Russische Truppen wollen ukrainischen Angaben zufolge Verteidigungsanlagen im Umkreis von Kiew durchbrechen und weiter in Richtung der Hauptstadt vorstoßen. Im Nordwesten und im Osten wehre die ukrainische Armee Versuche russischer Soldaten ab, die Kontrolle über wichtige Straßen und Siedlungen zu übernehmen, teilte der ukrainische Generalstab am Montagvormittag mit. Das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte unterdessen Aufnahmen von gepanzerten Fahrzeugen, die rund 40 Kilometer von Kiew entfernt den Ort Salissja verlassen haben und auf der Fernstraße E95 unterwegs sein sollen. Die Angaben beider Seiten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Eigentlich passt die Befürchtung der ukrainischen Streitkräfte nicht zu den Entwicklungen der letzten Zeit. Sowohl das ukrainische als auch das britische Verteidigungsministerium hatten zuletzt zunächst von einem Stillstand der russischen Truppen berichtet und in den letzten Tagen vermehrt von erfolgreichen Gegenoffensiven der ukrainischen Streitkräfte gesprochen. Demnach war vor Tagen bereits der Ort Makariw westlich von Kiew zurückerobert worden. Auch die Ortschaften Bucha und Irpin gelten wieder als umkämpft. Am 25. März hieß es von ukrainischer Seite gar, 80 Prozent von Irpin stünden wieder unter Kontrolle der Ukrainer. Auch östlich der Hauptstadt soll es zuletzt Erfolge gegeben haben: Die Ortschaft Lukyanivka sei seit Ende der letzten Woche wieder in der Hand der Ukrainer, hieß es.
An anderen Fronten tut sich derzeit wenig. In der seit Beginn der Invasion umkämpften Stadt Sumy falle es den russischen Truppen weiterhin schwer, Nachschub an Material und Truppen sicherzustellen. Auch hier gibt es Hinweise, dass sich die russischen Truppen neu gruppieren könnten und sich daher taktisch zeitweise zurückziehen. Ob das mit der vermeintlich neuen Fokussierung Russlands auf die "Befreiung des Donbass" zu tun hat, ist unklar. Allerdings soll es auch im Osten kein echtes Vorankommen für russische Kräfte geben. Vor allem rund um die Stadt Isjum leisten die ukrainischen Streitkräfte starken Widerstand. Von dort wollten die russischen Streitkräfte nach Einschätzung vieler Militärexperten nach Süden vordringen, um die ukrainischen Truppen in der Ostukraine vom Westen des Landes abzuschneiden. Das gelingt derzeit offenbar nicht. Aktuell taucht auf Twitter ein Video auf, in dem ein brennendes Wrack zu erkennen ist. Das ukrainische Verteidigungsministerium behauptet, dass es sich dabei um ein russisches Kampfflugzeug handele, das bereits am Donnerstag in der Region rund um Isjum abgeschossen wurde.
Werden Verteidiger in Mariupol getrennt?
Am ehesten erfolgreich sind die russischen Truppen derzeit in der Stadt Mariupol. Dort sollen sie von zahlreichen Kämpfern aus Tschetschenien und den Separatistengebieten unterstützt werden. Die rücken immer weiter in das Stadtzentrum vor. Es gibt Videos, wie russische Kämpfer vor dem Rathaus des Stadtteils Kalmiuskyi stehen. Experten sehen die Gefahr, dass die ukrainischen Verteidiger in Mariupol in zwei oder mehrere kleinere Gruppen geteilt und voneinander abgeschnitten werden könnten. Das würde ein Vorrücken der Angreifer deutlich erleichtern. Der Beschuss der Stadt dauert indes weiterhin an. Noch immer befinden sich zahlreiche Zivilisten in der zu großen Teilen zerbombten Hafenstadt. Die Einrichtung humanitärer Korridore scheiterte mehrfach. Die Stadt ist seit Wochen ohne fließendes Wasser, Strom, Heizung und Nahrung.
Der ukrainische Generalstab berichtete am Morgen zudem von andauernden Kämpfen auch in anderen Landesteilen - darunter in den Regionen Mykolajiw und Saporischschja im Süden. Vor allem Mykolajiw kommt eine zentrale Bedeutung zu. Sie ist die letzte größere Stadt, die auf dem Weg nach Odessa liegt. Die Hafenstadt im Südwesten der Ukraine wiederum gilt als "Tor nach Kiew". Von dort aus könnte die russische Armee ohne größere Widerstände nach Norden gegen die Hauptstadt vorstoßen, sagen Experten. Die Ukrainer verteidigen bisher nicht nur Mykolajiw erfolgreich, sondern starten ihrerseits Angriffe auf die Stadt Cherson, die bereits seit Längerem vollständig unter russischer Kontrolle steht.
Quelle: ntv.de, als/dpa
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