Zu Berühmtheit gelangte Johannes B. Kerners Talkshow, in der die umstrittene TV-Moderatorin Eva Herman vor Jahren den Schnellstraßenbau von damals positiv herausstellte und anschließend von Kerner mit den Worten "Autobahn geht gar nicht" rausgeschmissen wurde. Wer aber hatte sie wirklich erfunden, die Bahnen, die sich heute über 13.000 Kilometer durchs Land ziehen? Waren es die Nazis?
"Während seiner Haft, als seine Bewegung zerschlagen war, als seine Gegner ihn selbst vernichtet hielten, als er das Buch der Deutschen schrieb, da schlug er auch die Karte unseres Vaterlandes auf seinen Knien auseinander und dachte in sie hinein seine Reichsautobahnen: So werden sie laufen! Da kaum noch einer an ihn glaubte, glaubte er so fest an sich und seine Aufgabe und bereitete alles vor." Die theatralischen Worte über den Geistesblitz Adolf Hitlers stammen vom Dichter und Träger des Kulturpreises der SA, Herybert Menzel.
Als am 19. Mai 1935 mit einer pompösen Feier im Beisein Hitlers zwischen Frankfurt und Darmstadt die – angeblich – ersten 22 Kilometer Autobahn eingeweiht wurden, war diese Sichtweise Staatsdoktrin. Der Führer sei es gewesen, und zwar bereits 1924, als er nach einem Putschversuch in Landsberg einsaß. Zweifel daran waren tabu.
Hitlers Chefplaner für die Reichsautobahnen, Fritz Todt, sorgte dafür, dass es keine Abweichungen geben würde von der offiziellen Lesart. Mit Briefen an diejenigen, die öffentlich anderes behaupteten: "Diese Reichsautobahnen, wie wir sie jetzt bauen, haben einzig und allein als die Straßen Adolf Hitlers zu gelten." Das sei "nicht als Rüge" zu verstehen, schrieb Todt, "aber als Warnung und in der Absicht, dass Sie die Einstellung finden möchten, die ich für die einzig richtige halte".
Flugs erstellte Fotobände, Gemälde oder Bücher wie "Mit Granit und Herz. Die Straßen Adolf Hitlers – ein Dombau unserer Zeit" sorgten für die Gleichschaltung der Sichtweisen – und ließen Vergangenes vergessen.
Ursprünglich waren die Nationalsozialisten gegen Autobahnen. Gemeinsam mit den Kommunisten hatten sie den Vorschlag, der von Interessenverbänden hartnäckig propagiert wurde, im Reichstag der Weimarer Republik erfolgreich als "Luxusstraßen" für "Plutokraten" bekämpft. Auch der Reichsverband der Automobilindustrie war interessanterweise dagegen. Nicht die vierspurigen Fernstraßen, die um alle Städte einen Bogen machten, sondern den Ausbau der innerörtlichen und regionalen Fahrwege sah der Verband als den zugkräftigeren Motor für die massenhafte Automobilisierung des Reichs. Fernverkehr war Sache der Eisenbahn.
Kurz nach seinem Machtantritt leitete Hitler, der auch lange Autofahrten der Bahn vorzog, die Kehrtwende ein. Noch 1933 tat er persönlich den ersten Spatenstich für die Autobahn von Frankfurt nach Darmstadt. Mit dem Werkzeug in der Hand tönte er: "Und ehe sechs Jahre vergangen, soll ein Riesenwerk zeugen von unserem Mut, unserem Fleiß, unserer Zähigkeit und unserer Entschlusskraft. Deutsche Arbeiter, an das Werk!" Die Autobahn gehörte zum Kanon deutscher Überlegenheit. "Gigantisch", "gewaltig", "ungeheuer", nannten die Journalisten seinerzeit das "Riesenwerk".
Aus Nazi-Sicht war das geplante Teilstück in Südhessen das allererste des geplanten umfangreichen Netzes von Fernschnellstraßen – und Hitler der Pionier. Der kleine Makel, dass Kölns Oberbürgermeister Konrad Adenauer schon 1932 eine Autobahn von seiner Domstadt nach Bonn eingeweiht hatte, war leicht ausgebügelt. Die Trasse wurde, obwohl vierspurig, auf dem kurzen Dienstweg zur Landstraße umgewidmet.
Eine weitere damals schon bestehende Schnellstraße, die ebenfalls vierspurige Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße (Avus) in Berlin, war vernachlässigbar. Sie gehörte nicht zum allgemeinen Verkehrsnetz, wer auf ihr fahren wollte, um mal richtig Gas zu geben, musste zehn Mark bezahlen. Und dass die italienischen Faschisten unter dem – bei Hitler nicht nur beliebten – Duce Mussolini in den letzten zehn Jahren bereits 400 Kilometer Fernschnellstraßen hatten bauen lassen – wer wusste das schon?
Schwieriger war es allerdings, die über Jahre ausgereiften Planungen für ein Autobahnnetz in Deutschland beiseitezuschieben, zumal man lange gegen sie zu Felde gezogen war. Besonders die des Vereins HaFraBa, der seit 1926 eine Autobahnstrecke von den Hansestädten über Frankfurt nach Basel rührig propagierte, ein Interessenverband, in dem sich Beamte aus den Straßenverkehrsämtern, Unternehmer aus dem künftigen Einzugsgebiet, Direktoren von Tiefbau- und Zementfirmen und andere Kreise zusammengeschlossen hatten.
Die Streckenplanung war fast abgeschlossen, auch die Entwürfe für Brücken und Einschnitte im hessischen Bergland. Was sich darin niederschlägt, dass die heutige A5 und der nördliche Abschnitt der A7 dort verlaufen, wo sie schon auf den Reißbrettern der HaFraBa verzeichnet waren. Der Grünstreifen in der Mitte, die Autobahnkreuze vom Typ Kleeblatt, die Rast- und Tankstellen, Autobahnmeistereien – alles war dort bereits konzipiert. Auch der von Hitler vor 80 Jahren eingeweihte Abschnitt war Teil der HaFraBa-Planungen.
Mühsam versuchten die Nationalsozialisten, ihre frühere Totalablehnung des Prinzips Autobahn mit der anschließenden Übernahme in Einklang zu bringen: Der HaFraBa habe vor 1933 "lediglich großkapitalistische und jüdische Interessenwirtschaft betrieben", alles sei nur "vom Gedanken der Rentabilität beherrscht" gewesen, ließ man in den Zeitungen drucken. Jetzt, da sich Hitler der Sache angenommen habe, handele es sich bei der Autobahn um ein "vor allem sozialpolitisch wichtiges Werkzeug des Aufbaus".
Der Etikettenschwindel war offensichtlich, privat distanzierte sich Hitlers Chefplaner sogar davon. Todt räumte vor engen Freunden ein, "dieses Märchen, dass der Führer auf den Gedanken gekommen sei, die Autobahn zu bauen", sei nicht auf seinem Mist gewachsen.
Wenn Hitlers Ideologen die "sozialpolitische" Komponente der Autobahnen betonten, ging es nicht zuletzt um neue Arbeitsplätze. Auch nach dem Krieg hielt sich die Meinung, Hitler habe das Problem mit sechs Millionen Arbeitslosen durch sein Fernstraßenprojekt beseitigt, dies auch durch seine Anordnung, arbeitsaufwendiges Kopfsteinpflaster statt Asphalt zu verlegen.
Tatsächlich aber fanden beim Autobahnbau kaum mehr als 100.000 Arbeiter Beschäftigung, wurden zunehmend Maschinen eingesetzt, kam auf den meisten Strecken Asphalt oder Beton zum Einsatz. Auch einschließlich Zulieferbetriebe und konjunktureller Effekte ging es insgesamt wohl um lediglich 250.000 Arbeitsplätze. Wirksamer dürfte da in den 30er-Jahren die Aufrüstung gewesen sein. Wobei viele gerade den Autobahnbau als Teil von Hitlers Rüstungsprogramms sehen.
"Dies sind die Straßen des Führers", sagte Joseph Goebbels, "und diese Straßen führen zum Westwall." Todt hatte in einem "Braunen Bericht" an Hitler damit geworben, es lasse sich auf Autobahnen binnen 36 Stunden "eine Armee von 300.000 Mann in 100.000 requirierten Automobilen von der Ostgrenze des Reiches an die Westgrenze befördern". Hitler mag dies erfreut zur Kenntnis genommen haben, und es finden sich in einer Reihe damaliger Dokumente Hinweise auf eine mögliche militärische Bedeutung der breiten Straßen ohne Engpässe.
Streckenführungen von Berlin aus in Richtung Osten, wo der zivile Verkehr den Aufwand fragwürdig erscheinen ließ, gaben scheinbar jenen recht, die den Krieg als Vater auch der Autobahnen sahen. Historiker bezweifeln dennoch, dass der militärische Aspekt bei der Konzeption des Fernstraßennetzes eine größere Rolle gespielt hat. Womöglich diente er den Planern lediglich als Argument zur Aufwertung ihrer Tätigkeit.
Die Reichswehr selbst gehörte in der Anfangsphase zu den Autobahngegnern. Sie befürchtete, die gut sichtbaren Trassen könnten feindlichen Fliegern die Orientierung allzu sehr erleichtern. Eine tatsächliche Rolle beim Bau spielten strategische Überlegungen nicht. Auch gab es später keine nennenswerten Bewegungen von Truppen oder Material. Die Wehrmacht setzte, wie auch die Reichswehr zuvor, auf die Bahn.
Für allzu große Tonnagen war der Unterbau der Schnellstraßen nicht ausgelegt. Tests für deren Festigkeit liefen erst 1938, kurz vorm Krieg – als der Bau von Autobahnen stark eingeschränkt und schließlich eingestellt wurde, was eine militärische Bedeutung nicht gerade unterstreicht.
Über 3000 Kilometer Autobahn waren in jenem Jahr bereits gebaut. Doch ausgerechnet in dem Abschnitt, den Hitler 1935 eingeweiht hatte, fuhr sich am 28. Januar 1938 einer seiner größten Lieblinge zu Tode, mit 430 Stundenkilometern: der Rennfahrer Bernd Rosemeyer, Europameister, vielfacher Rekordträger.
Die Nationalsozialisten inszenierten eine Feier und eine Staatstrauer, die die pompöse Zeremonie, die drei Jahre zuvor ganz in der Nähe stattgefunden hatte, noch übertraf.
Quelle : welt.de
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