Roadster von Harley mit Tücken

  06 Mai 2016    Gelesen: 670
Roadster von Harley mit Tücken
Harley-Davidson krönt seine Sportster-Baureihe mit der neuen Roadster-Variante, die sich besonders reduziert und dadurch auch sportlicher gibt. Allerdings haben Entwickler und Designer wohl nicht mit Stop-and-Go-Verkehr gerechnet.
Wer selbst eine der extrem beliebten "Fourty-Eight" sein Eigen nennt, spürt einen gewaltigen Unterschied: "Dieses Fahrwerk möchte ich in meinem Motorrad haben", entfuhr es spontan einem besonders mit der Marke vertrauten Kollegen. Äußeres Kennzeichen der für eine Harley Sportster neuen Fahrwerksqualität ist eine Upside-down-Telegabel an der Front, neu sind aber auch die hinteren Federelemente sowie extra für dieses Modell entworfene Leichtmetall-Gussräder. Die neuen Federelemente sorgen in Verbindung mit etwas mehr Federweg für eine mit bis zu 31 Grad spürbar größere Schräglagenfreiheit, so dass diese Sportster-Version ihrem Namen deutlich mehr Ehre macht als ihre Schwestern.

Schön am Gas halten

Motor, Rahmen und der 12,5-Liter-Tank in seiner charakteristischen Form entsprechen auch bei der neuen Roadster dem Grundprinzip dieser Baureihe. 1202 Kubikzentimeter beträgt der Hubraum des Langhubers, 67 PS die Leistungsausbeute. Bei welcher Drehzahl die Maximalleistung anfällt, kann man leicht erkennen, denn ungewöhnlicherweise wird das runde Zentralinstrument am Lenker von einem unübersehbaren Drehzahlmesser bewohnt. Freilich dringt man aufgrund der Leistungscharakteristik des 45°-V2 nicht allzu oft in die Region von 5500 Umdrehungen vor; dank der 97 Newtonmeter Drehmoment – sie stehen allerdings erst bei 4250 Umdrehungen zur Verfügung – blieben während des ersten Tests über fast 300 Kilometer die letzten 1000 Touren meistens ungenutzt. Man verliert kaum Kraft, vermeidet aber dafür die doch beträchtlichen Vibrationen des Großkolben-Triebwerks bei für diesen Motor höheren Drehzahlen.

Wer glaubt, der 1200er garantiere mächtig Druck schon im Drehzahlkeller, wird schnell eines Besseren belehrt: Wer flott unterwegs sein möchte, muss viel schalten, um die Drehzahlmessernadel möglichst stets zwischen 3000 und 4500 Umdrehungen halten zu können. Zum Glück fallen weder Schalten noch Kuppeln schwer; beide Komponenten arbeiten präzise und leichtgängig. Im dichten Stadtverkehr bedarf es freilich gar nicht so seltenen Auskuppelns bei niedrigem Tempo. Wem entspanntes Cruisen liegt, der wird gut bedient: Ab 1500 Umdrehungen nimmt der V2 sauber Gas an und gibt sich auch recht kultiviert.

Diese Harley ist kein Racer

In der Tat lässt sich die Roadster erfreulich zügig um Kurven steuern, solang diese nicht Haarnadel-Niveau erreichen. Man muss nur den Stier an den Hörnern packen (also den Lenker kräftig in die Hand nehmen), dann genügt ein kurzer Impuls und schon nimmt die relativ schmal bereifte Roadster die gewünschte Neigung ein. Kurven umrundet sie nahezu stoisch, bis der forsche Fahrer dann doch durch laut kratzende Fußrasten daran erinnert wird, dass auch diese Harley kein Racer ist. Die verbesserten Federbeine wie auch die Upside-down-Gabel mit progressiven Federn verrichten ihre Arbeit gut; kurze, harte Stöße mögen beide jedoch nicht – und des Fahrers Hände beziehungsweise Bandscheiben ebenso wenig. Die Dreischeiben-Bremsanlage mit serienmäßigem ABS erfüllt ihren Dienst unauffällig.

Die Roadster ist Mitglied von Harley-Davidsons 2008 eingeführter Dark-Custom-Familie. Darunter sind Motorräder zu verstehen, die einerseits nicht mehr aufweisen, als man zum Fahren wirklich braucht, die aber zugleich vielerlei optische Veränderungen erlauben – ein gelungener, weil einträglicher Beitrag der Marketing-Abteilung. Der Zubehörabsatz von Customizingteilen floriert baureihenübergreifend. Da Harley bei der Roadster also alles weggelassen hat, was nicht zwingend erforderlich scheint, gibt es ausstattungsseitig auch nicht viel zu beschreiben: Prima funktionieren die selbstrückstellenden Blinker, sehr gut gelöst ist die Bedienlogik der Lenkerschalter. Das schlüssellose (Keyless-) Startsystem, erstmals in einer Sportster verwendet, funktioniert ebenfalls astrein.

Das ging daneben

Danebengegangen ist allerdings die Gestaltung des neuen Zentralinstruments: Das unterhalb des Drehzahlmessers gelegene Display mit Geschwindigkeits- und Ganganzeige ist nur bei voll draufknallender Sonne oder bei Dunkelheit ablesbar, ansonsten verweigert es wegen des zu geringen Kontrasts der invers dargestellten Ziffern auf dunklem Grund einfach die Informationsweitergabe. Ein noch größeres Ärgernis sind die Fahrerfußrasten: Erstens fehlt ihnen eine Feder, die sie vor dem unbeabsichtigten Hochklappen bewahrt, zweitens ragen sie exakt an jenem Platz soweit nach außen, dass es beim Anhalten stets höchster Konzentration bedarf, um den Fuß sicher auf dem Boden zu platzieren. Einige Male wäre das beinahe schief gegangen. Zudem bleibt man wegen der schräg nach außen weisenden "Angstnippel" immer wieder mit den Stiefeln hängen, was diese genauso wenig mögen wie der Fahrer. Insgesamt eine klare Fehlkonstruktion – waren die Harley-Erprobungsfahrer eigentlich nie im Stop-and-Go-Verkehr unterwegs?

Mit einem Preis von - je nach Lackierung - 12.705 bis 13.285 Euro verlangt Harley-Davidson nicht wenig Geld für ein Bike, das in dieser Konfiguration nur in diesem Jahr angeboten werden kann, denn es ist noch nicht nach der neuen Euro-4-Emissionsnorm homologiert, sondern noch nach der am 31. Dezember 2016 auslaufenden Euro 3. Für den Fahrer/Käufer muss das kein Nachteil sein: Denn noch weiß niemand außerhalb der Motor-Company in Milwaukee, ob die neue Homologation nicht Leistung kostet - und wenn ja, wie viele der bislang 67 PS übrigbleiben.

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