Gagausen in Moldawien: Türkisch-russisches Bindeglied in Zeiten der Spannungen

  01 April 2016    Gelesen: 7516
Gagausen in Moldawien: Türkisch-russisches Bindeglied in Zeiten der Spannungen
Die bedeutende christlich-türkische Minderheit Moldawiens, die Gagausen, sind fernab türkisch-russischer Spannungen mit Blick auf Syrien unter Druck geraten. Anstatt zwischen die Fronten zu gelangen, wünschen sich zahlreiche Bürger, ein politisches Tauwetter zwischen Moskau und Ankara.
Außerhalb des Regierungsgebäudes in Comrat, der Hauptstadt des autonomen Gebiets Gagausien, steht eine Statue des russisch-kommunistischen Führers Wladimir Lenin. Geradewegs gegenüber auf dem anderen Ende der Straße jedoch findet sich eine türkische Bibliothek wieder, die den Namen des Begründers der Türkei und Präsidenten Mustafa Kemal Atatürk trägt. Die Symbolkraft der Statue und die Bibliothek weisen auf das Dilemma hin, vor dem die Gagausen stehen, eine russischsprachige türkische Minderheit in Moldawien.

In Gagausien, das in Süd-Moldawien verortet ist, leben einer Volkszählung von 2011 zufolge nicht weniger als 160 000 Menschen. Die im Zuge des Abschusses eines russischen Bomberjets im November 2015 im türkisch-syrischen Grenzgebiet durch die Luftwaffe der Türkei aufgetretenen Spannungen zwischen Moskau und Ankara lösten Ängste aus, dass der Konflikt auch auf andere Bereiche überschwappen könnte, in denen türkisch-russischer Berührungspunkte bestehen.

Im Interview mit dem US-Nachrichtenportal VOA kommentierte die Leiterin des ethnografischen Museums von Comrat, Ludmila Marin, die Entwicklung. Dabei legte sie Fotografien und Dokumente vor, die den türkischen Hintergrund der Gagausen umreißen. „Unsere Nation ist historisch betrachtet eine türkische, aber das Schicksal brachte uns auf das Territorium von Russland.“

In einem anderen Raum des Museums wurden Waffen ausgestellt, die die Rote Armee im Zweiten Weltkrieg nutzte. Mit der Unabhängigkeit Moldawiens in den 1990er Jahren von der Sowjetunion lehnte sich die türkische Minderheit an Russland an, während die Türkei im Zuge wirtschaftlicher Expansion ihren Einfluss in den letzten Jahren ausbauen konnte. Die sich verschlechternden Beziehungen zwischen Russland und der Türkei auf Grund der Entwicklung in Syrien, wo beide Seiten einander gegenseitig bekämpfende Akteure unterstützen, haben dazu geführt, dass sich die Gagausen zunehmend zwischen den Fronten fühlen.

Die Gouverneurin von Gagausien, Irina Vlah, sagte gegenüber VOA:

„Heute ist es für uns sehr hart, eine offizielle Position zu diesem Konflikt zu beziehen, weil wir uns wünschen, die Beziehungen zu beiden Seiten aufrechtzuerhalten.“

Gagausien wurde in der Vergangenheit weitreichende Autonomierechte vonseiten Moldawiens zugesprochen. Korruptionsskandale und nach wie vor vielseitige Verbindungen zu Russland haben in den letzten Jahren Skepsis bezüglich der europäischen Orientierung Moldawiens ausgelöst.

„Wir sind Teil der Türkisch sprechenden Welt“, sagte Nina Balava, eine befragte Bewohnerin aus Comrat. „Aber wir sind auch nach Russland ausgerichtet.“ Moskau verbot in Reaktion auf Moldawiens Annäherung zur Europäischen Union den Import von Wein aus Moldawien. Russland erlaubt allerdings gagausische Importe, was die türkische Minderheit gegenüber der restlichen moldawischen Wirtschaft begünstigt.



Auf dem Regal im Büro der Gouverneurin Vlah war ein Bild von ihr mit Valentina Matwiyenko zu sehen. Matwiyenko ist die Sprecherin des russischen Oberhauses im Moskauer Parlament. Sie gilt als nationalistisch gesinnt und wurde im Zuge der Krim-Krise vom Westen sanktioniert. Sie bemerkte jedoch, dass die politische Führung Gagausiens neben russischen Investoren vor allem türkische Unternehmen ins Land zu locken versucht.

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