AfD und Volksparteien: Merkels Zeit ist abgelaufen

  02 Mai 2016    Gelesen: 647
AfD und Volksparteien: Merkels Zeit ist abgelaufen
In Stuttgart inszenierte sich die AfD als neue Kraft gegen das Establishment. Niemand verkörpert dieses derzeit mehr als die Bundeskanzlerin. Will sie die AfD wieder kleinkriegen, sollte sie Platz machen.
Es gab schon einmal eine Partei, die sich gegen die herrschende Klasse auflehnte, sie gründete sich vor 36 Jahren, drei Jahre danach zog sie in den Bundestag. Sie veränderte das Land nachhaltig. Vieles, was uns heute selbstverständlich und wichtig erscheint, haben Leute aus dieser Partei angestoßen: regenerative Energien, Gleichstellung von Mann und Frau, von heterosexuellen und homosexuellen Partnerschaften, umweltfreundlichere Technologien in der Autoindustrie, Biolebensmittel, größere Chancengleichheit in der Schule, Weltoffenheit.

Zurzeit macht sich wieder eine Partei auf den Weg, Deutschland zu verändern. Wie viele Grüne in ihren Anfangstagen lehnt sie das System ab, geißelt seine Repräsentanten und sieht überall nur Kungelei und Anpassung. Die Partei gründete sich vor drei Jahren und dürfte sehr wahrscheinlich nach ähnlich kurzer Zeit wie die Grünen in den Bundestag einziehen. Mit dem Unterschied, dass sie dort eine Politik vorantreiben wird, die nicht modern und progressiv ist, sondern destruktiv und rückwärtsgewandt. Ja, eine Politik, die in vielen Punkten klar gegen die Verfassung verstößt.
Der signifikante Erfolg der AfD speist sich nicht nur aus der Ablehnung der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Die hat sich längst auf ihre Kritiker zubewegt und ihr Handeln angepasst. Die Flüchtlingszahlen gehen inzwischen zurück, die Umfragewerte der AfD aber immer weiter nach oben. Bundesweit hat sie jüngst die Grünen überholt. Es fehlt nicht mehr viel zur SPD. Auf dem Parteitag am Wochenende in Stuttgart arbeitete sie konzentriert an ihrem Grundsatzprogram und sendete das Signal: Wir sind eine normale Partei.

Die CDU ein "Hohlkörper"?

Doch das ist sie nicht. Sie ist eine radikale Partei, die nicht den Fortschritt will, sondern die Einschränkung. Die Einschränkung von Religionen, Einschränkung von Lebensformen, Einschränkung von politischer Gestaltung. Die AfD ist zum Sammelbecken all jener geworden, die bisher nicht gewählt haben oder sich bei den bisherigen großen Volksparteien SPD und CDU nicht mehr heimisch fühlen. Diese Wähler flüchten zur AfD und nehmen deren Radikalität wohl oder übel in Kauf.

Der CDU kommen ihre Konservativsten immer mehr abhanden, je länger die Partei von Angela Merkel geführt wird. Ihr Frust darüber ist grenzenlos, dass Merkel alle Widersacher weggebissen oder ausgesessen hat. Ungebremst machen sie ihrer Enttäuschung Luft, dass sie vermeintlich das CDU-Profil schleift, indem sie SPD-Politik macht. Merkel habe aus der CDU einen politischen "Hohlkörper" gemacht, warf ihr ausgerechnet SPD-Chef Sigmar Gabriel vor. So dreist habe in Deutschland noch niemand versucht, sich von jahrelang vertretenen Haltungen zu verabschieden. Alles für den Machterhalt. Der Ärger darüber manifestiert sich nun bei vielen in Form einer Mitgliedschaft oder des Wählerkreuzchens bei der AfD.

Dabei ist auch die SPD längst ausgehöhlt. Und Merkel hat daran ihren Anteil. Frühere Sozialdemokraten wenden sich den Rechtspopulisten zu, weil sie nicht mehr wissen, wofür ihre alte Partei noch steht. Sigmar Gabriel kann keine Oppositionspolitik betreiben, weil er seit Jahren der Regierung angehört und den Kurs Merkels im Grunde richtig findet. Klassische SPD-Politik wie Mindestlohn, Absenkung des Renteneintrittsalters, Frauenquote zahlt nicht auf das Konto der SPD ein, dafür aber die wachsende Zahl an Genehmigungen für Rüstungsausfuhren in fragwürdige Länder, der Mangel an bezahlbaren Wohnungen oder die Zunahme von Leiharbeit und Werkverträgen.

Merkel sollte verzichten

Merkel hat in ihrer Regentschaft gleich zwei politische Lager pulverisiert. Ihr eigenes und das der Sozialdemokraten. Das Ergebnis ist der Aufstieg der AfD. Natürlich kann man die Hoffnung haben, dass sich die Partei wegen ihrer zig Strömungen und Positionen irgendwann selbst zerlegt, dass ihr - je besser Flüchtlinge integriert werden - das Thema fehlt und sie sich wieder bei fünf bis acht Prozent einpendelt. Aber was, wenn sich diese Hoffnung nicht erfüllt?

Am Ende der Legislaturperiode wird Angela Merkel 12 Jahre Bundeskanzlerin gewesen sein. Träte sie 2017 wieder an und würde wiedergewählt, wären es 16 Jahre. So lange war auch Helmut Kohl im Amt. Am Ende jagten ihn jene Grünen gemeinsam mit der SPD vom Hof, die jahrelang gegen die Erstarrung aufbegehrten.

Ein gewisser Überdruss an Merkel stellt sich jetzt schon ein, man mag gar nicht darüber nachdenken, wie das im Jahr 2021 aussähe. Und noch weniger, wie es wäre, wenn die AfD dann Merkel vom Hof jagte und in welcher Konstellation auch immer Regierungsverantwortung übernähme.

Merkel wäre klug beraten, wenn sie auf die nächste Kanzlerkandidatur verzichten würde und Platz für einen ausgewiesenen Konservativen machte. Das muss keinen Rückfall in die Fünfzigerjahre bedeuten, als die Frau noch am Herd zu stehen hatte und Familie aus Vater, Mutter, Kind bestand. Für so etwas steht auch Wolfgang Schäuble nicht, und trotzdem ist er ein Konservativer, der sich so einen Lebenstraum erfüllen und zumindest für vier Jahre Übergangskanzler sein könnte. In dieser Zeit hätten all jene in der CDU Gelegenheit sich zu profilieren, die bislang im Schatten Merkels verkümmerten. Die Konservativen hätten wieder eine Heimat.
Ein Abgang Merkels würde auch der SPD wieder Luft zum Atmen lassen und den freien Fall in die Bedeutungslosigkeit womöglich stoppen. Ginge Sigmar Gabriel gleich mit, bliebe genügend Zeit zur Erneuerung mit frischem Personal, das nicht Oppermann oder Nahles heißt. Es bestünde wieder die Chance auf Abgrenzung, auf Selbstgewissheit an der eigenen Leistung, auf Reibung mit einer Partei aus der Mitte des politischen Spektrums.

Für Deutschland ist es gegenwärtig jedenfalls besser, wenn sich zwei Volksparteien aneinander reiben, als beide Volksparteien an der AfD.

Quelle : spiegel.de

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