Wie umgehen mit Russlands Weltkriegsgedenken?

  25 April 2025    Gelesen: 73
  Wie umgehen mit Russlands Weltkriegsgedenken?

Der russische Botschafter will es wieder tun. Nach dem Gedenken an die Schlacht um die Seelower Höhen will Sergej Netschajew auch am "Elbe Day" teilnehmen. Dabei verteidigt er vehement den Überfall auf die Ukraine. Für die Veranstalter ist es ein Dilemma.

Joachim Gauck nannte es "eines der größten Verbrechen" des Zweiten Weltkriegs. Er meinte die mehr als fünf Millionen sowjetischen Soldaten, die zwischen 1941 und 1945 in deutsche Gefangenschaft gerieten. Deutlich mehr als die Hälfte von ihnen kam laut Gauck um. "Sie gingen an Krankheiten elendig zugrunde, sie verhungerten, sie wurden ermordet", sagte der damalige Bundespräsident 2015, als des 70. Jahrestages des Kriegsendes in Europa gedacht wurde.

"Aus mancherlei Gründen ist dieses grauenhafte Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen in Deutschland nie angemessen ins Bewusstsein gekommen", sagte Gauck. Er hob in seiner Rede auch die Rolle der Roten Armee bei der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus hervor, sprach vom "aufopferungsvollen Kampf" in Ost und West, der es möglich gemacht habe, "dass wir in Deutschland heute in Freiheit und Würde leben können".

Das Gedenken an die toten Soldaten der Roten Armee - es sollte nicht in Vergessen geraten, wenn es um die Opfer des Zweiten Weltkriegs geht. Doch schon 2015 lag ein Schatten auf der Erinnerung. Nur ein Jahr zuvor hatte Russland die ukrainische Halbinsel Krim annektiert und unterstützte die Separatisten in der Ostukraine im Krieg gegen die Regierung in Kiew.

Heute, 80 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands, ist das Gedenken an die sowjetischen Soldaten ungleich schwerer. Denn der Kreml hat 2022 nicht nur den großangelegten Überfall auf das Nachbarland befohlen, sondern seitdem auch zahllose Kriegsverbrechen zu verantworten: von Massakern an Zivilisten über die Entführung ukrainischer Kinder bis zur rücksichtslosen Bombardierung von Wohnhäusern. Russland ist der Aggressor in diesem Krieg. Spielraum für Interpretationen gibt es da nicht.

"Eine klare Verhöhnung der Opfer"

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer betonte, dass das Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs "nicht losgelöst von der aktuellen militärischen Aggression Russlands begangenen werden kann". Die wichtigste Lehre aus dem Weltkrieg sei, weitere Kriege zu verhindern. "Mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Russland dieses gemeinsame Fundament verlassen", sagte der CDU-Vize der dpa.

Was also, wenn ein offizieller Vertreter Russlands nun in Deutschland am Gedenken zum Kriegsende teilnehmen will? So wie der russische Botschafter Sergej Netschajew. Der beteiligte sich erst - wie in jedem Jahr - an der Gedenkveranstaltung zur Schlacht an den Seelower Höhen. Nun will er auch den "Elbe Day" besuchen, der an die Begegnung amerikanischer und sowjetischer Soldaten am 25. April 1945 an der Elbe bei Torgau erinnert.

Zu beiden Veranstaltungen wurde Netschajew nicht explizit eingeladen. Aber eben auch nicht ausgeladen, wie es das Auswärtige Amt in einer Handreichung an Länder, Kommunen und Gedenkstätten rät. Das Ministerium hat die Befürchtung, das Gedenken könnte instrumentalisiert werden, es könnte "Desinformation" und "geschichtsrevisionistische Verfälschung" geben. Der Bundestag ist dem Rat nachgekommen. Die Botschafter Russlands und des engen Verbündeten Belarus werden nicht an der zentralen Gedenkfeier am 8. Mai im Bundestag teilnehmen. Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten hält es ebenso - Vertreter beider Länder müssen draußen bleiben.

Aber ist es so einfach? Man möchte gern sagen: ja. Russlands Vorgehen in der Ukraine ist brutal und menschenverachtend. Machthaber Wladimir Putin hat sich nicht weniger als die Auslöschung eines ganzen Landes und seiner Kultur zum Ziel gesetzt. Mehr noch: In perfider Weise hat der Mann im Kreml die Tatsachen verdreht und den Krieg gegen die Ukraine zum Kampf gegen den Faschismus erklärt - und damit eine sowohl widerliche als auch falsche Parallele zum Zweiten Weltkrieg gezogen.

Wie soll ein gemeinsames Kriegsgedenken, Seite an Seite mit dem höchsten Vertreter dieses Staates, die eben noch Kiew und andere Städte bombardiert haben, funktionieren? Zumal Netschajew den Angriff auf die Ukraine wahlweise verteidigt oder gar leugnet. "Wir haben die Ukraine nicht überfallen", behauptete er im vergangenen Jahr - und stellte den Krieg als eine Art Notwehr dar. Beim Gedenken an den Seelower Höhen trug Netschajew zudem das Sankt-Georgs-Band. Das Militärabzeichen erinnert nicht nur an den Sieg gegen das nationalsozialistische Deutschland, sondern ist im Krieg gegen die Ukraine auch ein Propaganda-Symbol und Zeichen der Loyalität gegenüber Putin. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, nannte das "eine klare Verhöhnung der Opfer - der Opfer von vor 80 Jahren und der Opfer von heute". Er fordert, Netschajews Teilnahme in Torgau zu unterbinden.

Die Deutschen haben im Osten gewütet

Russische Vertreter also vom Gedenken ausschließen? So einfach ist es nicht. Denn die ehemaligen sowjetischen Staaten haben ein Recht darauf, ihrer Gefallenen zu gedenken. Die Rote Armee hatte einen großen Anteil an der Befreiung Deutschlands, selbst wenn Moskau später eine weitere Diktatur auf deutschem Boden errichtete. Und die Bevölkerung der sowjetischen Staaten hat viele Opfer gebracht. Gerade an der Ostfront hatten die Deutschen vor allem ein Ziel: Vernichtung. SS und Wehrmacht gingen hier wesentlich härter vor als in anderen eroberten Gebieten. Die slawische Bevölkerung wurde als minderwertig angesehen - das zeigt nicht zuletzt der barbarische Umgang mit den sowjetischen Kriegsgefangenen.

Sowjetisch, nicht russisch. Die Ukraine war schon im Zweiten Weltkrieg ein besonders gepeinigtes Land. So wie nicht nur Russen in der Roten Armee kämpften, sondern auch Ukrainer, Belarussen, Kirgisen, Georgier, Usbeken, Kasachen, Turkmenen und Soldaten und Soldatinnen aller anderen Völker, die in der Sowjetunion lebten. Russland hat hier keinen Alleinvertretungsanspruch.

Und was nun mit Netschajew machen? Vielleich am besten aushalten. Sich darüber aufzuregen, wäre zu viel der Ehre. Eingeladen wurde er ohnehin nicht, weder im brandenburgischen Seelow noch im sächsischen Torgau - auch wenn die russische Botschaft es so darstellt. Und "vom Hausrecht Gebrauch zu machen", ihn also des Platzes zu verweisen, wie es das Außenamt im Notfall vorschlägt, würde ihn nur in seiner Opferrolle bestärken und propagandistisch ausgeschlachtet werden.

Das heißt noch lange nicht, dass man ihm eine Bühne bieten muss. Die Anfrage für eine Rede wurde von Torgau "ausgeschlagen, um keine Plattform zu geben", wie es Oberbürgermeister Henrik Simon sagte. Gut so - das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg eignet sich nicht für russische Propaganda. Im Mittelpunkt sollte die Erinnerung an das Kriegsende 1945 stehen. Dabei können die Veranstalter durchaus eigene Schwerpunkte setzen. Zum Beispiel das Leid der Ukraine im Weltkrieg darstellen. Oder zeigen, wie brutale Regime enden, wenn man sich ihnen entschlossen entgegenstellt. Da könnte auch Netschajew noch etwas lernen.

Quelle: ntv.de


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