Großbritannien und Frankreich schreiten voran, Deutschland bremst: Beim Pariser Gipfel zum Ukraine-Krieg haben sich die Europäer uneins in der Frage einer Friedenstruppe zur Sicherung eines möglichen Waffenstillstands gezeigt. Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete die Diskussionen nach dem Treffen als irritierend und völlig verfrüht und kritisierte, dass über die Köpfe der Ukrainer hinweg über mögliche Ergebnisse von Friedensgesprächen gesprochen werde, die noch gar nicht stattgefunden hätten.
Grundsätzlich seien die Länder bereit, der Ukraine Sicherheitsgarantien zu geben, sagte ein Insider nach den informellen Gesprächen. Dabei seien aber die Modalitäten eines jeden teilnehmenden Landes zu prüfen und es hänge auch davon ab, wie groß die Unterstützung der USA sei. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte auch die Staats- und Regierungschefs aus Großbritannien, Italien, Polen, Spanien, den Niederlanden und Dänemark sowie die Spitzen von EU und Nato eingeladen.
Scholz sprach danach von einer "unpassenden Debatte zur falschen Zeit und über das falsche Thema". Damit stellte er sich unter anderem gegen den britischen Premierminister Keir Starmer und Macron. Starmer war kurz vor dem Treffen vorgeprescht und zeigte sich "bereit und willens", notfalls Soldaten in das von Russland angegriffene Land zu entsenden. In einem Gastbeitrag für den "Telegraph" schrieb er, Großbritannien könne bei der Arbeit an Sicherheitsgarantien für die Ukraine eine "führende Rolle" übernehmen. Auch Frankreich soll bereits vor längerer Zeit die Bereitschaft zur Entsendung von Truppen bekundet haben.
Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot berichtete von sehr konkreten Gesprächen "auf verschiedenen Ebenen" über die Entsendung von Soldaten aus mehreren Ländern. Eine solche Friedenstruppe könnte einen künftigen Waffenstillstand und einen "dauerhaften Frieden" in der Ukraine gewährleisten, sagte er in einem Interview des Senders LCI.
USA: Europäer sollen sagen, was sie leisten können
Topthema bei dem Gipfel war die Frage, wie Europa auf den drastischen Kurswechsel in der US-Ukraine-Politik reagieren soll. US-Präsident Donald Trump will den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Kreml-Chef Wladimir Putin in Verhandlungen über ein Ende des Krieges zwingen und den Europäern die Verantwortung für die Absicherung eines Friedensdeals übertragen.
Dazu ging jüngst in Berlin und anderen europäischen Hauptstädten die Aufforderung ein, mögliche Beiträge zu Sicherheitsgarantien für die Ukraine zu melden. Die Länder sollen unter anderem angeben, ob sie Soldaten für eine Friedenstruppe oder Ausbildungsprogramme nach einem Ende des russischen Angriffskriegs in die Ukraine schicken könnten. Zudem soll es auch um Waffensysteme gehen und die Frage, was von den USA erwartet wird.
Starmer nutzte eine pessimistische Prognose nach den Gesprächen für einen Appell. Europa müsse seine Rolle spielen, sagte er. "Aber es muss eine US-Absicherung geben, denn nur eine US-Sicherheitsgarantie kann Russland wirksam von einem weiteren Angriff auf die Ukraine abhalten."
Die Europäer müssen auch entscheiden, wie sie damit umgehen wollen, dass die Amerikaner für sie keine zentrale Rolle im Verhandlungsprozess sehen - und von der Ukraine unabgesprochen Zugeständnisse fordern. Um ein Ende des russischen Angriffskriegs zu erreichen, soll die Ukraine aus US-Sicht ihre Ambitionen auf einen schnellen Nato-Beitritt aufgeben und akzeptieren, dass ein Teil ihres Staatsgebiets dauerhaft unter russischer Kontrolle bleibt.
Niederlande und Schweden offen für Friedenstruppen
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident António Costa erklärten nach dem Treffen auf X, die Europäer seien sich einig, dass die Ukraine einen Frieden verdiene, der die Unabhängigkeit und territoriale Integrität des Landes respektiere und starke Sicherheitsgarantien biete. Ungarn - selbst EU-Mitglied - unterstellte den Gipfelteilnehmern ganz andere Intentionen: In Paris seien "Kriegsbefürworter, Trump-feindliche und frustrierte europäische Politiker" zusammengekommen, um ein Friedensabkommen mit der Ukraine zu verhindern, sagte Außenminister Peter Szijjarto.
Die USA haben bereits klargemacht, dass sie keine Soldaten zur Sicherung eines Waffenstillstands in die Ukraine entsenden wollen. Gastgeber Macron hatte kurz vor dem Treffen noch mit US-Präsident Donald Trump telefoniert. Dieser will möglichst bald Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über ein Ende des russischen Angriffskriegs beginnen. US-Außenminister Marco Rubio und ranghohe Vertreter Russlands wollen diese Woche in Saudi-Arabien darüber sprechen - ohne Beteiligung der Ukraine oder anderer europäischer Vertreter.
Für die Entsendung von Truppen in die Ukraine hatten sich zuletzt auch die Niederlande und Schweden offen gezeigt. Spanien und Dänemark schlossen einen solchen Schritt zuletzt zumindest nicht mehr kategorisch aus. Anders als vom französischen Außenminister dargestellt, plant Polen keine Entsendung von Soldaten. "Das Treffen hat an unserem Standpunkt nichts geändert", sagte Regierungschef Donald Tusk. Zuvor hatte er betont, Polen habe nicht vor, Truppen in die Ukraine zu schicken. Es werde aber Länder, die in Zukunft solche Garantien geben wollen, logistisch und politisch unterstützen.
Truppenstärke wohl im fünfstelligen Bereich
Wie viele europäische Soldaten nach einer möglichen Friedensvereinbarung in die Ukraine geschickt werden könnten, ist unklar. Wie aus Verhandlungskreisen zu erfahren war, wird über eine fünfstellige Zahl gesprochen. Demnach ist eine von dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ins Spiel gebrachte Truppenstärke von 200.000 Soldaten unrealistisch. Zu Beginn der Debatte im Dezember war über rund 40.000 Soldaten spekuliert worden.
Nach Angaben von Diplomaten wird derzeit vor allem darüber gesprochen, ob und wenn ja, wie viele europäische Soldaten für die Ausbildung ukrainischer Streitkräfte im westlichen Teil des Landes stationiert werden könnten. Als äußerst unwahrscheinlich gilt demnach auch, dass sie direkt an die Frontlinie geschickt werden, um dort die Einhaltung einer möglichen Friedensvereinbarung zu überwachen.
Scholz steht seit Beginn der Debatte über eine Friedenstruppe auf der Bremse. Sein Argument: Zunächst einmal müsse es ein Verhandlungsergebnis unter Beteiligung der Ukrainer geben, erst dann könne es um eine Sicherung eines Waffenstillstands gehen. "Trump etwas für einen Deal zuzusagen, den wir nicht einmal kennen, wäre fahrlässig", heißt es aus deutschen Regierungskreisen.
Scholz pocht auf US-Beteiligung
Für die Entsendung von Truppen gibt es für den Kanzler zudem eine rote Linie: Ohne eine Beteiligung von US-Truppen kommt dies für ihn nicht infrage, weil es aus seiner Sicht die Nato spalten würde: "Wir werden uns in diesem Zusammenhang nicht an Szenarien beteiligen, in denen europäische und amerikanische Sicherheit auseinanderfallen, also beispielsweise europäische Soldaten ohne volle US-Involvierung eingesetzt werden", argumentiert er.
Der Militärexperte Carlo Masala hält zumindest eine Absicherung durch die USA für nötig. "Bevor die Europäer Friedenstruppen in die Ukraine entsenden, müssten die Amerikaner eine Sicherheitsgarantie für den Fall abgeben, dass diese Truppen angegriffen werden – etwa mit Hilfe von Marschflugkörpern, die Ziele in Russland von außerhalb erreichen können", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. In jedem Fall müssten die Europäer "jetzt massiv Geld an die Hand nehmen, um die militärische und humanitäre Unterstützung der Ukraine sicherzustellen", so der Politikwissenschaftler von der Universität der Bundeswehr in München. "Außerdem sollten sie das Angebot von Donald Trump prüfen, amerikanische Waffen zu kaufen und der Ukraine zu geben, und dieses Angebot, wenn es noch Bestand hat, annehmen."
Quelle: ntv.de, Michael Fischer, Ansgar Haase, Julia Kilian und Michael Evers, dpa
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