hat, wenn man den gesamten Verlauf der Pandemie sieht, immer mit ihren vorgeschlagenen Maßnahmen richtig gelegen. Nun kommen Mutanten hinzu, die infektiöser und im Krankheitsverlauf gefährlicher sind. Ich möchte mir nicht vorwerfen lassen müssen, dass es Tote gegeben hat, die es nicht hätte geben müssen. Und auch nicht, dass wir wirtschaftliche, soziale und finanzielle Schäden davontragen, die ebenfalls unnötig gewesen wären.

Soll der Machtgewinn für den Bund dauerhaft sein? Oder wäre das nur eine vorübergehende Befugnis?

Es wäre naiv zu glauben, dass Sars-CoV-2 das letzte Virus war, das uns bedroht. Wir haben vieles in dieser Pandemie gelernt, auch, dass wir in den Institutionen besser zusammenarbeiten müssen. Wenn wir jetzt keine Konsequenzen ziehen und uns auch von der Gesetzesarchitektur her auf die nächste Pandemie vorbereiten, dann wäre das fahrlässig. All das ist ein Lernprozess. Ich würde mich auch nie hinstellen und sagen, dass ich diesen Vorschlag, dem Bund mehr Kompetenzen zu geben, schon vor einem Jahr gemacht hätte. Bestimmt nicht.

Mit Johann Wadephul sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de


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