Obama und Merkel in Hannover: Jeder durch seine Brille

  25 April 2016    Gelesen: 905
Obama und Merkel in Hannover: Jeder durch seine Brille
Buy American, buy German - auf der Hannover Messe frotzeln Merkel und Obama miteinander. Die Regierungschefs wissen, dass sich die Unternehmen ihrer Länder einen harten Kampf um Absatzmärkte liefern.
Barack Obama will die Kanzlerin heute ärgern. Kaum haben die beiden Regierungschefs am Montagmorgen das Podium in Halle 3 der Hannover Messe betreten, legt der US-Präsident los: "Jetzt ist eine weitere Gelegenheit für mich zu sagen: Kommt zu uns und kauft amerikanische Güter."

Merkel muss selbst kurz lachen bei so viel Unverfrorenheit. "Buy American" ist ein Reizwort zwischen den beiden, die gleichnamigen Gesetze blockieren derzeit die Verhandlungen über das transatlantische Handelsabkommen TTIP . "Buy German wäre auch ganz schön", hatte die Kanzlerin bei der Messeeröffnung am Vorabend gegiftet.

Es ist nicht das erste Mal, dass der US-Präsident auf seinem Hannover-Besuch unverhohlen für sein Land wirbt. Vor den Industriebossen hatte Obama am Sonntagabend die USA als idealen Investitionsstandort gepriesen, von "Weltklasse-Universitäten" und den "produktivsten Arbeitern der Welt" geschwärmt. Merkel nahm den Faden in ihrer Rede auf: "Wir lieben den Wettbewerb. Aber wir gewinnen auch gerne."

Die weltgrößte Industriemesse mit dem Gastland USA ist mehr denn je ein Kräftemessen zwischen der größten und viertgrößten Volkswirtschaft der Welt. In früheren Jahren kam man sich weniger in die Quere: Lange war Deutschland das Land der Auto- und Maschinenbauer, während in den USA Software- und Internetkonzerne wie Microsoft oder Google dominierten.

Unter Obama blüht die US-Industrie aber wieder auf, zudem interessieren sich IT-Konzerne wie Microsoft und Google für das Thema "Industrie 4.0". Durch die Vernetzung von Maschinen über das Internet rücken sich deutsche und amerikanische Konzerne stärker auf die Pelle als bisher. Wenn die Produktionsstraße in einem deutschen Autowerk automatisch eine Wartung anfordert, können die Daten in der Amazon - oder Microsoft-Cloud landen.

Automobil-Zulieferer wie ZF Friedrichshafen oder Continental fertigen womöglich bald Reifen und Getriebe für Apples iCar oder Googles selbstfahrendes Auto. Einerseits ist das eine Chance. Andererseits ein Risiko, falls die deutsche Industrie die Kontrolle über ihre Daten verliert: "Wir wollen nicht die neuen Foxconns dieser Welt werden", sagte ZF-Chef Stefan Sommer kürzlich mit Blick auf Apples umstrittenen taiwanische iPhone-Zulieferer. Könnte Deutschland auch einmal zur verlängerten Werkbank der USA absteigen?

Das amerikanische "Wir sind wieder wer" lässt Obama seine Gastgeberin auch auf dem Rundgang in Hannover spüren - mit charmanten, aber wohlgewählten Gemeinheiten. Während der US-Präsident einen 3D-Drucker-Produzenten aus Ohio ausfragt, steht Merkel still daneben und tippt ab und zu an die gelben Finger einer gedruckten, mechanischen Hand - Obama reicht ihr das Mikrofon einfach nicht rüber.

" Sie sind Freunde. Aber starke Freunde."

Als beim nächsten Stand der Vertreter eines Nasa-Zulieferers erklärt, dass ein Bauteil wie die Hand eines Gecko haftet, setzt die Bundeskanzlerin zu einer Nachfrage an. "Halt mal. Wir müssen wohl das Wort Gecko übersetzen", sagt Obama für alle hörbar zur Dolmetscherin. Gelächter.

"Sie sind Freunde. Aber starke Freunde", hatte Merkel über die Amerikaner vor dem Rundgang gesagt. Das erklärt auch, warum die Länder die TTIP-Verhandlungen trotz aller Schwierigkeiten weiter vorantreiben : Die USA sind Deutschlands wichtigster Handelspartner, im vergangenen Jahr überholten sie sogar Frankreich. Deutschland und die USA tauschten 2015 Waren und Dienstleistungen im Wert von 173 Milliarden Euro aus.

Zwei Drittel davon exportierte Deutschland. Bei aller kraftmeierischen Rhetorik Obamas weiß die Kanzlerin, dass die deutsche Industrie in vielen Branchen weiter dominiert.

Die Chancen einer Zusammenarbeit, betonen Industrievertreter, gehen über rein monetäre Interessen hinaus: Wie bei TTIP kann die vernetzte Industrie einen engen Austausch auch nutzen, um gemeinsame Standards zu etablieren, statt das etwa Chinas aufstrebenden Firmen zu überlassen.

Bei der Zusammenarbeit scheint die Wirtschaft teilweise weiter zu sein, als die Politik denkt. Ihre letzte Stippvisite im amerikanischen Pavillon führt Obama und Merkel zum Stand von Autodesk, einer Firma aus San Francisco, die Software für 3D-Drucker programmiert. Dort wartet im blauen Radtrikot Denise Schindler, eine junge, blonde Bayerin mit Beinprothese, die als Werbepartner für Autodesk auftritt.

"Ist die Firma Ottobock ihr Wettbewerber?", will Merkel von der Paracycling-Weltmeisterin auf der Bahn wissen, während sie einen Carbon-Aufsatz für die Prothese in der Hand wiegt. "Nein", sagt Schindler. Der deutsche Prothesenhersteller sei Kooperationspartner. Mit der Software des US-Unternehmens Autodesk werde ihr Beinstumpf gescannt, damit die Deutschen noch passgenauere Prothese herstellen können.

Quelle : welt.de

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