Schweden - eine verunsicherte Nation

  12 Mai 2016    Gelesen: 680
Schweden - eine verunsicherte Nation
Der Eurovision Song Contest (ESC) hat Stockholm derzeit fest im Griff. Es wird gefeiert, getanzt und gesungen. Doch nach dem Event beginnt wieder der politische Alltag in Schweden - und dieser ist derzeit nur schwer zu ertragen.
Stockholm ist eine internationale Stadt: Die Neutralität Schwedens bringt es mit sich, dass sich bereits in der Vergangenheit wichtige Politiker in der hübschen Stadt mit ihrem imposanten Schärengarten gegenseitig die Klinke in die Hand gaben. Durch seine Liberalität ist Schweden bis heute attraktiv für Menschen, deren Leben in ihren Ländern akut bedroht ist. In der Hauptstadt und in vielen anderen schwedischen Städten ist das Ergebnis der jahrelangen Politik der Öffnung zu sehen. Viele Osteuropäer, Araber und Afrikaner haben im skandinavischen Königreich eine neue Heimat gefunden.

Derzeit ist Stockholm noch bunter und schriller, denn die internationale Karawane, die den Eurovision Song Contest (ESC) begleitet, macht hier Station. Die meisten Stockholmer freuen sich über die schrägen Vögel, denn der politische Alltag ist rau geworden. Da sorgt der ESC mit seinem völkerverbindenden Element jedenfalls für kurze Zeit wieder für Zerstreuung. Trotz nicht zu übersehender Sicherheitsvorkehrungen ist Happening angesagt. In der Umgebung des imposanten Globen, einer Veranstaltungshalle, in der rund 16.000 Menschen Platz finden, werden Besucher unablässig mit Titeln der diesjährigen Contest-Teilnehmer beschallt.

Turbulenzen in der Koalition

Für die Schweden ist das angenehm, denn die politische Musik in ihrem Land wird derzeit von vielen Misstönen begleitet. Die Auseinandersetzungen zwischen den Parteien sind - befördert durch die Flüchtlingskrise - hart, und für schwedische Verhältnisse wird sehr viel politisches Gift versprüht. Während Petra Mede und ESC-Vorjahressieger Mâns Zelmerlöw im Globen launig durch das Programm moderieren, wird sich nur ein paar Kilometer weiter kräftig gezofft. Die rot-grüne Minderheitsregierung von Ministerpräsident Stefan Löfven sieht sich einem kräftigen Gegenwind ausgesetzt, die Koalitionäre geben derzeit ein Bild des Jammers ab.

Es sind vor allem die Grünen, die die Koalition in heftige Turbulenzen gestürzt haben. Dem nunmehr zurückgetretenen Wohnungsbauminister Mehmet Kaplan wurden Verbindungen zu Islamisten und Ultranationalisten in der Türkei nachgesagt. Der in Gaziantep geborene Politiker verglich zudem Aktionen Israels gegen die Palästinenser mit der nationalsozialistischen Juden-Verfolgung in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg. Der muslimische Jungpolitiker Yasri Khan - ihm winkte ein Platz im Parteivorstand - verweigerte einer Journalistin den Handschlag. Die Grünen-Doppelspitze aus Âsa Romson und Gustav Fridolin zeichnete sich durch ein schlechtes Krisenmanagement aus. Ergebnis: Romson, die bei der Verkündung der Einführung von Grenzkontrollen im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise bittere Tränen vergoss, steht vor dem Rücktritt.

Rechtspopulisten als Nutznießer

Für Löfven kommen diese Skandale zur Unzeit, sind doch seine Sozialdemokraten (24 Prozent) in der Wählergunst hinter die rechtspopulistischen Schwedendemokraten (26 Prozent) zurückgefallen. Gerade einmal etwas mehr als 30 Prozent der schwedischen Wähler stehen derzeit hinter Rot-Grün, bei der Parlamentswahl 2014 hatten die Sozialdemokraten diesen Wert alleine erzielt. Entsprechend angefressen reagierte der Regierungschef auf die Fehltritte beim kleineren Koalitionspartner, dem von politischen Gegnern vorgeworfen wird, von Islamisten unterwandert zu sein. Löfven ließ den Bauminister fallen wie eine heiße Kartoffel, die Grünen konnten oder wollten nichts dagegen tun.

Wochen später keilen ihre früheren Altvorderen allerdings zurück: Löfven und seine Sozialdemokraten würden ihre dominierende Stellung in der Regierung missbrauchen, so die ehemaligen Grünen-Parteisprecher Maria Wetterstrand und Per Gahrton im "Dagens Nyheter". Sie stellen offen die Frage, ob der Preis für eine Beteiligung an der Regierungsmacht für ihre Partei zu hoch sei. Harte Worte hinsichtlich der sehr fragilen Machtkonstellation in Stockholm.

Löfvens Lebensversicherung ist derzeit noch die Tatsache, dass das von den konservativen Moderaten angeführte bürgerliche Lager ebenfalls keine Mehrheit im Reichstag hinbekommt. Wie ihr Vorgänger Fredrik Reinfeldt lehnt auch die neue Moderaten-Chefin Anna Kinberg Batra eine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten ab. Zu einer Großen Koalition mit der Löfven-Truppe ist sie aber auch nicht bereit. Es ist die Unflexibilität der politischen Lager, die die Mehrheit der Schweden zunehmend verunsichert. Nur einer ist zufrieden und wird nicht müde, weiter Öl ins Feuer zu gießen: der junge Schwedendemokraten-Chef Jimmie Âkesson.

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