Die Rente bleibt unsicher

  04 Mai 2016    Gelesen: 658
Die Rente bleibt unsicher
Ein ideales und auf Dauer funktionierendes Rentensystem gibt es nicht – weder staatlich noch privat organisiert. Für eine aktuelle Reform sind drei Punkte entscheidend.
Plötzlich ist die Rente wieder Topthema. Auf vielen Mai-Kundgebungen forderten Gewerkschaften, das Rentenniveau zu stabilisieren: Dieses dürfe nicht weiter sinken, bis es wie vorgesehen im Jahr 2030 nur noch bei 43 Prozent liegt. Diesen Gewerkschaftskurs hat sich SPD-Chef Sigmar Gabriel bereits zu eigen gemacht. Hingegen will Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) – wie man hört – die Rente nicht zum Wahlkampfthema machen.

Warum eigentlich nicht? Wenn sich in einem Wahlkampf ein konkretes Konzept durchsetzt, hat es bessere Chancen, längere Zeit zu gelten als ein Kompromiss, der erst in Koalitionsverhandlungen thematisiert und gefunden wird. Der Rente mit 63 hätte das gutgetan, für eine Änderung der Rentenformel gälte es noch mehr.

Der wahrscheinlich nachhaltigste Beitrag zur Nachhaltigkeit der Rente wäre es, wenn die Politik offen sagte, dass immer wieder Änderungen der Altersvorsorge notwendig sein werden. Denn die Wahrheit ist, dass es ein ideales Rentensystem nicht gibt. In einer Welt, die sich ständig ändert und in der auch Lebensläufe sich ändern, kann es keine Jahrzehnte lang absolut stabilen Beiträge und Renten geben. Weder staatlich noch privat organisiert. Ein ideales Rentensystem kann es im Übrigen auch deshalb nicht geben, weil es nicht rein wissenschaftlich abzuleiten ist. Es spielen immer Werturteile und politische Ziele eine Rolle. Und ein Wissenschaftler hat kein Recht, seine Vorstellungen auf die gesamte Bevölkerung zu übertragen. Welche Werturteile am Ende umgesetzt werden, wird in Wahlen und den daraus resultierenden Mehrheiten im Bundestag entschieden.

Auch wenn ein Wissenschaftler keine ideales Rentensystem entwerfen kann, kann er doch auf Wirkungszusammenhänge und Zielverfehlungen eingehen. Was liegt da an?

ist Vorstandsmitglied des DIW Berlin, Mitglied im Sachverständigenrat für Verbraucherfragen und Vorsitzender des Sozialbeirats der Bundesregierung. Er gibt hier seine persönliche Meinung wieder.

Ausgangspunkt der derzeitigen Diskussionen, auch bei den Mai-Kundgebungen war das der Fall, ist zu Recht die Riester-Rente. Sie wurde geschaffen, um die Absenkung des Rentenniveaus durch eine stärkere private Vorsorge zu kompensieren Aber diese Ergänzung war und ist freiwillig, sodass das absinkende Sicherungsniveau der gesetzlichen Rente nicht eins zu eins ausgeglichen wird. Zudem wurden die Riester-Produkte der privaten Vorsorge teilweise teuer, und sie sind für Laien intransparent.

Vor diesem Hintergrund ist ein Vorschlag dreier hessischer Landesminister, eine neue kapitalgedeckte Altersvorsorge namens Deutschland-Rente einzuführen, ausgesprochen diskussionswürdig. Der Ausbau einer kapitalgedeckten Zusatzversorgung ist sinnvoll, weil in fast allen entwickelten Volkswirtschaften die Lohnquoten zurückgehen und zusätzlich zur Bevölkerungsalterung umlagefinanzierte Rentensysteme unter Druck setzen. Die Idee der Deutschland-Rente unterscheidet sich von der Riester-Rente im Wesentlichen dadurch, dass ein Opt-Out (statt wie bei Riester ein Opt-In) implementiert würde. Das heißt: Wer nicht widerspricht, der ist dabei. Und es sollte ein nicht privatwirtschaftlich organisierter Fonds sein, der das Geld anlegt. Wunder würde das natürlich nicht bewirken – und es schmälert auf jeden Fall den Nettolohn, egal ob Arbeitgeber sich an den Vorsorgebeiträgen beteiligen oder nicht.

Zentral aber ist: Auch bei der Rente ist es klug, nicht nur auf eine bestimmte Art vorzusorgen . Denn alle Rentenansprüche – ob kapitalgedeckt oder umlagefinanziert – sind Ansprüche an die Wertschöpfung in der Zukunft und somit zwingend mit Risiken behaftet.

Was auf jeden Fall als Reform sinnvoll ist, ist eine nur begrenzte Anrechnung privater Renten bei der Grundrente. Wer auf eine bedarfsgeprüfte Basisrente angewiesen ist, dem sollten private Rentenansprüche nicht – wie gegenwärtig – hundertprozentig angerechnet werden. Nur so lohnt sich auch für Geringverdiener private Altersvorsorge.

Steigende Altersarmut verhindern

Die im Koalitionsvertrag stehende Lebensleistungsrente für langjährig Versicherte ist ein durchaus wirksames Instrument, um langjährig im Niedriglohnsektor tätige Versicherten eine über der Grundsicherung liegende Rente zu ermöglichen. Je nachdem, ob auch Zeiten der Arbeitslosigkeit einbezogen werden, wird damit auch Arbeitslosen geholfen. Das kann die Akzeptanz der Rentenversicherung stärken – freilich werden Versicherung und Fürsorge vermischt, und dadurch kann die verwaltungsmäßige Umsetzung kompliziert werden.

Wahr ist aber auch: Das größte Risiko, im Alter auf die Fürsorge angewiesen zu sein, erwächst nicht aus der Absenkung des Rentenniveaus, sondern neben dauerhaft niedrigen Löhnen wegen nicht beitragspflichtiger Erwerbstätigkeit (Stichwort Solo-Selbstständigkeit) und Erwerbsminderung in jungen Jahren.

Wer das Pech hat, aus Gesundheitsgründen frühzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden zu müssen, der sollte eine durchaus großzügige Erwerbsminderungsrente erhalten. Wie hoch diese sein soll, ist freilich auch wieder eine politische Entscheidung.

Die Politik sollte endlich den Mut aufbringen, alle Erwerbstätigen, die jünger als 45 Jahre sind, zu Pflichtmitgliedern in der gesetzlichen Rentenversicherung zu machen – es sei denn, sie sind bereits anderweitig, wie beispielsweise Anwälte oder Ärzte über berufsständische Systeme (dazu gehört auch die Beamtenversorgung), obligatorisch abgesichert.

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