"Tu Gutes und rede darüber", lautet ein Sprichwort aus der Werbung, auch wenn die Bibel eigentlich das Gegenteil lehrt. In diesem Sinne verhalten sich Bundesregierung und Bundeswehr denkbar christlich. Selten zuvor waren das deutsche Militär und die deutsche Rüstungsindustrie in einem bewaffneten Konflikt so eindeutig auf der richtigen Seite engagiert wie bei der Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte im Krieg gegen die russischen Invasoren. Doch die Bundeswehr, die auf ihren vielfältigen Kanälen sonst jede übungsweise Befüllung eines Sandsacks inszeniert, hält sich mit Bildern zu ihrem Ukraine-Engagement zurück.
Die Ausbildung ukrainischer Armeeangehöriger, das Verbringen von Munition und schwerem Bundeswehr-Gerät an die ukrainische Grenze oder dessen Instandhaltung, der erfolgreiche Einsatz des Luftverteidigungssystems Iris-T gegen auf Kiew fliegende Raketen oder der deutschen Gepard-Panzer bei den Offensiven im Donbass: Nichts davon verbreiten Bundesregierung und Bundeswehr in Bild- und Videoaufnahmen. Neun Monate nach der historischen Entscheidung, dass Deutschland Waffen in ein Kriegsgebiet liefert, wird die Frage nach dem Nutzen dieser Lieferungen seitens der Ampel nur zurückhaltend beantwortet. Lieber lassen sich Scholz, Lambrecht und Co weiter vorwerfen, Deutschland tue zu wenig für das angegriffene Land. Warum eigentlich?
Verteidigungsministerium verweist auf Sicherheitsbedenken
Das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) kann die Frage nicht nachvollziehen. "Wir wollen immer transparent informieren, auch über die Seiten der Bundeswehr hinaus", sagte ein Ministeriumssprecher auf Nachfrage von ntv.de. Aber: "Wir müssen auf operative Sicherheit achten und müssen grundsätzlich auf militärische Sicherheit achten. Das wägen wir sorgfältig gegeneinander ab."
Dass die ukrainischen Streitkräfte Bilder und Informationen zu militärischen Erfolgen mit zeitlicher Verzögerung verbreiten, sodass keine sensiblen Informationen öffentlich werden, ist für den BMVg-Sprecher kein Widerspruch: "Wir sind sehr froh darüber, wenn von ukrainischer Seite bestimmte Dinge vermeldet werden und zum Teil eben auch nicht vermeldet werden. Welche Teile sicher sind für die Menschen, die vor Ort kämpfen, das kann am besten die Ukraine selbst entscheiden." Doch erklärt das wirklich, warum sich Berlin bis heute nicht zum Beitrag Deutschlands an den militärischen Erfolgen der Ukraine bekennt? Zumal Ausbildungsleistungen in Deutschland oder die bisher offenbar gelungene Logistik bei der Verlegung von schwerem Bundeswehrgerät wie Panzer-Transportern oder Brücken-Verlegepanzern auch ohne individuelle Risiken gezeigt werden könnten.
Nicht als Kriegspartei erscheinen
Das Luftverteidigungssystem Iris-T hat maßgeblichen Anteil daran, dass viele russische Raketen noch über dem Kiewer Luftraum abgefangen werden. Die Vermutung ist naheliegend, dass die russischen Militärplaner im Wissen um die Effizienz der westlichen Abwehrsystem ihre Raketenangriffe nicht hauptsächlich gegen die Hauptstadt richten. In sozialen Medien sind Bilder von mutmaßlichen Raketenabschüssen durch Iris-T zu finden. Doch verifizierte Bilder, auf die Olaf Scholz und seine Regierung mit Stolz verweisen könnten, werden weder durch Regierungsstellen noch durch die Bundeswehr verbreitet. Auch Abfangquoten - das norwegische NASAMS etwa soll 100 Prozent aller anvisierten russischen Raketen zerstört haben - werden nicht genannt.
Dabei müssten für solche Informationen und Bilder kein Standort des Systems gezeigt werden. Naheliegend sind daher noch andere Erwägungen, etwa die russische Perspektive auf Deutschland. Die NATO-Staaten im Allgemeinen und die Bundesregierung im Speziellen sind bemüht, nicht wie Kriegsparteien zu wirken. Das Bemühen ist beiderseitig: Auch der Kreml hatte sich nach dem Einschlag von Raketentrümmern in Polen sofort um Klarstellung bemüht, dass Russland keinen Angriff auf NATO-Gebiet verübt habe. Doch natürlich ist Moskau wohl bekannt, welche Rolle deutsche und andere westliche Waffen bei den ukrainischen Militärerfolgen haben. Was gäbe es da also zu verraten?
"Bundesregierung bräuchte sich nicht zu verstecken"
Der CDU-Abgeordneten Roderich Kiesewetter vermutet hinter der kommunikativen Zurückhaltung von Regierung und Bundeswehr, neben Sicherheitsabwägungen, weitere Motive. "Die kommunikative Linie wird zentral und eng aus Berlin geführt", sagt der Verteidigungspolitiker. "Eine offensivere Darstellung der deutschen Beiträge wird von Bundeskanzler Scholz und Verteidigungsministerin Lambrecht offenbar nicht gewünscht." Die SPD hadere in Teilen noch immer mit der militärischen Unterstützung der Ukraine. Und: "Es spielt vielleicht auch eine gewisse Peinlichkeit eine Rolle", vermutet Kieswetter. Schließlich leisteten die USA 20 Mal so viel wie Deutschland und selbst die kleinen Ländern Estland, Lettland und Litauen lieferten gemessen am BIP wesentlich mehr als Deutschland.
Ähnliches vermutet auch Grünen-Politiker Anton Hofreiter. "Es ist gut, dass sich die SPD in der Frage nach Waffenlieferungen bewegt hat. Die Gepard-Panzer beispielsweise sind eben nicht nur defensive Waffen. Sie haben bei der Offensive in Charkiw maßgeblich zum Erfolg beigetragen, weil die Russen nicht ihre Luftwaffe gegen die vorrückenden Ukrainer einsetzen konnten, ohne möglicherweise ins Visier der Gepard-Panzer zu geraten", sagt der Vorsitzende des Europaauschusses im Bundestag.
"Deutschland hat als einziges Land westliche Panzer geliefert, was in der Ukraine sehr wohl anerkannt wird. Zudem hat Iris-T großen Anteil daran, dass die meisten auf Kiew abgefeuerten Raketen abgefangen werden konnten", weiß Hofreiter zu berichten, nachdem er in der vergangenen Woche in Kiew war und dort auch Militärvertreter gesprochen hat. "Die Bundesregierung bräuchte sich also nicht zu verstecken. Dass sie es dennoch tut, führt zu unnötigen Problemen in der Kommunikation, nicht zuletzt mit den eigenen Verbündeten." Insbesondere mit den osteuropäischen Verbündeten kam es wiederholt zu Irritationen, weil Deutschlands militärische Engagement dort als zu zurückhaltend wahrgenommen wurde.
Die Bundeswehr wird freimütiger
Schon im Frühjahr hatte sich die Bundesregierung nur mit Mühe dazu durchringen können, Details zu konkreten Unterstützungsleistungen zu veröffentlichen. Immer wieder war dabei gemutmaßt wurden, dass die Regierung dabei auch auf Befindlichkeiten in den Reihen der Sozialdemokraten Rücksicht nahm. Nicht nur die Basis tat sich schwer mit dem Gedanken, dass eine SPD-geführte Regierung aktiv am Töten russischer Soldaten beteiligt ist, wenn auch indirekt. Prominente Parteistimmen wie Fraktionschef Rolf Mützenich oder Ralf Stegner empfinden die militärischen Antworten auf Russlands Angriffskrieg bis heute als überbetont, während diplomatische Bemühungen zu kurz gerieten.
Dennoch hat sich die Öffentlichkeitsarbeit schleichend gewandelt, mutmaßlich auch auf Druck von Grünen, FDP und Union. Das Bundespresseamt aktualisiert regelmäßig seine Liste über deutsche Waffenlieferungen, die auch geplante Lieferungen enthält.
Und noch etwas ist neu: Im Video- und Podcast-Format "Nachgefragt", in dem die Bundeswehr seit März Woche für Woche den Verlauf des Krieges analysiert und über die eigene Ausrüstungslage spricht, wird der Umgang mit Informationen zur Bundeswehrbeteiligung immer freimütiger. In der jüngsten Folge berichtet Brigadegeneral Christian Freuding: "In den letzten Wochen im Oktober hatten wir sämtliche Ausbilder der ukrainischen Kampfmittelräumschule bei uns in Deutschland in der Kampfmittelabwehrschule in Stetten am kalten Markt." Dabei gehe es auch um die Fähigkeiten der Ukrainer, ihre Offensiven gegen die Besatzer fortzusetzen.
Ab der 24. Minute dieser sehenswerten Ausgabe erläutert Freuding die vier Säulen deutscher Materiallieferungen, darunter "unsere 30 Geparden, die sich ausgesprochen gut bewähren in der Ukraine". So sehr, dass die Bundeswehr an der Grenze der slowakischen Grenze zur Ukraine ein kleines Instandhaltungszentrum errichten will, um Gepard und Panzerhaubitzen 2000 einsatzbereit zu halten oder zu reparieren. Deutschland ist damit eng in die ukrainische Kriegsführung eingebunden. Nur zeigen will das die Bundesregierung lieber nicht.
Quelle: ntv.de
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