Die Erfolgsgeschichte der chinesischen Marke MG in Europa ist so ziemlich verrückt. Moment, chinesische Marke MG? Ja, keine Sorge, nicht nur Sie stutzen. MG, Morris Garage. Wer hätte jemals gedacht, dass die Firma hinter diesen klangvollen zwei Buchstaben, die geballte britische Autotradition verkörpert, einmal in chinesischer Hand sein würde?
Aber wie das so ist mit der zyklischen Entwicklung von Unternehmen - das Imperium British Leyland, zu dem MG später gehörte, ist zwar langsam untergegangen, aber es ist eben untergegangen. Und nun lebt das Label weiter unter der SAIC-Gruppe (Shanghai Automotive Industrie Corporation), die die Überreste des ehemaligen UK-Autogiganten schon vor rund 20 Jahren übernahm. Mit über 200.000 Mitarbeitern ist der Konzern keine kleine Nummer, gehört zu den relevanten Playern auf der automobilen Weltbühne. Aber ist das allein der Garant für den Erfolg vor allem in unseren Gefilden?
Wenn man die britische Website der Marke MG aufruft, erscheint dort nach Einblendung des MG-Logos auf rotem Hintergrund "100 Years Young" in einer schnörkeligen Schrift. Man kann dieses sozusagen markeneigene Geschichtsbewusstsein als pseudo abtun, denn die heutige Marke hat nichts, aber auch so gar nichts mit Morris Garage zu tun. Aber die Handhabe mit der Marke scheint zu funktionieren. Und um die britische Geschichte kontinuierlich zu halten, übernimmt die sogenannte MG Motor UK die Vertriebsaktivitäten im Königreich.
Allerdings haben sich die Fahrzeuge längst ebenso auf dem Kontinent ausgebreitet und MG ist in Deutschland die erfolgreichste chinesische Marke, sofern man die Geely-Produkte einmal ausklammert. Wer das Straßenbild hierzulande aufmerksam studiert, wird oft das MG-Logo entdecken. Und dass die Marke so erfolgreich ist, ist fast schon ein bisschen mysteriös, denn deren fahrbaren Untersätze sind jetzt keine Qualitätskracher, um es mal etwas flapsig auszudrücken. Basiert der Verkaufserfolg etwa auf dem Preis?
Das Label "xPower" ist durchaus historisch
Betrachtet man das Gesamtprogramm, so ist der ZS als Benziner zu Kursen ab knapp unter 18.000 Euro jedenfalls nicht die günstigste Möglichkeit, an einen Neuwagen zu kommen. Andererseits ist ein MG4 ab 34.990 Euro für eine rein elektrisch angetriebene Kompaktklasse schon ziemlich wohlfeil. Und auch wenn die Materialien im Innenraum hier und da etwas günstig gemacht wirken - das Modell ist insgesamt schon recht in Ordnung.
Und genau dieser MG4, auf dessen Rückgrat der MG-Erfolg jedenfalls hier in Deutschland basiert, soll Gegenstand dieser Abhandlung sein. Aber diesmal nicht etwa die langweilige Basis, sondern das reichlich verrückte Topmodell namens xPower. Diese Modellbezeichnung dürfte nicht ohne Bedacht gewählt sein, denn xPower SV hieß der letzte MG-Sportwagen in den Nullerjahren. Dieses aus einem Sammelsurium von Komponenten liederlich zusammengeschusterte V8-Biest mit mindestens 320 PS (Motor mit 4,6 respektive 5,0 Litern Hubraum aus dem Ford-Regal) wurde quasi nie verkauft bis auf ein paar wenige Exemplare.
Und jetzt ist er also wieder da, der xPower. Nicht als eigenständiges Modell, aber nicht weniger verrückt als Variante des an sich brav aussehenden MG4. Zu erkennen gibt sich das Fahrleistungsmonster - man kann diesen Kompakten kaum anders bezeichnen - äußerlich kaum. Der knapp gehaltene Schriftzug "xPower" rechts auf der Kofferraumklappe fällt kaum auf, allerdings entlarvt ihn ein Blick in Richtung Felgen. Denn die orangefarbenen Bremssättel der Topvariante stechen ins Auge.
Doch wie fährt sich dieser Wolf im Schafspelz? Eigentlich ziemlich unspektakulär, wenngleich wahnsinnig wuchtig. Es braucht den sportlichen Fahrmodus, um die volle Leistung zu mobilisieren, aber dann geht sozusagen die Post ab. Viel Aufsehen macht dieser 4,29 Meter lange Top-MG nicht um seine Potenz (435 PS sowie 600 Newtonmeter Drehmoment), kein spezieller Sound, kein Spiel mit irgendwelchen Licht-Features. Einfach nur ganz unaufgeregt Schub. Und zwar so viel, dass selbst zwei angetriebene Achsen um Traktion ringen auf trockener Straße.
Der Top-MG4 ist unglaublich giftig
Klar, denn mit einem Leergewicht von 1,8 Tonnen ist der Hot Hatch nicht einmal furchtbar schwer für einen Stromer. Und so fährt das viertürige Understatement-Monster auch nicht sonderlich gediegen, sondern eher ein bisschen flatterig. Aber alles gut, du fühlst dich nicht unsicher mit der Leistung, umrundest Kurven zügig und legst schnelle Autobahneinlagen hin. Und auf der freien Piste kommt es erst gar nicht dazu, dass es brenzlige Momente geben könnte. Denn der Kompakte prescht zwar binnen 3,8 Sekunden auf 100 km/h laut Werk, wird aber bei 200 Sachen reglementiert. Und so giftig er aus dem Stand losschießt, das muss man auch sagen, so müde wird er obenherum. Der Druck lässt mit zunehmendem Tempo deutlich nach, was okay ist, aber manchmal zu witzigen Situationen führt. Auf dem Zubringer schaut ein etwaiger BMW-M4-Fahrer noch dumm aus der Wäsche, um dann spätestens am Ende des Beschleunigungsstreifens die Macht wiederzuerlangen. Aber hey, die Rede ist hier von einem Kompakten zum Listenpreis von 46.990 Euro.
Und sonst so? Du kannst problemlos eine Weile mit dem Muskelpaket unterwegs sein, ohne durchgeschüttelt zu werden. Wobei die straffe Note des Fahrwerks schon durchkommt, aber anders wäre ja auch merkwürdig. Etwas Ironisches hat die Tatsache, dass die im xPower üppigeren Sportsessel eher eine Komfortfunktion erfüllen als die Aufgabe, die Passagiere bei wilder Gangart fest in der Mittelbahn zu halten. Denn: So richtig querdynamisch unterwegs sein willst du mit dem für die Leistung eher einen Zacken unterdimensionierten Fahrwerk eigentlich gar nicht. Muss auch nicht, man erwartet hier keinen Porsche-Standard. Insgesamt hält der viertürige Ausnahme-Stromer ganz gut als Allrounder her, stellt mit brauchbarem Platzangebot und überdies akzeptabler Bedienung zufrieden. Klar wäre beim Infotainment sowie dem Finish noch Luft nach oben. Aber bitte immer den Preis im Hinterkopf behalten.
Interessant zu wissen wäre für den Käufer vielleicht noch, dass mit dem kraftvollen Antriebsstrang die ganz große Batterie mit 77 kWh entfällt. Stattdessen gibt es bloß den mittleren Akku (64 kWh). Und da zwei Motoren nun einmal mehr Strom fressen als einer, kann der werksseitig angegebene WLTP-Verbrauch von 18,7 kWh je 100 Kilometer bei Umgang mit tiefem Fahrpedal auch mal überschritten werden. Und dann sind 385 Kilometer Reichweite arg theoretischer Natur. Dafür nimmt der kleine MG verdammt gut Energie auf mit seiner nominalen Ladeleistung von 140 kW. In rund 25 Minuten wieder auf knapp 80 Prozent Ladestand zu kommen, ist ein zutiefst realistisches Szenario. Realistischer ist allerdings auch, dass MG4-Kunden eher zu den schwächeren Modellen greifen. Wobei, gönnen Sie sich doch ruhig mal den Spaß des lautlosen Wolfs im Schafspelz. Witzig ist er in jedem Fall. Und nicht abgehoben teuer.
Fazit: Der MG4 xPower ist ein Auto, wie es verrückter kaum sein könnte. Es gibt zwar ähnlich motorisierte Elektromodelle in dieser Klasse - man denke etwa an Offerten wie Volvo EX30 Twin oder auch Smart #1 mit Doppelmotorantrieb. Aber im eher funktionalen MG4? Irgendwie sonderbar. Aber das macht ja auch so ein bisschen dessen Coolness aus, denn niemand rechnet mit einer solchen Power bei diesem eher unscheinbaren Fahrzeug. Für den Kurs von unter 50.000 Euro ist der Kompakte übrigens unschlagbar und daher eine Empfehlung. Dass er nicht vollkommen ist, muss gar nicht erst diskutiert werden. Aber jede Wette, dass man immer grinsend aus dem Hot Hatch aussteigt.
Quelle: ntv.de
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