Ein Chip im Gehirn und eine Manschette mit Elektroden am Arm

  17 April 2016    Gelesen: 737
Ein Chip im Gehirn und eine Manschette mit Elektroden am Arm
Er kann im Labor eine Kreditkarte durch einen Leser ziehen oder Wasser einschenken. Forscher haben einem Querschnittsgelähmten einen Teil seiner Bewegungen zurückgegeben. Möglich macht das ein Chip im Gehirn.
Dass sich seine Hand bewegte, war für Ian Burkhart beim ersten Mal ein großer Schock. Sein Gehirn gab den Befehl und seine Muskeln gehorchten. Mühsam zogen sie sich zusammen und entspannten sich wieder. Es war das erste Mal seit dreieinhalb Jahren, dass sie taten, was Ian wollte.

Damals war der 19-Jährige beim Tauchen im Familienurlaub verunglückt. Bei dem Unfall war sein Rückenmark auf Höhe des fünften und sechsten Halswirbels durchtrennt worden, die Mediziner diagnostizierten eine Querschnittslähmung. Erst sah es so aus, als würde er seine Arme und Beine nie wieder kontrollieren können, nur im Bereich der Schulter hatte Burkhart noch etwas Beweglichkeit.

Drei Jahre später gab ihm ein Team aus Neurowissenschaftlern, Ingenieuren und Technikern die Kontrolle über einen Teil seiner Muskeln zurück. Mittlerweile beherrscht Burkhart komplexe Bewegungen, er kann eine Flasche greifen, sich einschenken und die Flüssigkeit umrühren. Möglich machen dies ein Chip im Gehirn und eine Manschette mit Elektroden am Arm, die direkt miteinander kommunizieren - und die verletzte Stelle im Rückenmark umgehen.

Bei einer Querschnittslähmung, also einer Durchtrennung des Rückenmarks, laufen die Nervenimpulse des Gehirns plötzlich ins Nichts. Es ist, als würde sich mitten auf der Autobahn ein riesiger Graben auftun. Die Nervenzellen ober und unterhalb der Verletzung aber sind noch voll funktionstüchtig. Das machten sich die Forscher von der Ohio State University und dem Battelle Memorial Institute zunutze.

Erster Schritt: Gedanken lesen - In einem ersten Schritt implantierten sie einen Computerchip, kleiner als eine Erbse, genau an die Stelle des Gehirns, die für die Steuerung von Handbewegungen zuständig ist. Um sie ausfindig zu machen, ließen die Mediziner ihren Patienten vor der Operation Videos von Handbewegungen betrachten und beobachteten, was dabei in seinem Gehirn passiert.

Anschließend konnten sie mithilfe des Chips lesen, was direkt in Burkharts Gehirn vor sich geht. Die Ergebnisse mussten sie jedoch erst einmal verstehen lernen: Was macht das Gehirn, wenn Burkhart die Hand schließen wollte? Wie sieht die Aktivität aus, wenn er das Handgelenk knicken oder den Zeigefinger strecken wollte? Dafür nutzten die Forscher einen lernenden Algorithmus.

Zweiter Schritt: Muskeln steuern - Dann kam der zweite Schritt: Es musste gelingen, die Muskeln von außen zu steuern. Dafür bastelten die Wissenschaftler eine Manschette mit 130 Elektroden, die sie am Unterarm ihres Patienten befestigten. Anschließend ermittelten sie, welche Impulse nötig waren, um die unter der Haut liegenden Muskeln zu den gewünschten Bewegungen zu animieren.

Diese Erkenntnisse kombinierten sie schließlich mit den entschlüsselten Befehlen des Gehirns. Das Experiment glückte: Im Juni 2014 gelang es Burkhart zum ersten Mal, mithilfe seiner Gedanken seine Hand zu öffnen und zu schließen. Mittlerweile kann der heute 24-Jährige die Finger einzeln ansteuern und beherrscht sechs verschiedene Bewegungen von Hand und Handgelenk, kann mit einer Spielzeuggitarre spielen und eine Kreditkarte durch einen Leser ziehen.

Dabei verbinden Kabel den Chip in seinem Gehirn, einen Computer und die Manschette am Arm. Benutzen kann er die Technik deshalb bislang nur im Labor.

"Unsere Ergebnisse zeigen, dass Signale im Gehirn aufgenommen und um die Verletzung herumgeleitet werden können, dass die Widerherstellung zweckmäßiger Bewegungen und sogar Bewegungen einzelner Finger möglich sind", sagt Chad Bouton vom Battelle Memorial Institute, einer der Autoren der in "Nature" erschienenen Studie.

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