Muße küsst Affe

  24 Mai 2016    Gelesen: 698
Muße küsst Affe
Im Zoo erweisen sich Orang-Utans als höchst kreativ. Warum ist davon in freier Wildbahn so wenig zu sehen?
Es begann mit einer Strickleiter. Die hängte der Affenforscher Carel van Schaik vor vielen Jahren im Regenwald von Sumatra in einen Baum, um seine Messinstrumente zu installieren. Dabei fiel ihm auf, dass die dort lebenden Orang-Utans das merkwürdige Ding kaum beachteten und eher einen Bogen darum machten. Ganz anders dagegen Affen, die bis dahin in der Obhut von Menschen gelebt hatten und nun frisch ausgewildert wurden: Diese stürzten sich mit großer Neugier auf alles Neue.

Damals dachte van Schaik nicht allzu viel darüber nach. Später allerdings, als er die Lernfähigkeit der Orang-Utans und ihren Sinn für kulturelle Fertigkeiten erforschte (ZEIT Nr. 46/08), fiel ihm die Sache mit der Strickleiter wieder ein. Und er fragte sich: Wenn Affen so klug sind, warum zeigen sie in freier Wildbahn so wenig Neugier und Innovationsfreude?

Heute ist für ihn die Antwort klar: Es liegt an der Muße. Oder vielmehr daran, dass sie im Regenwald fehlt. "Tiere in freier Wildbahn können es sich nicht leisten, lange nachzudenken oder zu spielen", sagt der Anthropologe von der Universität Zürich. Dort drehe sich alles ums Überleben – Futter finden, ein Nest bauen, die Wanderroute für den nächsten Tag planen ... Für die kreative Beschäftigung mit neuen, unbekannten Dingen bleibe da schlicht kein Raum.

Getestet hat van Schaik das inzwischen mit Plastikblumen, Plastikfrüchten und Plüschaffen, die er mitten in zwei Orang-Utan-Habitaten der indonesischen Inseln Sumatra und Borneo auslegte. Dabei geschah – nichts. Monatelang liefen die Affen daran vorbei, ohne das Plastikzeug eines Blickes zu würdigen. Dann wiederholte der Forscher das Experiment in den Zoos von Zürich und Frankfurt: Dort stürzten sich die Orang-Utans sofort auf das neue Spielzeug und zerlegten es in wenigen Minuten in sämtliche Einzelteile.

Es sei "fast unheimlich", sagt van Schaik. "Im Zoo sind die Tiere wie eine andere Art." Hier seien sie neugierig und Unbekanntem gegenüber aufgeschlossen; in der Wildnis dagegen "interessieren sie sich überhaupt nicht für Neues, ja sie haben sogar etwas Angst davor".

Sind die Zootiere daher kreativer – oder ist ihnen einfach nur langweilig? Für van Schaik ist das kein Gegensatz: "Das ist genau die Art von Langeweile, die auch uns Menschen kreativ macht." Denn als unsere Spezies anfangs noch als Jäger und Sammler durch die Gegend zog, war auch wenig Zeit für Kreativität. Erst als die Menschheit sesshaft wurde und eine gewisse Sicherheit gewann, entstand der Freiraum für Kunst, Philosophie oder Wissenschaft.

Vom captivity effect sprechen Forscher, um zu beschreiben, dass Tiere in Gefangenschaft oft viel neugieriger und spielerischer sind als in ihrer gewohnten Umgebung. "Ein guter Zoo ist für Tiere wie eine Art Club Méditerranée", sagt van Schaik. "Sie bekommen ihr Essen serviert, müssen nicht dauernd vor Raubtieren auf der Hut sein, und wenn mal etwas los ist, ist es meistens nett." Zudem würden die menschlichen Wärter als soziale Vorbilder agieren, die ihnen den risikolosen Umgang mit neuen Gegenständen vorleben. Auf diese Weise könne man Menschenaffen sogar dazu bringen, eine Symbolsprache zu lernen oder Bilder zu malen – die Affen würden dabei vor allem ihre Betreuer imitieren.

Denn die Nachahmung ist bei den Affen die treibende Kraft, auch im Freiland; dort aber geht es vor allem darum, sich sozial nützliche Fähigkeiten anzueignen, die von den Älteren vorgelebt werden. "Rumspielen um des Rumspielens willen – das, was wir unter Kreativität verstehen –, das tun die Orang-Utans im Freiland nicht", sagt van Schaik.

Um zu zeigen, wozu Tiere dennoch fähig sind, hat van Schaik die Ausstellung Kunst – ein evolutionärer Denkansatz konzipiert, die derzeit an der Universität Zürich zu sehen ist. Würde er denn so weit gehen, zu sagen, dass es den Affen im Zoo besser geht? Bei der Frage wird der Anthropologe vorsichtig. Er habe einmal etwas in der Richtung geäußert und einen Sturm der Entrüstung geerntet. "Deshalb würde ich heute sagen: Es geht den Affen im Zoo anders, wenn auch nicht zwangsläufig schlechter." Und wenn er als Orang-Utan wählen müsste? "Dann würde ich lieber im Zoo leben."

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