Die letzten Wochen und Monate der Flüchtlingskrise haben erkennen lassen, dass Merkel dem nicht enden wollenden friendly fire Seehofers kaum etwas entgegenzusetzen hat - außer der Hoffnung, Seehofer werde sich wieder beruhigen. Der CSU-Chef aber ist ein Politjongleur, hantiert mit vielen Themen gleichzeitig. Damit sie fliegen, macht er Radau.
Flüchtlingskrise, Altersarmut, Rechtspopulisten - bei allen Themen ist es das stets gleiche Spiel: Seehofer macht einen Vorstoß, Merkel folgt ihm nicht, Seehofer wendet sich gegen Merkel. Die Kanzlerin schweigt, öffentlich. Ein paar Wochen später sagt Seehofer - egal wie die Sache ausgegangen ist - die Sache sei in seinem Sinne ausgegangen.
Nun planen Seehofer und die Seinen nach Informationen des SPIEGEL einen eigenen, von der Schwesterpartei unabhängigen Wahlkampf für die Bundestagswahl 2017 - falls Merkel an ihrer Strategie im Umgang mit der AfD festhält. Heißt: Falls Merkel nicht die konservativere Klientel endlich wieder in den Blick nimmt.
Seehofer würde, so der Plan, diesmal auch auf Platz eins der CSU-Liste für den Bundestag kandidieren - freilich ohne die Absicht, dann tatsächlich nach Berlin zu wechseln.
Es soll eine Machtdemonstration sein. Die klare Ansage ans Publikum: Ihr wählt nicht Merkel, sondern Seehofer. Also den Garanten dafür, dass Merkel ihren Kurs nach der Wahl so nicht fortsetzen kann.
Es ist eine neuerliche Herausforderung der Kanzlerin, friendly fire. Was es allerdings nicht ist und ganz bewusst nicht sein soll: ein Bruch. Denn Seehofer will ja nur den Druck auf Merkel maximieren. Den Solo-Wahlkampf haben sich die CSU-Strategen als Teil ihrer permanenten Eskalationsstrategie ausgedacht.
Die Nummer hat zwei entscheidende Vorteile:
Sie trägt zur Befriedung der CSU-Basis bei. Denn in einigen Wahlkreisen war die Anti-Merkel-Stimmung zwischenzeitlich so ausgeprägt, dass örtlichen CSU-Kandidaten die Gretchenfrage drohte, ob sie Merkel im Bundestag ihre Stimme bei der Kanzlerwahl verweigern würden.
Sie ist weniger außergewöhnlich als sie auf den ersten Blick erscheint, reduziert also das Bruch-Risiko . Denn Seehofer wäre nicht der erste CSU-Chef, der nur pro forma auf Listenplatz eins kandidiert. Vor ihm haben schon Stoiber und Strauß ihre gewonnenen Sitze im Bundestag nicht eingenommen.
Eine komplett eigenständige Wahlkampagne inklusive Programm wäre hingegen ein Novum. Bisher haben die Christsozialen ihre eigene Ideensammlung ins gemeinsame Wahlprogramm einfließen lassen. Wobei sie auch bei der letzten Bundestagswahl schon zusätzlich mit einem "Bayernplan" angetreten waren, darin enthalten: die Autobahnmaut. CSU-Minister Alexander Dobrindt sagte in einem SPIEGEL-Interview, es sei offen, ob es ein gemeinsames Wahlprogramm von CSU und CDU geben werde.
Nur ein einziges Mal hat die CSU tatsächlich ernst gemacht und den Bruch versucht: beim Kreuther Trennungsbeschluss von 1976, als CSU-Chef Strauß die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag auflöste. Ein paar Monate später wurde der Beschluss wieder kassiert. Zu großes Risiko, die CSU hatte mehr zu verlieren als die CDU.
Erfolgreich hingegen war die CSU-Eskalationsstrategie immer dann, wenn man es nicht zum Äußersten kommen ließ. Oder anders: Im Nur-so-tun-als-ob sind die Christsozialen unschlagbar.
Seehofer-Erbe Markus Söder beherrscht dieses Spiel ebenfalls, wenn er auch immer noch einen Ausfallschritt mehr macht als Seehofer. So war es in der Flüchtlingskrise, so ist es jetzt: CDU und CSU seien weiter voneinander entfernt als sie es 1976 bei der Debatte in Kreuth gewesen waren, sagte Söder dem ZDF. Kreuth, Chiffre der Spaltung, heißes Terrain.
In der CDU hält sich nahezu die gesamte Führungsriege zurück. Kein Kommentar. In der CSU gibt es manchen, der um die Balance fürchtet. Wann macht Seehofer den einen Schritt zu viel, der CDU und CSU das Gleichgewicht verlieren lässt?
Es gibt relativierende Stimmen, und es gibt mahnende wie die von Ex-Parteichef Erwin Huber: Die CSU habe immer eine "eigene Handschrift" in Wahlkämpfe eingebracht. Das dürfe aber nicht zu einem Gegeneinander von CDU und CSU führen: "Sonst sind die Verluste größer als der strategische Gewinn." Es müsse klar sein, dass es eine "Konkurrenz von Kandidaten" nicht geben dürfe, "das heißt eine bundesweite Ausdehnung der CSU kommt nicht in Frage".
Am Dienstagabend wird man sich, so ist es geplant, im Kanzleramt zum Koalitionsgipfel einfinden: Merkel, Seehofer und SPD-Chef Sigmar Gabriel gemeinsam mit den Fraktionschefs und der Arbeitsministerin. Man wird erneut über die Reformen bei Leiharbeit und Werkverträgen reden und sicherlich auch über die Flüchtlingskrise. Es sind, mal wieder, alles insbesondere Seehofers Themen.
Und parallel, am späteren Abend, läuft im Fernsehen eine große ARD-Dokumentation über den CSU-Chef: "Horst Seehofer und der neue Rechtsruck in Deutschland." Man wird den 66-Jährigen unter anderem sehen, wie er mit seiner Eisenbahn im Keller des Ferienhauses spielt. Eine Anlage, auf der er die Stationen seiner politischen Karriere nachgebaut hat. Auch Angela Merkel darf mitspielen, als Plastikfigur vorm Bonner Hauptbahnhof: "Zu Hause spielt Seehofer mit der Playmobil-Merkel", schreibt "Bild".
Der Dienstagabend, soviel ist klar, wird ein Fest für Horst Seehofer. Und Angela Merkel? Wird schweigen. Diesen Mann bekommt sie einfach nicht zu fassen.
Zusammengefasst: Flüchtlingskrise, Altersarmut, Rechtspopulisten: Kanzlerin Merkel schafft es nicht, das "friendly fire" von Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer zu stoppen. Jetzt plant der CSU-Chef einen von der Schwesterpartei unabhängigen eigenen Bundestagswahlkampf 2017, um seine Macht zu demonstrieren und den Druck auf Merkel zu erhöhen - ohne einen endgültigen Bruch zu riskieren. Was macht Merkel? Sie schweigt.
Quelle: spiegel.de
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