Der Informationskrieg des Imam

  08 April 2016    Gelesen: 638
Der Informationskrieg des Imam
Die Reue kommt spät - selbst, falls sie ehrlich ist. Jahrelang wirbt Gadzhimurad K. bei Muslimen für den Islamischen Staat. Dann wird er verhaftet. Vor dem Berliner Strafsenat spielt er seinen Einfluss in der Salafistenszene herunter.
"Ich wollte, dass der IS stark wird - so denke ich heute nicht mehr", erklärt Gadzhimurad K. vor dem Ersten Strafsenat des Berliner Kammergerichts. Er bereue, für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) geworben zu haben, lässt der 30-Jährige über seinen Anwalt erklären. So will er das Strafmaß reduzieren, das bei einer Verurteilung voraussichtlich bei rund dreieinhalb Jahren läge. Ob es für den gebürtigen Russen so einfach wird? Damit ein Deal zustande kommt, fordert die Staatsanwaltschaft, dass K. ein volles Geständnis ablegt - und auch über seine Kontakte zur Islamistenszene auspackt, die weit über die Grenzen seiner Berliner Gemeinde hinausgehen.

Im Mai 2015 wird K. ein Interview mit dem russischen Magazin "Meduza" zum Verhängnis: Der Imam der Moschee "Hicret Camii" im Berliner Bezirk Moabit bezeichnet sich darin als "Informations-Aggregator für den IS" - und prahlt damit, wie gut er mit den Kämpfern des Islamischen Staates (IS) vernetzt sei. Im Internet, behauptet K., sei das Kalifat längst errichtet worden – ein globales Gebiet, das dank sozialer Medien keinen Einschränkungen unterliege. "Ich bin ständig in Kontakt mit den Menschen, die dort sind", sagt K. dem Magazin. "Ich kommuniziere mit allen Fraktionen."

K., der sich den Beinamen Murad Atajev gegeben hat, sieht sich jahrelang in der Rolle des Aufklärers. Das Bild, das westliche Medien vom Islamischen Staat zeichneten, sei ein Produkt der Phantasie, meint er im "Meduza"-Interview. Weder würden Frauen versklavt noch Kinder ermordet. Über das Schicksal von Tausenden, teils minderjährigen Jesidinnen, die im August 2014 von IS-Kämpfern im Nord-Irak verschleppt und vergewaltigt wurden, verliert er kein Wort - wohl aber über den jordanischen Kampfpiloten, der von der IS-Terrormiliz bei lebendigem Leib verbrannt wurde. Man habe nichts weiter als das "Auge um Auge"-Prinzip umgesetzt, sagt K. - und zwar unter Berücksichtigung der Gesetze des Koran.

Ein Vertrauter des "Emirs von Wedding"

Ähnlich äußert sich der K. zum Fall des US-Amerikaners James Foley, der im August 2014 von IS-Kämpfern geköpft worden war. Später distanziert sich K. von den Aussagen im Interview - und wirft dem Magazin vor, seine Worte verdreht zu haben. Auch vor Gericht versucht er, seine Rolle in der Salafistenszene herunterzuspielen. Er sei niemals als religiöser Repräsentant des IS aufgetreten, versichert er. Doch der Russe ist ein Medienprofi, richtet sich bis zu seiner Verhaftung im Oktober 2015 via Twitter, Youtube und Facebook an seine "Schäfchen". Er führe einen Informationskrieg, soll er einmal gesagt haben. Laut Anklage war K. sogar als Administrator der Internetseite "Sham Today" aktiv - ein Propaganda-Portal für den IS, das sich vor allem an Extremisten aus dem Kaukasus richtet.

K. stammt selbst aus der russischen Unruheregion Dagestan - kam 2002 als 16-Jähriger illegal nach Deutschland. Sein Antrag auf Asyl war 2003 abgelehnt worden. Doch in seine Heimat konnte er nicht abgeschoben werden, angeblich fehlten die erforderlichen Personaldokumente. Also tauchte er unter. Drei Jahre später, im Jahr 2006, gerät K. erstmals wieder ins Visier der Berliner Ermittlungsbehörden, weil er sich aktiv in der Salafisten-Szene engagiert. Im Dunstkreis von Ismet D., dem "Emir von Wedding", steigt K. im Moscheeverein zum Stellvertreter auf.

Laut Staatsanwaltschaft soll er ein enger Vertrauter des bekannten Salafisten sein, der seit Anfang 2015 ebenfalls in Untersuchungshaft sitzt. Der Vorwurf: Ismet D. soll Kämpfer für die "Dschunud Al-Scham" angeworben haben, eine radikal-islamische Gruppe von tschetschenischen Kämpfern, und einen Lastwagen nach Syrien geschmuggelt haben, der für einen Sprengstoffanschlag umgebaut worden war. K. will davon nichts gewusst haben. "Wir haben keine Sympathie für `ISIS` und wir machen hier nichts Verbotenes", beteuert K. nach der Festnahme seines mutmaßlichen Mentors - da ist sein Werbevideo für den IS schon ein paar Monate alt.

"Unser gesegneter `Islamischer Staat`"

Im November 2014 soll K. das Video mit dem Titel "Härte im Dschihad" im Internet hochgeladen haben. Laut Anklage spricht er darin von "unserem gesegneten `Islamischen Staat`" und fordert seine Glaubensbrüder dazu auf, sich den Märtyrern und Gotteskriegern anzuschließen. Nur so könnten sie die höchsten Stufen im Paradies erklimmen. K., der selbst nie im Kriegsgebiet in Syrien oder dem Irak war, verkauft den Islamischen Staat als soziale Gemeinschaft, in der man weitgehend sorglos leben könne.

In einer Fragerunde für "Sham Today" soll er gar behauptet haben, der IS stelle für jeden Kämpfer eine kostenlose medizinische Versorgung bereit. Vor dem Berliner Kammergericht will er auch solche Aussagen nicht so gemeint haben. Er habe für das Internetforum lediglich die Standpunkte des IS dargelegt, beteuert K.. Dass er sich nun geläutert gibt, dürfte ihm bestenfalls ein paar Monate Haft, wohl aber nicht die Abschiebung ersparen. Wie die "Berliner Morgenpost" berichtet, soll Russland zugesichert haben, die für K.s Abschiebung erforderlichen Personaldokumente auszustellen.

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