Da liegt er also im blutgetränkten Schnee, der Lord Commander Jon Snow, hingemeuchelt von unfolgsamen Untergebenen: Sie wollten die größte Reform seit Bau der großen Mauer, den Einlass von Leuten, die von der Mauer abgehalten werden sollten, nicht, nun ja, mittragen. Angela Merkel kann froh sein, dass sie eine einigermaßen zivile Regierung führt und nicht die Night Watch - unkontrollierte Grenzöffnungen quittieren die Schwarzen in "Game of Thrones" nicht nur mit Drohungen und Grummeln.
Die Frage allerdings, ob der Schauspieler Kit Harington in der sechsten Staffel dieser zurzeit weltweit erfolgreichsten TV-Serie tatsächlich nur fürs regungslose Herumliegen bezahlt wird, sein Charakter Jon Snow also dauerhaft tot bleibt, lässt sich trotz des Hypes um Snows Schicksal im Vorfeld der Staffelpremiere auch nach der ersten Episode nicht abschließend beantworten. Das Rätsel bleibt wohl ungelöst, bis der Leichnam kompostiert, was im Permafrost des Nordens von Westeros ja etwas dauern kann. Schließlich muss sich die Handlung noch etwas ziehen.
Und leider muss man sagen: Sie zieht sich wie Kaugummi. Trotz guter Gelegenheit (Melisandre und der Snow-Leichnam in einem Raum) begann die rote Priesterin (Carice van Houton) keineswegs mit einem Wiedererweckungsritual, setzte stattdessen ihren gewohnt entrückten, stets leicht säuerlich wirkenden Gesichtsausdruck auf und stand mehr oder weniger nutzlos in der Kulisse herum - bis zur letzten Szene, in der sie immerhin ihre (neben der Vollführung von Zaubertricks) zweite Hauptfunktion in der Serie wahrnahm und ihre Brüste entblößte. Die Sekunden später folgende Enthüllung, dass wir es bei ihr in Wahrheit mit einer sehr, sehr alten Frau zu tun haben, mag den einen oder anderen Brustbegeisterten ernüchtert haben - ihrer Figur fügte diese Erkenntnis allerdings keine wesentliche Neuerung hinzu. Gruselig war sie schon immer.
kann sich immer noch ändern und wäre insofern zu verschmerzen, hätte sich an den anderen Fronten im Kampf um den Eisernen Thron Wesentliches getan. Hat es aber nicht. Tatsächlich begnügten sich die Serienmacher David Benioff und D.B. Weiss, diesmal ohne Vorlage des Autors George R. R. Martin, mit der Einsammlung von Handlungsüberbleibseln, die am Ende der fünften Staffel liegen geblieben waren.
Kein Drache weit und breit
Jamie Lannister (Nikolaj Coster-Waldau) bringt seine per Giftmord aus dem Leben geschiedene Tochter/Nichte heim, zur kurzgeschorenen Mama Cersei (Lena Headay), und schwört bittere Rache mit den Worten: "Fuck everyone who isn`t us." Was immerhin insofern ganz lustig ist, als er mit seiner Schwester bisher immer genau andersherum verfahren ist. In Dorne haben Star-Trek-Fans derweil das erwartbare letzte Wiedersehen mit Dr. Bashir (Alexander Siddig als Doran Martell).
Daenerys Targaryen (Emilia Clarke), zuletzt auf einem Drachen entflogen, befindet sich zu Beginn der sechsten Staffel im Grunde wieder dort, wo sie ganz am Anfang der Serie war: In den Händen einer Dothraki-Horde. Doch, etwas hat sich geändert: Die umherreisenden Wilden, bisher eher als wortkarge Krieger bekannt, bekommen nun völlig unnötig eine neue, komische Seite verpasst und liefern sich Sitcom-Dialoge. Leider kein Drache weit und breit zu sehen, der sie rösten und Dany und die Zuschauer erlösen könnte.
Auch Danys treuer Gefolgsmann Jorah Mormont (Iain Glen) ist nicht zur Stelle, reitet stattdessen durch grüne Hügel und darf einmal mehr einen bedeutungsschwangeren Blick auf sein Handgelenk werfen, wo sich die ersten Zeichen einer fortschreitenden Versteinerungskrankheit zeigen. Damit ist er ganz nah beim Betrachter. Passiert hier heute noch irgendetwas?
Nur Prekäres: Die eigentlich recht vielversprechende Arya Stark (Maisie Williams) verdingt sich mittlerweile als Bettlerin. Auch ihre Figur ist zurückgeworfen: Lange, lange haben wir ihr in der Vergangenheit dabei zusehen dürfen, wie sie sich vom Putzmädchen zu einer vielversprechenden Auszubildenden einer Todessekte hocharbeitete, dann ist sie nach einer kleinen Eigenmächtigkeit mit Blindheit gestraft worden - und steht nun wieder am Anfang.
Sie muss sich offenbar aufs Neue über quälend lange Folgen zur Superkämpferin ausbilden lassen, diesmal mit Stockhieben. Das ist ungefähr so spannend, als wäre sie durch die Führerscheinprüfung gefallen und wir säßen mit ihr jetzt wieder in der ersten Theoriestunde, obwohl sie doch verdammt nochmal längst Formel 1 fahren sollte.
Ihre Schwester Sansa (Sophie Turner), ihrem sadistischen Gatten Ramsay Bolton (mit schöner Trauerszene: Iwan Rheon) entkommen, befindet sich auf der Flucht, allerdings jetzt unterstützt von der hünenhaften Brienne of Tarth (Gwendoline Christie). Das lässt ihren Gesichtsausdruck kurzzeitig von verängstigt auf erleichtert umschalten - bis er dann, sobald Sansa wieder ein festes Dach über dem Kopf hat, gewiss wieder in seinen öden Normalzustand blasiert zurückschnappt.
Letzte Hoffnung: Tyrion Lannister. Dessen Darsteller Peter Dinklage wird in der Titelsequenz völlig zurecht als Erster genannt, er spielt zweifellos den interessantesten Charakter der Serie, scharfsinnig, witzig, dabei mehrfach vom Leben gestraft. Jede Wette: Der wird einmal auf dem Eisernen Thron sitzen. In dieser ersten Episode der sechsten Staffel deutet allerdings wenig darauf hin. Mit seinem Eunuchen-Kumpel Varys (Conleth Hill) spaziert er durch die von der Herrscherin verlassene und deshalb etwas desorganisiert wirkende Stadt Meereen, die beiden dialogisieren einigermaßen gewitzt, dann brennt es irgendwo, sie gehen hin, und sehen: Die gesamte Flotte lodert im Hafenbacken. "Wir werden so schnell nicht nach Westeros fahren", kommentiert Tyrion trocken. Und spricht damit aus, was der Zuschauer längst geahnt hat.
Quelle : welt.de
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