Hört man den Marketingleuten von Kia und Hyundai zu, geht es dort wunderbar harmonisch zu. Niemand von den beiden Marken neidet dem jeweils anderen Hersteller etwas. Aber ein bisschen gewurmt muss es Kia schon haben, dass Hyundai beim Ioniq 5 N immer mit 650 PS Boostleistung am Kunden baggern konnte, während sich der Kia EV6 GT mit "nur" 430 kW/585 PS begnügen musste.
Damit ist jetzt Schluss, Kia zieht seit dem jüngsten Facelift endlich gleich mit dem Athleten der Schwestermarke. Und Facelift ist ein gutes Stichwort, denn wirft man einen Blick auf die EV6-Front, sieht man die Änderungen sofort. Zunächst kamen die niedrigerrangigen Modelle in den Genuss eines neu gestalteten Lichtdesigns vorn - und jetzt eben auch der GT. Wirklich weltbewegend ist das nicht, aber markant durchaus.
Und die Topvariante GT erkennt man nach wie vor am besten an den neongelben Bremssätteln. Während eine Wespe mit prägnantem schwarz-gelben Körper ihr Umfeld warnt, macht es der EV6 GT qua kleiner Farbkleckse hinter den sportiven 21-Zoll-Felgen: Mit diesem automobilen Zeitgenossen legt man sich besser nicht an.
Harmlos aussehend, aber ...
Lautlos und voller Wucht krallen sich die Pneus unter voller Last in den Asphalt und katapultieren den an und für sich harmlos aussehenden Mittelklässler ähnlich schnell auf Landstraßentempo wie gestandene Supersportler. Länger als 3,5 Sekunden soll diese Prozedur nicht dauern. Und anders als den meisten ebenfalls zügigen batterieelektrischen Fahrzeugen geht diesem Koreaner die Puste nicht so schnell aus. Erst bei 260 Sachen macht der 2,3-Tonner Schluss. Doch darum geht es bei dieser Fahrvorstellung nicht einmal.
Kia möchte zeigen, dass der 4,70 Meter lange, nennen wir ihn einfach mal Komfort-Sportler, auch die nötige Portion an Querdynamik mitbringt. Dafür haben die Kollegen und Kolleginnen der Frankfurter Importorganisation das Testcenter im nahe bei Aachen gelegenen Aldenhoven gebucht, den weitläufigen Asphalt dort mit jeder Menge Wasser gesprenkelt und eine Handvoll brandneuer EV6 GT bereitgestellt.
100 Prozent Spaß
Und dann wird die Driftfunktion aktiviert - sozusagen der eingebaute Spaßmodus, um ungeübten Fahrern das bewusste Überschreiten der Seitenführungshaftgrenze zu ermöglichen. Denn ein Drift bedeutet ja schließlich die Abkehr der sauberen Spur. Das Auto schiebt in diesem Fall über die Hinterräder gen Kurvenaußenrand. Und wer den Drift beherrscht, bekommt das Auto quasi für unbegrenzte Zeit quer in der Spur gehalten, wenn man so will. Wer ihn beherrscht! Leider agiert der Elektrosportler derart biestig, dass die meisten Driftversuche in unkontrollierten Drehern mit viel Rauch münden. Aber der Spaßfaktor ist zu 100 Prozent gegeben.
Doch seien wir ehrlich, wer fährt mit einem Kia EV6 schon auf dem Track? Eben, und daher reicht es, wenn der Koreaner im Alltag mächtig Spaß bereitet. Wenn man mal kurzerhand mit einem klitzekleinen Gaspedal-, ähm, Strompedalstoß in eine enge Verkehrslücke hüpft oder dem potenten Dienstwagen-Diesel-BMW auf der Einfädelspur die Rücklichter zeigt, bedeutet das nämlich Fahrspaß pur.
Virtuelle Übersetzungswechsel
Und noch etwas haben die Techniker beim EV6 jüngst eingeführt. So lassen sich analog zu Hyundai Ioniq 5 N und Genesis GV60 virtuelle Übersetzungswechsel realisieren. Und das System ist wirklich gut durchdacht. Nicht genug damit, bloß eine entsprechende Klangkulisse zu erzeugen. Wenn man beispielsweise in den fünften Gang schaltet bei Bummeltempo und mit dem rechten Pedal volle Last anlegt, reduziert das System das Drehmoment so weit, dass man die Situation wirklich exakt so erlebt, als fahre man in einem Auto mit Verbrennungsmotor bei langsamer Geschwindigkeit im großen Gang. Außerdem geht bei jedem Gangwechsel unter Volllast ein künstlich erzeugter Ruck durch das ganze Auto.
Wem das alles zu viel unnütze Spielerei ist, dürfte wenigstens die Nachricht der vergrößerten Akkukapazität positiv aufnehmen. Immerhin 7 Kilowattstunden mehr fasst der Stromspeicher (insgesamt 84 kWh) neuerdings. Allerdings reicht das auch bloß für 26 Mehr-Kilometer - auf 450 Kilometer beziffert das Werk die kombinierte WLTP-Reichweite demnach.
In 18 Minuten von 10 auf 80 Prozent
Gut, dass der Kia über die begehrte 800-Volt-Technologie verfügt und zumindest bei halbwegs milden Temperaturen binnen 18 Minuten von 10 auf 80 Prozent lädt. Dass das eine realistische Option ist, haben die Kia-Produkte schon öfter in der Praxis bewiesen. Ist es draußen kälter, hilft die Batterieheizung, um das versprochene Ladetempo mit (leicht gesteigerten) 258 kW Ladeleistung einigermaßen beizubehalten. Ob man den werksseitig angegebenen Durchschnittsverbrauch von 20,9 kWh je 100 Kilometer immer einhält, darf man jedoch infrage stellen - zu viel Spaß macht dieser Kia bei forcierter Gangart.
Bleibt die Preisfrage. Wer vor einem Jahr noch EV6 GT fahren wollte, musste 3.000 Euro mehr bezahlen - so kostet der Potenzbrocken jetzt nicht mehr 72.990, sondern nur noch 69.990 Euro. Das ist absolut betrachtet immer noch eine ordentliche Stange Geld, geht aber angesichts des Gebotenen in Ordnung. Und immerhin gibt es jetzt noch mehr Spaß und Spiel mit dem stärksten Kia aller Zeiten.
Kia EV6 GT - technische Daten
Crossover-Limousine der Mittelklasse
Länge: 4,70 Meter, Breite: 1,89 Meter, Höhe: 1,55 Meter, Radstand: 2,90 Meter, Kofferraumvolumen: 480 bis 1.250 Liter
Zwei Permanentsynchronmaschinen, Leistung: maximal 478 kW/650 PS (Launch Control), maximales Drehmoment: 770 Nm, eine feststehende Übersetzung, Allradantrieb
0-100 km/h: 3,5 s, Vmax: 260 km/h, Durchschnittsverbrauch: 20,9 kWh/100 km (WLTP)
Preise: ab 69.990 Euro
Quelle: ntv.de, Patrick Broich, sp-x
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