Wessen Idee war der gescheiterte Aufstand der PKK in den Städten der Türkei?

  04 Mai 2016    Gelesen: 697
Wessen Idee war der gescheiterte Aufstand der PKK in den Städten der Türkei?
Wie konnte die PKK sich nur auf den Aufstand der urbanen Stadtguerilla einlassen? Diese Frage stellen sich zahlreiche Beobachter angesichts der desaströsen Bilanz, die nach mehr als einem halben Jahr der Gewalt zu verzeichnen ist. Der bewaffnete Aufstand hat nicht nur schwere Verluste für die Terrororganisation nach sich gezogen, wobei auf Grund der großen Zahl an Jugendlichen, die für diese Zwecke verheizt wurden, die Bilanz besonders bitter ist. Auch ist es nicht zum erhofften Solidarisierungseffekt innerhalb der Bevölkerung gekommen – im Gegenteil, die Wut über zerstörte Straßenzüge und Kulturdenkmäler trifft vor allem die PKK selbst.
Analysen sprechen nun davon, dass im Südosten der Türkei weithin davon ausgegangen wird, dass die Führung der Organisation durch allzu euphorische Berichte der Einheiten an der Basis in die Irre geführt wurden, insbesondere bezüglich deren Einschätzung hinsichtlich der Bereitschaft der Menschen, sich an einem Volksaufstand zu beteiligen.

Ein Anwohner im lange heftig umkämpften Bezirk Sur in der Provinz Diyarbakır erklärte etwa: „Die PKK dachte, die Leute wären auf ihrer Seite. Sie dachten, sie würden sich mit ihnen zusammen erheben. Sie staffierten die Siedlungen mit Waffen und Bomben aus, aber sobald die Bomben zu explodieren begannen, flüchteten die Zivilisten in Scharen. Am Ende harrte keiner mit ihnen aus.“

Auch eine völlig verfehlte Interpretation des Wahlergebnisses vom 7. Juni des Vorjahres vonseiten der PKK habe die Wende der Organisation zum bewaffneten Kampf im urbanen Rahmen begünstigt. Vor allem die PKK-Unterstützer in den Städten sahen die Ergebnisse der HDP, die erstmals landesweit als Partei antrat und auf Anhieb deutlich über die Zehn-Prozent-Hürde gelangte, eine Form der Rückendeckung, die man auch als implizite Aufforderung betrachten könne, bezüglich der „Autonomie“-Bestrebungen einen Zahn zuzulegen.

„Man dachte, die gesamte Wählerschaft würde einen Aufstand in all jenen Gegenden unterstützen, in denen die HDP gute Resultate einfuhr“, erklärte ein lokaler Beobachter gegenüber dem Portal Al-Monitor. „Man sagte den Menschen, die PKK verfüge über 600 000 Milizsoldaten.“ Diese Meldungen erreichten am Ende auch in dieser Form die Führung in den Bergen, die ohnehin in ihrer abgeschotteten Lage nicht unbedingt die idealen Voraussetzungen dafür findet, ein nicht durch ideologisches Wunschdenken gekennzeichnetes Bild von den Realitäten im Tal zu entwickeln.

Bald darauf begann man damit, Gräben auszuheben und sogar auf Hauptstraßen Gruben zu graben. Während des Friedensprozesses hatte die Regierung in Ankara diese Vorgehensweise auch toleriert. Die PKK hat die Nachgiebigkeit der Regierung offenbar als Schwäche ausgelegt. Sie sahen die „Autonomie“ unter eigenen Vorgaben unmittelbar bevorstehen und die HDP-Ergebnisse – 91 Prozent in Şırnak, 90 Prozent in Nusaybin, 89 Prozent in Silopi oder 79 Prozent in Sur – als Handlungsauftrag in Richtung Eskalation.

Berichte von der Basis seien nicht alleine für das Handeln der Oberen verantwortlich, erklärte der frühere PKK-Kader Hüseyin Turhalli, die Führung hätte seit längerer Zeit Berichte dieser Art erhalten. Diese könnten keine Entscheidungen herbeiführen, aber die Ausführung und das Timing bestehender Pläne beeinflussen. Dazu sei der Faktor Rojava gekommen. Dort hatte die PKK-nahe PYD einen propagandistischen Erfolg zu verbuchen und war sogar in der Lage, Hilfe von außen zu erhalten.

Die Entscheidung der PKK, eine Forcierung des bewaffneten Kampfes wieder ins Auge zu fassen, sei eingeweihten Quellen von Al-Monitor zufolge, die im Interesse ihrer Sicherheit ungenannt bleiben wollten, im Grunde bereits 2014 gefallen. Die Situation in Kobani und die gewalttätigen Ausschreitungen, die vonseiten der PKK in mehreren Städten angezettelt worden waren, nachdem die Türkei gezögert hatte, aktiv gegen den IS vorzugehen, gerieten faktisch zu einer Art Generalprobe für die spätere weitere Eskalation.

An die Führung wurden Berichte über gewalttätige Proteste in der gesamten Türkei geschickt und die Kader machten daraus eine Einschätzung bezüglich eines unmittelbar bevorstehenden breiten Volksaufstandes – was man in den Bergen von Kandil auch gerne bereitwillig glauben mochte.

Am Ende zweifelten selbst hartgesottene an der Richtigkeit des eingeschlagenen Weges. So soll einem Medienbericht vom 29. März zufolge der hochrangige PKK-Kommandant Murat Karayilan eingeräumt haben, dass diese Form der Kriegsführung vonseiten der PKK falsch gewesen sei. Er soll gegenüber einer PKK-nahen Nachrichtenagentur erklärt haben, es gäbe keinen Anlass für einen so extensiven Krieg in den Städten – zumal die Reaktion der türkischen Sicherheitskräfte mit einer Vehemenz erfolgte, die vonseiten der PKK nicht erwartet worden war.

Die ideologischen Betonköpfe von der Union der Kurdischen Gemeinschaften (KCK) hingegen halten daran fest, dass nicht geschönte Berichte an die Führung für die Eskalation verantwortlich gewesen wären, sondern einzig die Regierung in Ankara und Präsident Recep Tayyip Erdoğan. „Das kurdische Volk verteidigte sich nur selbst“, hieß es in einer Erklärung. „Die Führer des Landes wollten nicht, dass die Kurden in der Lage sind, auf legale Weise ihre Anliegen zu verfolgen und blockierten ihren Weg in die Politik.“ Die Regierung habe einen „nicht deklarierten Putsch“ angezettelt und eine massive Militärkampagne gestartet, um die HDP unter Druck zu setzen. Die Kurden seien damit „vom politischen Mainstream abgekoppelt“ worden und da ihnen „die parlamentarische Demokratie vorenthalten“ werde, wollte man „Demokratie auf lokaler Ebene einführen, als den einzigen Weg, die Türkei zu demokratisieren.“

Diese „Demokratisierung“ endete jedoch mit 1267 toten PKK-Anhängern und 113 Opfern aufseiten der Sicherheitskräfte in den am stärksten umkämpften Gebieten wie Sur, Idil, Cizre, Silopi, Derik oder Nusaybin. Dem Generalstab zufolge wurde seit dem 22. Juli 2015 an 265 Tagen gegen die PKK gekämpft. Insgesamt seien 4432 Terroristen –meist von der PKK – neutralisiert worden. Die Sicherheitskräfte hatten 377 Tote zu beklagen. Daneben wurden auch 213 Terroristen des IS (Daesh) getötet. Auch 300 Zivilisten kamen infolge der Kampfhandlungen ums Leben, darunter elf Deutsche, drei Israelis, zwei Iraner und ein Palästinenser. Sie starben bei Anschlägen von PKK, IS und „Freiheitsfalken“.

Von der militanten Jugendorganisation der PKK wurden 10 326 mutmaßliche Angehörige festgenommen, 3387 davon befinden sich noch in Haft.

Quelle: https://azvision.az/redirect.php?url=http://eurasianews.de/

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