Stielaugenmonster nach 60 Jahren identifiziert

  10 April 2016    Gelesen: 1225
Stielaugenmonster nach 60 Jahren identifiziert
Was war klein wie ein Igel, lebte im Meer und hatte einen Rüssel mit Zähnen? Richtig! Das 1958 entdeckte Tullimonstrum. Nur, was ist das für ein unglaubliches Tier?
Dieses Tier hätte in Futurama mitspielen können: Es hatte ein Hinterteil wie ein Fisch, auf dem Rücken Stielaugen, vorne einen Rüssel und an dessen Ende eine bezahnte Kralle. Es sah zu Lebzeiten jedenfalls nicht aus wie etwas, das die Natur im Ernst hervorgebracht haben könnte.

Ein Wurm? Ein Fisch? Eine Schnecke? Als der amerikanische Fossiliensammler Francis Tully 1958 als Erster die versteinerten Abdrücke des ausgestorbenen Urzeitwesens in den Schieferablagerungen eines Kohlebergwerks in Illinois entdeckte, hatte er keine Ahnung, was das auch nur ansatzweise für ein Tier gewesen sein könnte. Es passte zu nichts, was der Mensch bisher kannte.

Die Linie des Meeresbewohners, der vor gut 300 Millionen Jahren im Erdzeitalter Karbon gelebt haben muss, ist wohl komplett ausgestorben, dachten Paläontologen. Auch die vielen weiteren Fossilienfunde der gleichen Kreatur aus der Lagerstätte Mazon Creek in Illinois und von einigen anderen Orten der Erde konnten das Rätsel um das Tullimonstrum, so sein Spitzname, nicht auflösen. Eine gefühlte Ewigkeit gab es nichts Neues (DIE ZEIT berichtete 1970 zuletzt über Tullimonstrum gregarium). Bis jetzt.

Und, was ist es?

Wissenschaftler um die Paläontologin Victoria McCoy von der Universität Yale berichten im Magazin Nature (McCoy, Briggs et al.,2016), sie hätten endlich geklärt, in welche Ecke der Tiersystematik der um die 30 Zentimeter kleine, weiche Urzeitmeeresbewohner gehört.

Mithilfe von Spezialisten des Natural History Museums in Chicago untersuchten die Forscher mehr als 1.200 fossile Proben des Tiers mit neuster Röntgentechnik. Dabei wurde klar: Die extrem feine, mit bloßem Auge kaum erkennbare Linienstruktur, die der Schieferabdruck erkennen lässt, ist nicht, wie lange geglaubt, der Darm des Urzeitwesens. Es ist die Vorstufe einer Wirbelsäule wie wir Menschen, alle Säugetiere, Reptilien, Vögel und viele Fische sie haben. Damit ist das Tullimonstrum offenbar ein sehr früher Vertreter der Vertebraten (Wirbeltiere). Vermutlich entstamme es derselben Linie wie die urtümlichen Neunaugen, schreiben die Forscher in Nature.

Augen auf unterm Elektronenmikroskop

Und es gibt neue Hinweise darauf, dass Tullimonstrum gregarium wirklich zu den Vertebraten zählte. In wenigen Tagen werden Forscher der Universitäten Leicester und Bristol eine Studie veröffentlichen. Soviel dürfen wir verraten: Sie haben dem kleinen weichen Tierchen, das übrigens nicht besonders gefährlich gewesen sein dürfte, per Elektronenmikroskop sehr tief in seine Stielaugen geschaut.

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