Den Verantwortlichen von Alfa Romeo kann man viele Dinge vorwerfen: magere Modellpalette, mäßiges Infotainment oder vielleicht auch den einen oder anderen nicht ganz so wertig wirkenden Hebel im Innenraum. Aber einen Trumpf hat Alfa nach wie vor in petto und diesen kann die Marke wie kaum eine andere ausspielen, um bei Autoenthusiasten zu punkten. Er besteht aus einer relativ leichten, extrem sportlichen Limousine ohne überflüssigen Schnickschnack. Diese Beschreibung trifft exakt auf den Mittelklasse-Viertürer namens Giulia in der Quadrifoglio-Ausführung zu. Der wurde zwar schon 2015 vorgestellt, aber funktioniert heute immer noch top. Bloß, dass der Wunsch "so etwas will ich!" mittlerweile ausgeprägter ist als früher im Getummel der ganzen elektrifizierten Schwergewichte in diesem Segment, die vor lauter Betriebsstrategie kaum noch Raum lassen für ehrliches Autofahren.
Nicht so bei der stärksten Giulia. Die gerade einmal 1,7 Tonnen schwere Limousine mit leicht aufgefrischter Optik verkneift sich jegliche Elektrifizierung. Allein das früher noch lieferbare manuelle Sechsgang-Getriebe haben die Produktstrategen gestrichen und die ZF-Wandlerautomatik mit acht Stufen damit zur Pflicht erklärt.
Der doppelt aufgeladene 2,9-Liter-Sechszylinder (ein Ferrari-Maschinenderivat der Baureihe F154) schüttelt ganz konventionelle 520 PS aus der Kurbelwelle - zehn mehr als früher, aber das ist wohl nur eine symbolische Steigerung. Die Giulia braucht dieses Plus eigentlich gar nicht. Ob die leichte Kohlefaser-Kardanwelle mit etwas mehr oder ein bisschen weniger Schmackes an den Hinterrädern angreift, ist völlig egal. Das Grinsen des Fahrers ist dann sowieso nicht mehr wegzubekommen. Von zurückhaltend bis zornig auf der Tonleiter treibt der Sechsender den Italiener je nach Drehzahl moderat bis wuchtig nach vorn. Und zwar so wuchtig, dass die richtige Kombination von Gaspedalstellung und Lenkwinkel kontrollierte Bewegung ins Heck bringt.
Mit der Giulia quer ums Eck? Geht, wenn man es kann. Wer nicht so sicher am präzisen Steuerrad ist, sollte das Stabilitätsprogramm tunlichst eingeschaltet lassen, damit die Elektronik den Athleten zur Not wieder in Position zurückgieren, also das Fahrzeug um die Hochachse wieder in Position drehen kann. Um den bestmöglichen Grip zu gewährleisten, spendieren die Ingenieure ein mechanisches Sperrdifferenzial.
Quadrifoglio ist pfeilschnell
Wer der Querdynamik ohnehin nicht so zugetan ist, kann sein persönliches automobiles Glück auch genießen, indem er die Giulia einfach übermächtig anschieben lässt. Zumal ihr 3,9 Sekunden reichen, um auf Landstraßentempo zu kommen. Es ginge noch mehr, aber irgendwo ist die Traktion einer einzigen angetriebenen Achse eben begrenzt. Das Spitzentempo beträgt jetzt übrigens 308 km/h - und das bei hervorragender Alltagstauglichkeit einer 4,64 Meter langen Limousine mit hinreichend guten Raumverhältnissen.
Und wer jetzt denkt, das Fahrwerk sei ausgeprägt hart, irrt sich. Die schnellste Giulia ist zugleich auch recht komfortabel, hält Straßenpatzer weitgehend fern aus dem Inneren. In Tateinheit mit bequemen Sitzen (serienmäßig elektrisch verstellbar) wird aus dem bissigen Biest auf Wunsch ein sanfter Cruiser.
Einer, der völlig frei von Schwächen ist? Freilich nicht ganz, denn beim Thema Infotainment verkneift sich der Italiener den letzten Stand der Technik. Ha! Zwar sagt Alfa selbst, man wolle gar kein größeres Display als den knapp neun Zoll großen Touchscreen, weil ein Alfa eben eine Fahrmaschine sei und man solche Gimmicks gar nicht brauche. Diese Einstellung geht ja in Ordnung, aber die umständliche Bedienung müsste dennoch nicht sein.
Doch ganz ehrlich, daran scheitert der Kauf einer Giulia QV keineswegs, denn der automobile Individualist pfeift vermutlich tatsächlich auf eine bis ins letzte Details ausgeklügelte Software oder ein perfektes Navigationssystem und wirft zur Not einfach den Lotsen seines Smartphones an. Und eine Smartphone-Integration kann der Alfa schließlich bieten. Noch mehr sogar, und zwar ein Kombiinstrument (12,3 Zoll) ohne mechanische Anzeigen, das allerdings so adrett konstruiert wurde inklusive Ziffern - gehalten in historischer Schriftart, dass man sich am Design erfreut und mild über das mit Tasten leicht überfrachtete Multifunktionslenkrad hinwegsieht. Zumal hier nicht nur italienische Hersteller patzen, sondern heimische ebenso. Aber dass der Startknopf wie beim Rennwagen im Lenkrad untergebracht ist, hat Charakter.
Stelvio Quadrifoglio ist die rasante Nutzwert-Alternative
Ganz gut klappt das mittlerweile mit den Assistenten. Der fein einregelnde adaptive Tempomat zahlt auf das Komfortkonto ein, wenn es auf längere Reisen geht, und bremst ruckfrei bis zum Stillstand herunter, falls der Vordermann das ebenfalls tut.
Bleibt nur die Frage: Was, wenn der Kunde überragende Fahrleistungen möchte, aber ihm 480 Liter Gepäckraumvolumen einfach nicht reichen? In diesem Fall greife man eben zum SUV Stelvio. Auch dieses kommt als Quadrifoglio in den Genuss von nun 520 Pferdchen sowie 600 Newtonmetern Drehmoment - allerdings obligatorischerweise mit Allradantrieb und ebenfalls mit der Achtgang-Automatik. Mit exakt 101.000 Euro lässt sich Alfa Romeo das Plus an Praxistauglichkeit und Traktion ordentlich bezahlen, denn die Giulia wechselt schon für 92.000 Euro den Besitzer.
Das ist natürlich kein Schnäppchen und da hilft es auch nicht, dass jetzt LED-Matrix-Scheinwerfer serienmäßig sind. Andererseits bleibt Alfa Romeo unterhalb seines Hauptwettbewerbers BMW M3 Competition, der mit 96.300 Euro zu Buche schlägt. Soll er dann auch noch schneller als 250 km/h fahren, kommen weitere 2450 Euro (BMW Driver's Package) dazu, in diesem Fall sind aber nur 290 und nicht 308 Sachen drin. Für die Keramikbremse nehmen die Italiener übrigens weitere 9000 Euro - ähnlich viel wie BMW (8800 Euro).
Bis 2026 soll die klassische Giulia QV mit Sechszylinder noch verkauft werden, diese Information ist für Verbrennerfans vielleicht nicht ganz unwichtig. Das Quadrifoglio-Kapitel soll damit allerdings nicht enden, sondern geht weiter mit womöglich 1000 elektrischen PS. Bis dahin pustet die Giulia noch ordentlich aus vier Endrohren (auf Wunsch aus dem Hause Akrapovic), die andere Verkehrsteilnehmer vermutlich öfter zu sehen bekommen als die Front mit dem prägnanten Scudetto.
Quelle: ntv.de
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