Merkel kann Erdoğan dankbar sein

  11 April 2016    Gelesen: 1216
Merkel kann Erdoğan dankbar sein
Der türkische Staatspräsident fordert die Bestrafung eines deutschen Komikers. Damit ist endgültig eine rote Linie überschritten. Für die Bundeskanzlerin ist Erdoğans alberner Antrag unangenehm, aber eine gute Gelegenheit.
Die türkische Regierung verlangt, dass Jan Böhmermann bestraft wird. Damit das passieren kann, muss die Bundesregierung zustimmen. Zwei Lesarten sind möglich. Die eine: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat Bundeskanzlerin Angela Merkel mit der Forderung nach Strafe in eine schwierige Situation gebracht, weil sie nun Farbe bekennen muss.

Die andere: Erdoğan hat Merkel – natürlich unabsichtlich – einen Gefallen getan. Jetzt kann sie zeigen, dass die Pressefreiheit in Staaten wie Deutschland wichtiger ist als gute Beziehungen zu problematischen Verbündeten, auch wenn man diese braucht.

Die Türkei war und ist ein wesentlicher Pfeiler in Merkels Flüchtlingspolitik. Sie soll helfen, die europäische Außengrenze in der Ägäis zu sichern. Viele Beobachter haben daraus den Vorwurf konstruiert, Merkel mache sich von einem Despoten abhängig. Darum geht es auch in dem Song der NDR-Satireshow "extra 3". Im Refrain dieses Liedes heißt es an Merkel gerichtet: "Sei schön charmant, denn er hat dich in der Hand, Erdowie, Erdowo, Erdowahn".

Die Frage, ob Erdoğan Merkel "in der Hand" hat, ist nicht leicht zu beantworten. Es fällt auf, dass viele, die diesen Vorwurf erheben, die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ablehnen – das gilt für Kritiker von links wie auch von rechts. Richtig ist aber auch, dass die Bundesregierung sehr leisetreterisch auf das beleidigte Gehabe des türkischen Staatspräsidenten reagiert hat.

Natürlich kann Merkel ein Schmähgedicht, in dem es um das "Gelöt" eines ausländischen Staatsoberhaupts und seine angeblichen Sexualpraktiken geht, nicht offensiv verteidigen. Und es war auch in Ordnung, dass sie erklären ließ, das Gedicht sei "bewusst verletzend". Nicht in Ordnung war, dass ihr Sprecher im Unklaren ließ, ob Merkel sich beim türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu entschuldigt hatte. Merkels Sprecher hätte reagieren müssen, wie er meist auf ausländische Politiker reagiert, die sich beleidigt fühlen: In Deutschland hat die Presse- und die Meinungsfreiheit einen hohen Rang, mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Die Verbalnote der türkischen Regierung, in der diese einen Prozess gegen Böhmermann fordert, gibt Merkel die Gelegenheit, eine rote Linie aufzuzeigen. Nach Paragraph 104a des deutschen Strafgesetzbuches kann die Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts nur verfolgt werden, wenn die Bundesregierung die Ermächtigung erteilt. Genau das wird aller Voraussicht nach nicht passieren, auch wenn Erdoğan dann, wieder einmal, beleidigt sein wird. Vielleicht wird es einigen Diplomaten schwerfallen, der türkischen Regierung diese Entscheidung zuzumuten, vielleicht hat sogar Merkel Bauchschmerzen dabei. Trotzdem: Sie kann Erdoğan dankbar sein, dass es ihm nicht zu peinlich war, die alberne Forderung nach Bestrafung eines Komikers zu stellen.

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