Europas Rüstungsfirmen buhlen um Fachkräfte

  28 Mai 2025    Gelesen: 101
  Europas Rüstungsfirmen buhlen um Fachkräfte

Russlands Großangriff auf die Ukraine beschert der europäischen Rüstungsindustrie einen Boom. Sie kann sich vor Aufträgen kaum retten, und auch das Image wird besser. Dafür steht sie vor einem anderen Problem.

Die europäischen Rüstungsunternehmen mit ihren vollen Auftragsbüchern suchen händeringend nach Fachkräften. Manche wenden sich der kriselnden Autobranche zu, um qualifizierte Beschäftigte zu finden, die sich gut mit der Serienproduktion auskennen. Andere gründen eigene Berufsschulen, weil sie auf dem Arbeitsmarkt nicht fündig werden, oder bieten hohe Löhne. Die Nachrichtenagentur Reuters hat mit mehr als einem Dutzend Unternehmen, Personalvermittlern und Fachkräften über Mittel und Wege gesprochen, mit der boomenden Nachfrage nach Rüstungsgütern Schritt zu halten. Die Herausforderungen sind vielfältig.

Für den deutsch-französischen Panzerbauer KNDS, der seine jährlichen Neueinstellungen um die Hälfte erhöhen will, ist die Rekrutierung von neuem Personal ein zentrales Thema: "Wir müssen sehr spezifisches Know-how beherrschen, das besondere Fähigkeiten erfordert. Diese sind auf dem Arbeitsmarkt selten", beschreibt Konzernsprecher Gabriel Massoni das Problem. "Wir werden eine Caesar-Haubitze nicht auf die gleiche Weise herstellen wie einen Peugeot 308." Zugleich gebe es Grenzen bei der Lohnerhöhung, erklärt Nicolas Chamussy, der Geschäftsführer von KNDS Frankreich. "Wenn unsere Löhne unkontrolliert steigen, werden wir weniger wettbewerbsfähig."

Auch bei Rheinmetall stehen die Zeichen auf Wachstum. Deswegen sucht der Düsseldorfer Konzern unter anderem Produktentwickler, Ingenieure, Schweißer und Elektroniktechniker. Ähnlich sieht es bei der Marinetochter von Thyssenkrupp aus, die nach der Übernahme der insolventen MV Werft in Wismar bis zu 1500 neue Mitarbeiter sucht. Das Unternehmen durchforstet Fachmessen, sieht jedoch einen Mangel an Experten aus den naturwissenschaftlich-technischen Bereichen. Der italienische Rüstungskonzern Leonardo teilt diese Einschätzung. "Früher reichte die Tatsache, dass wir sichere, qualitativ hochwertige Verträge anboten, um unsere Führungsposition zu sichern", erklärt das Unternehmen. "Heute bevorzugen junge Menschen jedoch andere Branchen."

Kandidaten ohne Lebenslauf

Wie aufwendig die Suche ist, zeigt ein Beispiel der Pariser Personalvermittlung Headhunting Factory. Die Firma hat sich auf die Rekrutierung von Mechanikern, Systemingenieuren und Technikern für einige der 4000 mittelständischen Zulieferer der französischen Verteidigungsindustrie spezialisiert. Ihre potenziellen Kandidaten hätten noch nie Kontakt zu einem Headhunter gehabt, sagt Geschäftsführer Godefroy Jordan. "Sie haben nicht einmal einen Lebenslauf." Entsprechend skeptisch seien sie bei der Kontaktaufnahme: "Wenn wir sie anrufen, denken sie, es ist Betrug." Am Geld liegt es Jordan zufolge nicht. Es handle sich um ein Ressourcenproblem, weil die Fähigkeiten nicht vorhanden seien.

Die tschechische PBS Group geht im Ringen um neue Talente einen Schritt weiter. "Wir haben auch unsere eigene Berufsschule gegründet, in der wir unsere eigenen Mitarbeiter ausbilden", sagt Milan Macholan, Geschäftsführer des Produktionsstandorts in Velka Bites im südlichen Teil des Landes. Wären die benötigten Kandidaten auf dem Arbeitsmarkt verfügbar, würde das Unternehmen die meisten sofort einstellen, ergänzt Pavel Cechal, Vizepräsident für den operativen Bereich bei PBS. "Wir haben die Aufträge dafür." Der Hersteller von Motoren für Raketen und Drohnen hat die Löhne im vergangenen Jahr um acht Prozent erhöht und plant für 2025 eine weitere Steigerung um zehn Prozent, um neues Personal anzulocken. "Wir stellen derzeit auf allen Ebenen des Unternehmens ein."

Mitarbeiter aus der Automobilbranche gefragt

Für Arbeiter aus der kriselnden Autobranche könnte der Aufschwung im Rüstungsbereich ein Lichtblick sein. So zeigt sich der Zulieferer Hensoldt offen für diese Berufsgruppe, weil sie an eine bedarfssynchrone Produktion (Just in Time) gewöhnt sind, wie Konzernchef Oliver Dörre erklärt. Der Anbieter von militärischen Radar- und Aufklärungssystemen erhoffe sich dadurch "Know-how, um uns auf diesem Weg hin zu einer Serienfertigung, zu einer Skalierung der Produktion zu unterstützen."

Die Probleme der Automobilindustrie erweisen sich für den tschechischen Munitions- und Granathersteller STV Group als Glücksfall. "Mit der sich verschlechternden Situation in der Automobilindustrie sind wir jetzt zum ersten Mal seit langem in einer Lage, in der wir ein wenig unter den Leuten auswählen können", sagt deren Vorstandsvorsitzender David Hac.

Den betroffenen Arbeitern fällt die Entscheidung, die Branche zu wechseln, oft nicht leicht. Emrullah Karaca arbeitet seit 25 Jahren für den Autozulieferer Continental und denkt über einen Wechsel zu Rheinmetall nach. Denn das Conti-Werk im niedersächsischen Gifhorn schließt bald die Pforten. Rheinmetall betreibt eine Fabrik etwa 50 Kilometer nördlich davon. Der dreifache Vater, der sich zum Maschinenanlagenführer mit Schwerpunkt Kunststofftechnik ausbilden ließ und bisher eine Anfahrt von fünf Minuten hatte, zieht auch andere Optionen in Betracht - ohne einen dreistündigen Arbeitsweg.

Quelle: ntv.de, Michael Kahn, Christoph Steitz und Dominique Patton, Reuters


Tags:


Newsticker