Der Aufstand gegen die US-Regierung hatte sich lange angekündigt. Wochenlang rumorte es unter den Teilnehmern, hatte sich ihre Unzufriedenheit mit der Politik in Washington immer wieder gezeigt. Um loszuschlagen, mussten sie sich weder verabreden noch einen geheimen Schlachtplan entwerfen. Sie fanden sich spontan zusammen und machten ihrem Ärger Luft.
Dabei stürmten die Angreifer keineswegs mit Gewehren das Kapitol oder das Weiße Haus in Washington. Geldgeber der US-Regierung lehnten sich auf und bedrohten ihre Geschäftsgrundlage, indem sie den amerikanischen Staatsschulden ihr über Jahrzehnte unerschütterliches Vertrauen entzogen.
Die Renditen für dreißigjährige US-Staatsanleihen stiegen infolge dieser Revolte über fünf Prozent - die wichtige psychologische Schwelle, die die Märkte seit fast zwei Jahrzehnten nie dauerhaft getestet haben. Auch die Zinsen für 20-jährige US-Papiere haben die Fünf-Prozent-Marke geknackt. Dieser Käuferstreik am Markt für US-Staatsanleihen ist zwar noch keine Panik. Aber er zeigt: Die Investoren beginnen ernsthaft zu zweifeln, ob man der US-Regierung - dem wichtigsten und größten Schuldner der Welt - weiterhin Geld leihen kann.
Der Dammbruch kommt nach der historischen Herabstufung der Bonität der US-Staatsschulden durch die Ratingagentur Moody's. Erstmals in der modernen Geschichte haben die USA bei keiner der drei großen internationalen Agenturen die Bestnote.
Der Vertrauensverlust ist eine Zäsur für die internationalen Finanzmärkte. Denn bisher sind US-Staatsanleihen das unerschütterliche Fundament, auf dem das globale Geldsystem ruht. Wenn das Vertrauen in die US-Kreditwürdigkeit verpufft, ist das System bedroht.
Anleihe-Bürgerwehr schießt sich auf Trump ein
Erstmals wird eine dauerhafte Abkehr internationaler Investoren von US-Staatsanleihen denkbar - und damit auch ein Ende des Dollars als weltweite Leit- und Reservewährung. "Selbst, wenn heimische Investoren den Staatsanleihen irgendwann den Rücken stärken würden, bliebe der Dollar unter Druck - denn ausländische Käufer ziehen sich zunehmend aus ihrer Rolle als verlässliche Käufer zurück", warnt Tim Baker, der Devisen-Guru der Deutschen Bank.
Der gigantische Schuldenberg der USA bereitet den Märkten schon lange Kopfzerbrechen. In der Finanzwelt ist von der "Bond Vigilante", der Anleihe-Bürgerwehr die Rede, die beginnt, sich auf Trump einzuschießen. Denn die USA machen immer mehr Schulden: Mit insgesamt 36 Billionen Dollar stehen sie inzwischen in der Kreide - rund 122 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung.
Damit liegt die Schuldenquote heute so hoch wie auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs. Das Land ächzt unter finanziellen Verpflichtungen wie mitten im größten Konflikt der Weltgeschichte - obwohl es sich im Frieden befindet, wirtschaftlich wächst und kaum Arbeitslose hat. Schon jetzt wenden die USA mehr Geld für Zinsen auf als für ihr gesamtes Militär oder für Gesundheit. Bis 2035 könnte fast ein Drittel der Steuereinnahmen allein in den Schuldendienst fließen.
Die Schuldenorgie begann vor mehr als 20 Jahren: Die Steuergeschenke von Präsident George W. Bush, die Bankenrettung in der Finanzkrise unter Barack Obama, die gigantischen Steuersenkungen für Milliardäre und Superreiche in Trumps erster Amtszeit und dann die Konjunkturpakete in der Corona-Pandemie unter Joe Biden haben die Schuldenlast des Landes schubweise auf ein schwindelerregendes Niveau gehievt.
Die Steuerreform ist eine riskante Schuldenwette
Nun setzt Trump noch einen drauf. Mit der Verlängerung seiner Steuersenkungen für Reiche kommen in den nächsten zehn Jahren nochmal mehr als drei Billionen Dollar auf Pump dazu. Das Haushaltsdefizit wird dadurch in den kommenden 30 Jahren laut Schätzung der US-Haushaltsbehörde CBO auf sieben Prozent der Wirtschaftsleistung wachsen. Schon heute sind es über sechs Prozent jährlich.
Es ist eine Wette auf mehr Wachstum, mit dem die Steuerreform ihre eigenen Kosten einspielen soll. Das ist allerdings nicht sehr wahrscheinlich. "Was wir gerade erkennen, ist, dass es keine ernsthafte Haushaltskonsolidierung geben wird. Die USA werden auf absehbare Zeit extrem hohe Defizite fahren … und beim nächsten Abschwung oder in einer Krisensituation werden diese Defizite sogar noch größer ausfallen", zitiert das "Wall Street Journal" einen Investmentanalysten.
Es gibt weitere Faktoren, die die Haushaltskrise noch verschärfen: vor allem Trumps globaler Zollkrieg und die weiter steigende Inflation. JPMorgan-Chef Jamie Dimon will daher nicht ausschließen, dass die US-Wirtschaft in eine Phase der Stagflation rutscht - getrieben von geopolitischen Risiken, Defiziten und Preisdruck. "Von einer komfortablen Lage kann keine Rede sein", zitiert "Bloomberg" den Chef der Investmentbank.
Während Politiker in Washington den Geldhahn immer weiter aufdrehten, haben Wissenschaftler vor den Konsequenzen des Finanzexzesses gewarnt. Schon vor 16 Jahren errechneten die Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff anhand historischer Daten, dass sich ein Verschuldungsgrad von etwa 90 Prozent der Wirtschaftsleistung negativ auf das Wachstumspotenzial eines Landes auswirkt. Auch wenn Zweifel bestehen, dass es einen bestimmten Kipppunkt in den Staatsfinanzen gibt: Immer mehr Investoren sind der Meinung, dass sich die USA einem finanziellen Wendepunkt nähern - oder längst darüber hinaus sind.
Fed-Chef Jerome Powell brachte diese Überzeugung vor mehr als einem Jahr beim US-Sender CBS auf den Punkt: "Die USA befinden sich auf einem fiskalisch nicht tragfähigen Kurs. Die Schulden wachsen schneller als die Wirtschaft. Es wird höchste Zeit, dass wir der fiskalischen Nachhaltigkeit wieder Priorität einräumen - je früher, desto besser."
Der Schuldenberg könnte Trump Einhalt gebieten
Doch es gibt keinen politischen Konsens in Washington, wie das exzessive Schuldenmachen beendet werden könnte. Seit Jahren wiederholt sich das politische Hickhack um die Schuldenobergrenze im Kongress, versuchen jeweils oppositionelle Republikaner oder Demokraten, ihren politischen Gegner im Weißen Haus mit dem Schreckgespenst des drohenden Zahlungsausfalls politisch zu erpressen.
Und nun kommt noch etwas Neues hinzu: Trump, für den die erodierende Kreditwürdigkeit der USA und die Schwächung des Dollars nicht nur ein schwelendes Übel sind, sondern eine wünschenswerte Entwicklung, die er mindestens sorglos in Kauf nimmt - wenn nicht sogar aktiv befördert. Dadurch ist Amerikas Schuldenberg nun erstmals akut einsturzgefährdet.
Denn Trump hält den Greenback dank seiner Rolle als Reservewährung der Welt für "künstlich überbewertet", US-Exporte im Vergleich zu Ausfuhren aus China deshalb für zu teuer und nicht wettbewerbsfähig. Trump sieht darin den Hauptgrund, warum gut bezahlte Industriejobs ins Ausland abgewandert sind. Trump glaubt, dass er den Trend umkehren und Jobs aus China zurückholen kann, indem er den Dollar schwächt.
Eine Art wirtschaftliches Naturgesetz der vergangenen Jahrzehnte gerät dadurch nun ins Wanken: dass der Rest der Welt wie selbstverständlich sein Erspartes in die USA schafft und so die exorbitanten Defizite der US-Regierung immer weiter finanziert.
Der Warnschuss der Märkte ist ein ökonomischer Realitätscheck für Trump und seine Agenda. Schon vor der Wahl hatte sich angedeutet, dass nur der drohende Einsturz des US-Schuldenbergs ihn womöglich daran hindern könnte, all seine Pläne umzusetzen. Dieses Szenario ist nun in greifbare Nähe gerückt.
Quelle: ntv.de
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