Dass es eine Reform des Sexualstrafrechts gibt, hat viel mit der Kölner Silvesternacht zu tun. Unzählige Frauen wurden in und vor dem Hauptbahnhof belästigt, begrapscht und vergewaltigt. In der sich anschließenden Diskussion beklagten Politiker aller Parteien, dass viele der Taten strafrechtlich nur unzureichende Folgen haben würden. Tatsächlich plante das SPD-geführte Justizministerium von Heiko Maas jedoch schon zuvor eine Reform. Wegen mangelnden Interesses der Union lag das Vorhaben aber bis zum Jahresbeginn auf Eis.
Was gilt und wo ist das geltende Recht unscharf?
Der Straftatbestand von sexueller Nötigung oder Vergewaltigung ist bereits jetzt erfüllt, wenn Opfer durch "erhebliche" (dazu später mehr) Gewalt, akute Bedrohung von Leib und Leben oder Ausnutzung von Hilflosigkeit zum Sex gezwungen werden. Dazu müssen sie nachweisen, dass sie sich aktiv gewehrt haben oder massiv bedroht wurden. Praktisch ist das oft nicht möglich. Vergewaltigung grenzt sich dadurch von sexueller Nötigung ab, dass Geschlechtsverkehr vollzogen wird.
Begrapschen von Frauen, also das flüchtige Berühren intimer Körperteile, oder auch verbale sexuelle Belästigungen werden vom Gesetz in den allermeisten Fällen nicht als Sexualstraftat gewertet. Entscheidend ist es, ob ein Übergriff "erheblich" ist. Gerichte werteten dies unterschiedlich. Ist ein aufgezwungener Zungenkuss "erheblich"? Sehr häufig sahen die Gerichte das nicht so. Wenn Geschlechtsteile berührt werden, ist vielfach als entscheidend gewertet worden, ob dies oberhalb oder unterhalb der Kleidung geschah. Wenn Taten nicht "erheblich" sind, können sie derzeit allenfalls als Beleidigung geahndet werden – eine juristische Krücke mit entsprechend geringfügigen Strafen.
Was ist an der derzeitigen Regelung genau auszusetzen?
Derzeit, da sind sich fast alle Parteien einig, wird das Selbstbestimmungsrecht von Frauen nur unzureichend geschützt. Sexualstraftaten oder Belästigungen nachzuweisen, ist oft so schwierig, dass viele Frauen – oft ohnehin von der ihnen angetanen Gewalt beschämt – solche Vorfälle nicht anzeigen. Man geht davon aus, dass nur etwa jede zehnte Tat gemeldet wird. Bei den angezeigten Fällen kommt es nur bei ebenfalls rund zehn Prozent zu einer Verurteilung.
Viele internationale Institutionen bemängeln die deutsche Rechtslage. Der Ausschuss für die UN-Frauenrechtskommission beklagt, dass das Erfordernis von Gewaltanwendung oder -androhung unangemessen sei und einem Vergewaltigungsmythos entspringe, der Täter begünstige. Tatsächlich ist der erzwungene Sex an sich eine Gewalttat, der sich hilflose Frauen aus Furcht oft wehrlos ergeben. Zudem missachtet das geltende Recht, dass Frauen bei sexuellen Übergriffen häufig überrascht werden und ihnen somit die Gelegenheit zur Gegenwehr genommen ist.
Was sieht der Änderungsvorschlag der Regierung vor?
Das Kabinett will einige dieser sogenannten "Schutzlücken" beseitigen. So soll es sich um eine Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung künftig schon dann handeln, wenn sich das Opfer bedroht und schutzlos fühlt oder der Täter sein Opfer überrascht und es daher zum Widerstand unfähig ist. Es reicht dann auch schon aus, wenn ein Opfer durch Widerstand ein "empfindliches Übel" befürchtet – wenn etwa der Verlust des Arbeitsplatzes droht, wenn der Sex mit dem Chef abgelehnt wird.
Geht die Änderung weit genug?
Es gibt ziemlich viel Kritik an dem Entwurf. Viele Opferverbände, gesellschaftliche Akteure, der Bundesrat, aber auch Politiker selbst der SPD fordern, dass ein klares "Nein" einer Frau noch immer nicht ausreiche, um aus einer sexuellen Handlung eine Straftat zu machen. Denn künftig wäre Gewaltanwendung zwar nicht mehr erforderlich, um einen Straftatbestand zu erfüllen. Bis auf noch immer wenige Ausnahmen muss ein Opfer sich aber noch immer physisch wehren oder eine Fluchtmöglichkeit ergreifen.
Maas bezweifelt dagegen, ob eine reine "Nein"-Regel "in der Praxis handhabbar wäre". Ein "Nein" sei sehr schwer nachzuweisen. Zudem drohten viele Falschanzeigen: "Sozialübliche Verhaltensweisen zu Beginn einer Beziehung könnten kriminalisiert werden", heißt es. Gemeint ist wohl: Die Meinung, ob eine Person Sex haben möchte, kann sich im Laufe einer sich anbahnenden Beziehung ändern.
Bemängelt wird auch, dass "Grapschen" noch immer nicht bestraft werden soll. Die CDU-Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker sagte: "Beim Grapschen handelt es sich nicht um ein Kavaliersdelikt, sondern um einen massiven und traumatisierenden Übergriff, der durch nichts zu rechtfertigen ist." Es steht die Forderung im Raum, so etwas mit bis zu zwei Jahren Haft zu bestrafen. Es ist gut denkbar, dass das Gesetz wird, da es weit über die Parteigrenzen unterstützt wird. Auch Maas hat nicht gegen einen eigenen "Grapscherparagrafen".
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