Zu den Vertretern dieser Theorie gehört die Großbank Goldman Sachs. In einem kürzlich erschienenen Report schreibt sie, dass die globale Nachfrage das Angebot im Mai sogar überstiegen habe – ein Quartal früher als erwartet. „Die Entwicklung hin zu einem physischen Gleichgewicht hat endlich begonnen“, heißt es in dem Report. Die Prognose für Öl der Sorte WTI hat die Bank für das laufende Jahr von 38,40 Dollar auf 44,60 Dollar pro Barrel (159 Liter) angehoben, wie Bloomberg schreibt.
Zurückzuführen sei der globale Angebotsrückgang vornehmlich auf Produktionsausfälle und auf eine insgesamt gestiegene Nachfrage aus den Schwellenländern. Aufgrund von Anschlägen und Sabotageakten sei allein die Produktion in Nigeria um mindestens 30 Prozent zurückgegangen, schreibt Bloomberg. Dabei seien dem Informationsportal oilprice.com zufolge täglich etwa 500.000 Barrel Erdöl weniger produziert worden als unter normalen Bedingungen.
Kanada habe aufgrund der Waldbrände derzeit Einbußen von über einer Million Barrel Erdöl pro Tag zu verkraften, während Venezuela im Vergleich zum Vorjahr täglich rund 100.000 Barrel Öl weniger produziere, schreibt oilprice.com. Zu bedenken ist, dass sowohl Nigeria als auch Venezuela in der energiepolitischen Strategie der USA Schlüsselrollen zukommen.
Unterstützt wird die Normalisierung von Angebot und Nachfrage von den Produktionsrückgängen in der amerikanischen Fracking-Industrie. Viele ihrer Unternehmen mussten die Förderung in den zurückliegenden Monaten einfrieren oder sogar einstellen. Anfang Mai sei die gesamte amerikanische Produktion auf rund 8,8 Millionen Barrel Öl täglich gefallen – was verglichen mit April 2015 ein Rückgang von rund 900.000 Barrel bedeute, meldet oilprice.com.
Diese Faktoren führen der Internationalen Energie-Agentur (IEA) zufolge dazu, dass sich das globale Überangebot von derzeit täglich 1,3 Millionen Barrel im dritten und vierten Quartal des laufenden Jahres auf rund 0,2 Millionen Barrel verringern werde. Die OPEC hatte jüngst bekannt gegeben, dass im gesamten vergangenen Jahr weltweit nur etwa 3 Milliarden Barrel an neuen Ölvorkommen entdeckt wurden – so wenig wie seit 60 Jahren nicht mehr, wie oilprice.com berichtet.
Einige Faktoren sprechen jedoch auch weiterhin für tiefe Preisniveaus. Dazu gehört die im April gemachte Ankündigung Saudi-Arabiens, die Förderung kurzfristig um bis zu einer Million Barrel täglich hochfahren zu können. Da es zu den geopolitischen Zielen des Königreichs gehört, Mitbewerber durch dauerhaft tiefe Preise zu schädigen beziehungsweise so viel Öl wie möglich zu verkaufen, ist diese Option durchaus möglich.
Dazu kommen die exorbitant hohen weltweiten Lagerbestände, die sich inzwischen auf ungefähr 540 Millionen Barrel summiert haben. Selbst wenn sich Angebot und Nachfrage einpendeln sollten, müssten diese Reserven erst abgebaut werden, um dauerhaft höhere Preise zu ermöglichen.
Jacob Hess von Oilprice.com sieht noch ein weiteres, gravierendes Problem: Die rückläufige Nachfrage aus China könnte seiner Ansicht nach den Preis-Krieg weiter anheizen. Verschärft könnte diese Entwicklung werden, weil China die Zeiten der niedrigen Preise genützt hat, um seine Lager zu füllen. China ist also selbst bei einer stabilen Nachfrage nicht gezwungen, als Käufer neue Impulse zu setzen.
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