USA planen mit TTIP Frontal-Angriff auf Gerichte in Europa

  07 Mai 2016    Gelesen: 734
USA planen mit TTIP Frontal-Angriff auf Gerichte in Europa
Das Drängen der Amerikaner auf den TTIP-Abschluss hat handfeste Gründe: US-Banken fürchten, von europäischen Gerichten wegen der Schulden-Krise belangt zu werden. Sie haben vielen europäischen Kommunen und Unternehmen dubiose Spekulationsgeschäfte angedreht. Nun klagen viele Europäer - und die Amerikaner setzen zum Frontalangriff auf das europäische Rechtssystem an. In Italien hat der amerikanische Botschafter – wohl unabsichtlich – die Katze aus dem Sack gelassen.
Viele Beobachter fragen sich in Europa, warum die US-Verhandler beim TTIP solchen Zeitdruck entwickeln. Denn wenn es sich um ein gutes und faires Abkommen handelt, das noch dazu Maßstäbe für den Welthandel setzen will, sollte es auf einige Monate mehr oder weniger nicht ankommen.

Doch offenbar wissen die Amerikaner, dass es zu ernsten Problemen mit den EU-Staaten schon in nächster Zeit kommen könnte. Der Grund ist die Schuldenkrise. In den vergangenen Jahren haben amerikanische Banken europäischen Kommunen und Unternehmen im großen Stil Finanzprodukte verkauft und Kredite gewährt – mit dem Hinweis, dass man das Kleingedruckte nicht genau zu lesen brauche. Die klammen europäischen Kommunen und die naiven Unternehmen haben das Geld gerne genommen, um ihren Wählern Geschenke zu machen oder ihre Marktanteile zu sichern. Doch nun kommt an vielen Stellen das böse Erwachen.

Daher ist es im Zuge des Katers nach dem Crash zu einer regelrechten Klagewelle gekommen. Ein Beispiel: Erst vor wenigen Jahren hatte die Stadt Pforzheim JP Morgan verklagt. Die Bank hatte den Kämmerern ein undurchsichtiges Produkt angedreht. 2011 urteilte der BGH, dass die Beratungsanforderung bei komplexen Produkten besonders hoch sei. Ein Mittelständler hatte gegen ein Bank geklagt, die ihm eine hochspekulative Zinswette verkauft hatte. Der BGH gab dem Unternehmen Recht und kam zu dem Urteil: „Bei einem so hochkomplex strukturierten und riskanten Produkt wie dem CMS-Spread-Ladder-Swap-Vertrag sind hinsichtlich der Risikodarstellung des Anlageprodukts hohe Anforderungen an die beratende Bank zu stellen.“

Die Stadt Pforzheim berief sich auf das Urteil – und forderte von JP Morgan 57 Millionen Euro. Der Oberbürgermeister sagte der Stuttgarter Zeitung damals: „Dieser Ansatz – Verletzung der Beratungspflichten oder nicht – ist vollumfänglich auf uns anwendbar. Hinzu kommt, dass wir eine Kommune sind und für Kommunen gilt ein Spekulationsverbot. In dem Verfahren jetzt ging es ja um ein Unternehmen, das, wenn Sie sich das BGH-Urteil ansehen, ganz anders zu behandeln ist. Deshalb sind wir nun sehr guten Mutes, dass wir obsiegen werden.“ Und weiter: „Da halte ich es mit Margret Thatcher, der früheren britischen Premierministerin, die den Satz prägte: ,I want my money back.‘ Die 57 Millionen Euro fordern wir von JP Morgan.“

So wie der OB von Pforzheim denken viele europäische Politiker. Dies bereitet den amerikanischen Banken großes Unbehagen. Denn sie fürchten tausende Prozesse vor europäischen Gerichten. Nimmt man den BGH als Maßstab, dürften die europäischen Gerichte geneigt sein, hohe Maßstäbe an die Beratungspflichten anzulegen und damit den US-Banken erheblichen Ärger bescheren.

Mit dem TTIP wäre es möglich, den ordentlichen nationalstaatlichen Rechtsweg zu umgehen. Im Völkerrecht gilt der Grundsatz, dass ein Urteil nur akzeptiert wird, wenn es gemäß „due process of law“ erfolgt ist. Dies bedeutet, dass es eine verfassungsmäßige Garantie geben müsse, dass ein Gesetz nicht „unvernünftig, beliebig oder willkürlich“ sein dürfe. So versteht sich das angelsächsische „common law“. Der Interpretation sind hier keine Grenzen gesetzt – weshalb es im internationalen Recht auch die Schiedsgerichte gibt: Sie sollen den Streitparteien die Grundsatz-Debatten ersparen und gleich zum Wesentlichen führen – zu einer Einigung auf eine Summe, die zu bezahlen ist.

Die Amerikaner fühlen sich im Zuge der Prozesse wegen der Finanzprodukte allerdings vor europäischen Gerichten unsicher wie auf Hoher See. Sie fürchten, dass nun zahllose europäische Institutionen auf die Idee kommen könnten, wie der OB von Pforzheim zu sagen: „I want my money back.“

Der italienische Botschafter in Italien hat dieses Unbehagen – wohl etwas unbedacht – artikuliert und damit die Katze aus dem Sack gelassen. Seine grundsätzlichen Bemerkungen erklären, warum die Amerikaner es mit dem TTIP so eilig haben.

Der Fall hat eine einfache Vorgeschichte: Ein italienischer Staatsanwalt hatte die US-Ratingagenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch angeklagt, weil sie die Kreditwürdigkeit Italiens in Misskredit gebracht hätten. Das Verfahren gegen Moody’s war nie eröffnet worden. Der Prozess gegen Fitch wurde nach Mailand abgegeben und dort eingestellt, wie die Ratingagentur mitteilte. Nun ermittelt derselbe Staatsanwalt in Trani in Apulien ermittelt gegen die Deutsche Bank und fünf ehemalige Vorstände wegen angeblicher Marktmanipulation. Unter ihnen sind auch die früheren Vorstandschefs Josef Ackermann und Anshu Jain. Die Deutsche Bank hatte im ersten Halbjahr 2011 sieben Milliarden Euro an italienischen Staatsanleihen verkauft, fast 90 Prozent ihres Gesamtbestandes. Staatsanwalt Michele Ruggiero hält das für anrüchig, nachdem die Analysten der Bank Anfang 2011 ihre Kunden noch beruhigt hätten, dass die Staatschulden Italiens keinen Grund zur Besorgnis gäben, wie es in Ermittlerkreisen heißt.

Im Trani wird außerdem immer noch gegen den früheren Italien-Analysten von Fitch, David Riley, und gegen fünf S&P-Manager verhandelt. Die Schuldenkrise hatte letztlich zum Sturz der Regierung von Silvio Berlusconi beigetragen.

Die Aussage von John Phillips, dem US-Botschafter in Italien, macht klar, dass die Amerikaner mit erheblichen Schwierigkeiten rechnen. Phillips wählte genau die Argumentation, die die Grundlage für Freihandelsabkommen vom Stile des TTIP sind. Phillips kritisierte das Vorgehen der Justiz gegen die Ratingagenturen scharf und sagte laut Reuters im April vor Studenten in Mailand: Das Justizsystem des Landes schrecke Investoren ab. In den USA wäre es schwer vorstellbar, dass ein solcher Prozess außerhalb der Finanzzentren geführt würde, wo die Staatsanwälte Erfahrung mit dem Wertpapierrecht hätten. Er kritisierte, dass Manager in Italien auf Grundlage eines Haftbefehls aus einer Kleinstadt ohne Bezug zu S&P festgehalten würden. Ruggiero war auf die Beschwerde von Verbraucherschützern hin tätig geworden, die bei den Behörden in Rom und Mailand vorher abgewiesen worden waren.

Mit dem TTIP wäre ein Gericht in Trani überhaupt nie zum Zug gekommen. Der Streit wäre vermutlich nicht einmal zwischen Italien und den betreffenden US-Banken oder Ratingagenturen ausgetragen worden, sondern vor einem Schiedsgericht gelandet, auf das die geschädigten Konsumenten keine Einfluss haben und vor dem es ihnen kaum möglich wäre, ihr Recht zu erstreiten. Denn die US-Banken und Finanzinstitutionen sind, wie die Aussage von Phillips erkennen lässt, der Meinung, dass kleine Gerichte überhaupt keine Ahnung vom internationalen Wertpapierrecht haben – und daher das Prinzip des „due process of law“ nicht gewährleistet sei. Eigentlich gilt dieser Ansatz in erster Linie für Staaten mit unterentwickelten oder korrupten Rechtssystemen. Doch die Komplexität der Finanzprodukte ist so groß, dass man ein ordentliches Gericht in Europa durchaus als überfordert bezeichnen kann.

Phillips‘ Drohung, dass Investoren vom unzulänglichen Rechtssystem in Italien abgeschreckt würden, führt ins Herz des TTIP: Die Amerikaner wollen sicherstellen, dass nach ihren Regeln gespielt wird. Auch vor Gericht – und überall auf der Welt, und vor allem für Machenschaften, die in der Vergangenheit liegen. Dass das Römische Recht, auf dem viele europäische Rechtssysteme basieren, aus Italien kommt, tut nichts zur Sache.

Denn anders als vermutet, machen die Amerikaner beim TTIP nicht Druck wegen zukünftiger Tricksereien, sondern wegen solcher, die im Zuge der Finanzkrise bereits tausendfach verübt wurden. Sie wollen also nicht in erster Linie gegen die EU-Staaten klagen können. Sie wollen verhindern, dass die US-Banken von EU-Bürgern, Kommunen oder Unternehmen vor ordentlichen Gerichten wegen fragwürdiger Kredit- und Wett-Geschäfte verklagt werden. In der immer noch unvermindert schwelenden Schulden-Krise sind Trani und Pforzheim für die Amerikaner eine echte Bedrohung – auch wenn die TTIP-Verhandler zunächst vermutlich lange auf der Landkarte suchen müssen, wo sich diese verdammten Orte überhaupt befinden.

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