“Klar werde ich häufiger rausgezogen bei Kontrollen“

  07 April 2016    Gelesen: 737
“Klar werde ich häufiger rausgezogen bei Kontrollen“
Sternekoch Nelson Müller hat Erfolg in der Küche und im TV. Er hält Schweinefleisch für einen wichtigen Bestandteil deutscher Küche. Und hat eine Vorstellung, wie Integration funktionieren kann.
Mit vier Jahren kam Nelson Müller aus Ghana nach Deutschland, er wuchs bei Pflegeeltern in Stuttgart auf und wurde später adoptiert. Der 35 Jahre alte Koch betreibt zwei Restaurants in Essen, eines davon trägt einen Michelin-Stern. Für das ZDF ist er als Fernsehkoch tätig und dreht Reportagen. Jetzt erscheint sein Kochbuch "Öfter vegetarisch" (Dorling Kindersley, München. 192 S., 19,95 Euro).

Die Welt: Herr Müller, wann haben Sie Ihre letzte Currywurst gegessen?

Nelson Müller: Das war letzte Woche, in meinem Restaurant. Da haben wir die ja auf der Speisekarte. Wenn da eine zu viel herumliegt, dann nehme ich mir ein Stück und habe gleich ein schlechtes Gewissen, weil dann im Laufe des Tages sicher noch ein Löffel Eintopf hier, ein Stück Käsekuchen da dazukommt.

Die Welt: Es wurde zuletzt über Schweinefleisch in Kantinen und Kitas debattiert. Wie finden Sie das?

Müller: Ich finde die Forderung gut, denn das ist unsere Kultur. Schweinefleisch ist ein wichtiger Bestandteil unserer Küche, ein Traditionsgut, das zu erhalten wichtig ist. Noch wichtiger wäre es aber, zu vermitteln, dass man mehr Geld dafür ausgibt und hochwertiges Fleisch kauft.

Die Welt: Ihr Buch heißt "Öfter vegetarisch". Gibt es nicht genügend Bücher über vegetarische Ernährung?

Müller: Es ist ja kein rein vegetarisches Kochbuch, sondern einfach eine Liebeserklärung an Lebensmittel. Allein wenn ich ein Stück Kohl in der Hand halte, ist das für mich etwas ganz Besonderes. Oder ein Stück Brot, ein Liter Milch, großartig. Da brauchen wir noch gar nicht über Lebewesen zu sprechen, das ist noch mal eine ganz andere Stufe. Es kann zum Beispiel meiner Meinung nach nicht sein, dass es in Deutschland günstiger ist, eine kranke Kuh zu entsorgen, als sie von einem Tierarzt behandeln zu lassen.

Die Welt: Sie fordern, wir sollten uns zu 80 Prozent vegetarisch ernähren. Halten Sie sich daran?

Müller: Noch nicht, aber ich arbeite dran. In manchen Phasen esse ich sehr viel Gemüse, aber dann gibt es auch wieder andere. Das liegt auch daran, dass ich meistens mit meinen Mitarbeitern zu Mittag esse, die sehr gern Fleisch essen. Jetzt kann ich meinen Mitarbeitern ja nicht einfach vorschreiben, was sie zu essen haben, und die Menüs dementsprechend anpassen.

Die Welt: Warum nicht? Sie können doch als Chef sagen: Okay, ab sofort gibt es nur zweimal in der Woche Fleisch zum Mittagessen.

Müller: Das könnte ich natürlich tun. Aber wie gesagt, diese Erhobene-Zeigefinger-Mentalität liegt mir nicht.

Die Welt: Sind diese 80 Prozent in der deutschen Ernährungslandschaft ein realistisches Ziel?

Müller: Das glaube ich kurzfristig nicht. Aber es gibt eine Richtung vor. Wenn ich darauf achte, hochwertiges Fleisch zu kaufen, keines aus Massentierhaltung, dann ergibt sich das mittelfristig ganz automatisch. Kaum jemand kann es sich ja leisten, jeden Tag ein Rinderfilet für 40 Euro oder ein Huhn für 12 Euro das Kilo zu kaufen.

Die Welt: Menschen, die an oder unter der Armutsgrenze leben, dürften nach Ihrem Verständnis ja gar kein Fleisch essen.

Müller: Na ja, es gibt ja tolle Alternativen. Wenn das Rinderfilet 40 Euro das Kilo kostet, schluckt jeder erst einmal, auch der Wohlhabende. Wenn ich dann sage, pass auf, es gibt eine Alternative, die genauso viel Spaß macht und genauso wertig ist, dann ist das doch toll. Kaiserschmarrn zum Mittagessen zum Beispiel. Oder eine Portion Spargel mit einer guten Soße – super! Da brauche ich kein Fleisch. Letztens habe ich eine gekochte Kartoffel gegessen, gesalzene Butter drauf, einmal mit der Pfeffermühle drüber – und die Welt war in Ordnung.

Die Welt: Trägt der kulturelle Einfluss von Flüchtlingen schon zu neuen Essgewohnheiten bei?

Müller: Nein, die leben ja fast alle abgeschirmt von uns. Noch sehe ich da wenige Wechselwirkungen. Das ist schade. Als Kind habe ich das anders erlebt, da gingen Balkanflüchtlinge in meine Klasse, man hat gequatscht und sich kennengelernt.

Die Welt: Sie haben selbst einen Migrationshintergrund. Wie erlebt jemand wie Sie die "Refugees Welcome"-Kultur?

Müller: Ich fühle da immer einen leichten Stich im Herzen. Meine Eltern sind als Flüchtlinge aus Ghana gekommen, auch wenn sie dort nicht verfolgt wurden. Die, die jetzt kommen, haben Härteres erlebt. Ich bewundere die Menschen, die sich mit den Begrüßungsschildern an den Bahnhof stellen. Denn es ist Teil unserer Kultur, immer Angst zu haben. Angst vor dem Fremden, Angst davor, dass uns etwas weggenommen wird. Die, die jubelnd am Bahnhof stehen, bilden einen wichtigen Gegenpol.

Die Welt: Viele Prominente tun per soziale Medien lautstark ihre Meinung zur Flüchtlingskrise kund.

Müller: Ich finde das ganz richtig und wichtig, weil zurzeit durch Deutschland ein klarer Rechtsruck geht. Auch die AfD-Wahlerfolge sollten uns alle alarmieren.

Die Welt: Warum erheben Sie nicht Ihre Stimme?

Müller: Ich bin vorsichtig. Wegen meiner Hautfarbe sehe ich mich ein Stück weit als gefährdet an. Das ist nicht so ungefährlich, wenn ich da an den NSU denke zum Beispiel. Letztes Jahr haben Skinheads an die Scheibe meines Restaurants geklopft und geschrien: "Neger, komm raus!"

Die Welt: Dunkelhäutige Menschen in Deutschland beklagen manchmal, dass sie öfter als Weiße von der Polizei angesprochen und kontrolliert würden.

Müller: Klar wird man häufiger rausgezogen für Kontrollen. Da können sie mir noch hundertmal sagen, dass sie jeden gleich behandeln. Wenn du als Dunkelhäutiger abends in Bahnhofsnähe unterwegs bist, wirkt das immer erst einmal verdächtig. Aber das ist für mich mittlerweile normal. Glücklicherweise erkennen mich die Leute immer öfter, sodass solche Dinge seltener vorkommen.

Die Welt: Engagieren Sie sich persönlich für Flüchtlinge?

Müller: Ich denke intensiv darüber nach. Uns geht es sehr gut, klar. In meinem Leben ist mir viel Schönes widerfahren, viel Sonne. Deswegen überlege ich schon länger, ob ich nicht jemanden bei mir zu Hause aufnehmen soll, dem es nicht so gut geht.

Die Welt: Was spricht dagegen?

Müller: Das ist ein ganz menschliches Abwägen, ob man dazu bereit ist, seinen Hausschlüssel mit einem Fremden zu teilen. Solch eine Entscheidung trifft man nicht mal spontan nebenher.

Die Welt: Wie kann Integration in Deutschland gelingen?

Müller: Ich bin der Meinung, dass wir unsere Kultur mehr abfeiern dürfen – und müssen. Wenn man seinen eigenen Lebensstil mit all seinen Facetten auslebt, dann schafft man einen Rahmen, in den man viel leichter Leute integrieren kann. Dann verstehen sie uns leichter. Mit anderen Kulturen müssen wir uns viel mehr austauschen, um uns einander hineinzufühlen. Das ist wie mit heimischen und fremden Kochrezepten. Es gibt ganz viele Parallelen zwischen den Kulturen, die man aber gar nicht erkennen kann, wenn man sie nicht vergleichen kann. Dem Menschen ist es ins Blut gelegt, zu denken: Was ich nicht kenne, mag ich erst einmal nicht. Das ist das ein Problem. Wegschauen, sich nicht trauen, das zählt nicht! Denn so entstehen Parallelgesellschaften.

Die Welt: Das heißt, ich als Einheimischer soll einfach einen fremd Aussehenden auf der Straße ansprechen?

Müller: Ja, zum Beispiel. Gehen Sie nicht immer nur in "Ihr" Café. Setzen Sie sich einfach mal in eine Shisha-Bar, in der Türken unter sich sind. Sprechen Sie die an. Reden Sie mit denen, über Feste, über Traditionen, über Heimat. So bringen Sie deren Augen zum Leuchten.

Quelle : welt.de

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