Merkel will Erdogan nicht provozieren

  30 März 2016    Gelesen: 1072
Merkel will Erdogan nicht provozieren
Die Türkei bestellt den deutschen Botschafter ein und beklagt sich über ein Satirevideo. Und die Bundesregierung? Der ist das Thema spürbar unangenehm.
Irgendwann reißt Sawsan Chebli der Geduldsfaden. "Ich hab doch gesagt, wie wir dazu stehen. Wenn wir sagen, für uns ist das nicht verhandelbar, dann ist das doch eine Antwort", sagt die Sprecherin des Auswärtigen Amtes laut und mit etwas vorwurfsvoller Miene in die Runde. Natürlich setze man sich dafür ein, dass die Pressefreiheit eingehalten wird. "Reicht das nicht?", fragt ihr Blick.

Mehr als eine halbe Stunde stellen sich Chebli und die übrigen Regierungssprecher zu diesem Zeitpunkt bereits den Fragen der Journalisten. An diesem Tag dominiert vor allem das Thema Türkei. Der deutsche Botschafter Martin Erdmann war am Dienstag zum zweiten Mal von der türkischen Regierung einbestellt worden. Diese zeigte sich höchst verärgert über die deutsche Satiresendung "Extra 3" und soll sogar die Löschung eines Videos gefordert haben. Und nun? Wie groß ist die Belastung für das deutsch-türkische Verhältnis? Darf die Türkei trotzdem irgendwann der EU beitreten? Ein Affront oder Schwamm drüber?

"Darüber kann man sich nur wundern"

Die Fragesteller stochern hartnäckig, doch Chebli und die anderen Sprecher halten sich bedeckt. Nach den diplomatischen Verwerfungen der vergangenen Tage sind sie um Deeskalation bemüht. In der Flüchtlingskrise ist die türkische Regierung um ihren Präsidenten Recep Tayyip Erdogan als Verbündeter schlicht zu wichtig, als dass man sie provozieren oder sogar nachhaltig verstimmen sollte. Nur hinter vorgehaltener Hand hört man aus dem Auswärtigen Amt Sätze wie: "Die türkische Regierung hat sich selbst einen Bärendienst erweisen. Jeder spricht jetzt über die satirische Sendung. Sie ist in aller Munde. Darüber kann man sich nur wundern."

Offen lassen sich die Sprecher nicht viel entlocken. Die Bundesregierung habe ihre Haltung zur Bedeutung der Meinungsfreiheit gegenüber der türkischen Regierung deutlich gemacht, erklärt Regierungssprecherin Christiane Wirtz. "Sendungen wie die beanstandeten gehören selbstverständlich zur deutschen Medienlandschaft dazu." Chebli ergänzt, Rechtsstaatlichkeit, die Unabhängigkeit der Justiz sowie Presse- und Meinungsfreiheit seien "hohe Güter", die geschützt werden müssten. Auch politische Satire sei davon gedeckt. Botschafter Erdmann habe in Ankara klargemacht, dass diese Themen bei allen politischen Gemeinsamkeiten "nicht verhandelbar" seien.

"Hohe Güter", "nicht verhandelbar" – deutlicher werden Wirtz und Chebli nicht. Auch auf mehrfache Fragen wollen sie im Namen der Bundesregierung keine Kritik an der Türkei äußern. Details aus den Gesprächen, ob wirklich eine Löschung des Videos gefordert wurde, wollen sie nicht preisgeben. Nur so viel: Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier hätten ihre Haltung zu dem Thema zuletzt mehrfach erklärt. Darüber hinaus gäbe es weder die Notwendigkeit noch die Möglichkeit für ein Handeln der Bundesregierung - also kein Bedarf für ein Gespräch zwischen Merkel und Erdogan. Schweigen ist Gold.

"Dies ist nicht Ihr Land, dies ist die Türkei"

Die Sprecher widersprechen dem Vorwurf, sie würden den türkischen Vorwürfen nicht mit genügend Entschlossenheit begegnen. Die Bundesregierung agiert zurückhaltend, sie mag die aufgeregte Stimmung nicht noch weiter aufheizen. Das hat Gründe. Denn es geht längst nicht nur um "extra3". Mehrere Ereignisse sorgten im März für diplomatischen Zündstoff. Anfang des Monats verstaatlichte Erdogan die regierungskritische türkische Zeitung "Zaman". Vor ein paar Tagen startete in Istanbul der Prozess gegen zwei unliebsame Journalisten, denen Spionage vorgeworfen wird. Das Gericht schloss jedoch die Öffentlichkeit, darunter auch Diplomaten wie Erdmann, von dem Prozess aus. "Diplomatie unterliegt einem gewissen Anstand und Umgangsformen. Dies ist nicht Ihr Land, dies ist die Türkei", empörte sich Erdogan. Und dann noch die Sache mit dem Satirevideo "Erdowie, Erdowo, Erdogan".

Vor diesem Hintergrund wurde der deutsche Botschafter einbestellt, wie es im Diplomatenjargon heißt. Es handele sich um eine schärfere Form der Terminvereinbarung, die akuteren Gesprächsbedarf signalisiert, erklärt Auswärtiges-Amt-Sprecherin Chebli. Eine solche Einbestellung sei nichts Außergewöhnliches. Dieses Instrument werde selten angewandt, verletze jedoch nicht die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Staaten. Das gelte auch in diesem Fall. Die Türkei sei ein wichtiger politischer Partner, mit dem man bei vielen Themen kooperiere.

Also alles erledigt? Die Bundesregierung will zumindest nicht den Eindruck aufkommen lassen, dass die Beziehungen zur Türkei vergiftet sind. Der Streitpunkt Satire, das sagt Wirtz schließlich, sei ja nicht ganz neu. 2014 hatte es vonseiten der türkischen Regierung Kritik an einer Abbildung in einem deutschen Schulbuch gegeben, die Erdogan als Kettenhund zeigt. Man müsse auch in Zukunft sowohl über lösungsorientierte Zusammenarbeit wie in der Flüchtlingskrise als auch über kritische Entwicklungen sprechen. Ein kleiner Streit unter Freunden also, mehr nicht.

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