Auf eines reagiert Ancelotti extrem empfindlich

  02 Juni 2016    Gelesen: 363
Auf eines reagiert Ancelotti extrem empfindlich
Beim FC Bayern beginnt mit Trainer Carlo Ancelotti eine Ära. Der Italiener versteht es, seine Spieler mafiös einzuschwören. Er kann aber auch sehr jähzornig werden. Ibrahimovic bekam das zu spüren.
Ganz abgeschieden, aber ruhig und friedlich wuchs Carlo Ancelotti mit seiner Familie auf einem Bauernhof in Norditalien auf. Im Dorf kannte jeder jeden, vom Morgengrauen bis in den tiefen Abend produzierte der Vater Milch und Parmesankäse. Es gab immer gutes Essen.

Als Carlo mit 14 auf die Jugendakademie des FC Parma kam, musste der schüchterne Junge schnell lernen, sich anzupassen und selbst zu organisieren. Auch das Essen war nicht mehr so toll.

Diese Anpassungsfähigkeit verlangt er bis heute auch von seinen Spielern. Für Ancelotti ist es selbstverständlich und ein Zeichen von Professionalität, die Landessprache des Vereins zu beherrschen, bei dem man aktiv ist. Daher hat er in den vergangenen Monaten auch bereits Deutsch gelernt.

In seinem kürzlich erschienenen Buch "Quiet Leadership – Wie man Menschen und Spiele gewinnt" skizziert der künftige Trainer des FC Bayern München seine Führungsphilosophie, geprägt von gegenseitigem Respekt, Vertrauen und Sachlichkeit. Ancelottis Arbeitsweise beruht auf dem "Geben und nehmen"-Prinzip. Am wichtigsten ist ihm dabei eine gute Beziehung zu den Spielern.

Spieler auf Augenhöhe behandeln

Indem Ancelotti sich um jeden Spieler kümmert und eine persönliche Bindung aufbaut, sind diese umgekehrt eher bereit, für ihren Trainer die gewissen Kilometer mehr zu laufen. Beginnt Ancelotti ein neues Engagement bei einem Verein, so drückt er nicht allen stur seinen Stempel auf, sondern erarbeitet Abläufe und Regeln zusammen mit den Spielern.

Cristiano Ronaldo beschreibt in einem Gastbeitrag des Buches, wie Ancelotti jeden Spieler auf Augenhöhe behandelt, jedem zuhört und versucht, jedem ein gutes Gefühl zu geben. Ronaldo nannte er immer "Bomba".

Für ihn ist Ancelotti "einer der besten und wichtigsten Menschen", die ihm im Fußball begegnet sind. In der Arbeit von Zinédine Zidane als neuem Trainer bei Real Madrid erkennt Ronaldo viele Parallelen zu Ancelotti – bei dem Zidane einst als Co-Trainer reifte.

Auch Zlatan Ibrahimovic schwärmt von Ancelotti als dem "besten Trainer aller Zeiten". Er sei ein kompletter Mensch und Trainer, der auch im Privaten als verlässlicher Ratgeber auftritt.

Kein zu intensives Training

Ancelotti ist daran gelegen, ein familienähnliches Gebilde mit der Mannschaft und dem Betreuerstab aufzubauen, das er vom Druck der Medien und des Präsidenten so gut es geht abschirmt. Dies kann durchaus eine mafiöse Dimension bekommen.

Ancelotti nennt in seinem Buch mehrfach Vito Corleone – Hauptfigur aus "Der Pate" – als Vorbild und schreibt an einer Stelle auch, es sei nicht hilfreich, wenn Abweichler in der Mannschaft "gegen den Geist der Familie arbeiten".

Zu Beginn seiner höchst erfolgreichen Zeit beim AC Mailand setzte Ancelotti in einem frühen Saisonspiel den noch nicht voll austrainierten Rivaldo nur auf die Bank. Der empfand das als Affront und fuhr – in der dritten Person schimpfend – einfach nach Hause.

Doch Ancelotti entschied sich gegen eine Sanktionierung des brasilianischen Stars und erklärte ihm vielmehr sachlich, dass Rivaldo selbst einen Vorteil davon habe, etwas Frische und Fitness zu gewinnen.

Ancelottis Trainingsweise zielt auf genau diesen Aspekt. Die Intensität in den Einheiten soll nicht zu hoch sein, Spieler sollen sich ihre Kräfte für das Spiel aufheben und Verletzungen vermeiden. Entsprechend wird in fast jeder Trainingsübung mit dem Ball gearbeitet.

Zwischen Jähzorn und Witz

Doch bei aller Ruhe und Besonnenheit in seiner Arbeit fährt auch Ancelotti manchmal völlig aus der Haut. Übereinstimmend berichten Ronaldo, Ibrahimovic und David Beckham von berüchtigten Wutausbrüchen Ancelottis.

Minutenlang wird geschrien, gebrüllt und Dampf abgelassen, wobei Ancelotti dabei immer in seine Muttersprache Italienisch zurückfällt. Einmal rastete er in einer Halbzeitpause so sehr aus, dass die von ihm umgetretene Kiste Ibrahimovic am Kopf traf.

Umgekehrt beweist Ancelotti immer wieder Humor und macht sich einen Spaß daraus, seine Topstars etwas aufzuziehen. Gerne behauptet er mit ernster Miene im Gespräch mit Spielern, dass diese bei der nächsten wichtigen Partie nur auf der Bank sitzen würden, nur um ihnen ein paar Momente später lachend auf die Schulter zu klopfen und sie für ihren Startelfeinsatz zu motivieren.

Ancelotti selbst wird vor allem durch Vertrauen und Wertschätzung motiviert. "Nichts ist so wichtig, wie geliebt und geschätzt zu werden", schreibt er an einer Stelle. Von seinen Spielern bekam er dieses Gefühl oft zurück.

Nach seiner Entlassung beim FC Chelsea luden ihn die Führungsspieler um John Terry und Frank Lampard noch einmal zum Essen ein. Als Ancelotti den AC Mailand verließ, weinten Paolo Maldini, Gennaro Gattuso, Filippo Inzaghi und Alessandro Nesta wie Schlosshunde. Und auch bei Real hinterließ Ancelotti eine Menge Freunde. Doch nicht jeder Vereinspräsident brachte Ancelotti dieselbe Wertschätzung entgegen.

Der schwierige Abramowitsch

Problematisch war unter anderem das Verhältnis zu Roman Abramowitsch beim FC Chelsea. Obwohl Ancelotti 14 seiner ersten 16 Pflichtspiele gewonnen hatte, bekam er nach einer Niederlage gegen Wigan sofort einen Warnschuss des russischen Klubbesitzers, der am nächsten Tag unerwartet beim Training auftauchte und eine Erklärung von Ancelotti verlangte.

Nachdem das nationale Double von 2010 Abramowitsch etwas besänftigt hatte, bekam Ancelotti vor dem Champions-League-Viertelfinale 2011 gegen Manchester United ein Ultimatum: Scheidet Chelsea aus, brauche er gar nicht mehr zur Arbeit erscheinen. Als Chelsea dann tatsächlich unterlag, erwartete Abramowitsch Trainer und Mannschaft in der Kabine – und schwieg minutenlang.

Wenige Wochen später war Ancelotti bei Chelsea Geschichte. Auf Ultimaten reagiert Ancelotti seitdem extrem empfindlich. Paris Saint Germain (PSG) war für ihn ein langfristiges Projekt. Er erhoffte sich Zeit und Geduld, um den Verein an die europäische Spitze zu führen.

Das Ultimatum von Paris

Doch das erste Jahr lief etwas holprig. Nach seiner Verpflichtung im Winter 2011 musste sich Paris in der Meisterschaft dem HSC Montpellier geschlagen geben.

Die Sommertransfers von Ibrahimovic und Thiago Silva ließen die Erwartungen steigen, doch im Winter 2012 stand Paris in der Liga wieder nur auf Platz zwei, konnte sich in der Champions League aber bereits vorzeitig für das Achtelfinale qualifizieren.

Dennoch bekam Ancelotti vor dem letzten, eigentlich bedeutungslosen Gruppenspiel gegen den FC Porto von Vereinsboss Nasser al-Khelaifi und Sportdirektor Leonardo ein Ultimatum: Holt PSG gegen Porto keinen Sieg, war es das. Paris gewann das Spiel, aber Ancelotti hatte dieses Vorgehen so geschockt, dass er sich entschied, den Verein zum Saisonende zu verlassen.

Bei Real Madrid wurde er von Vereinspräsident Florentino Pérez mit viel Bewunderung empfangen, die noch gesteigert wurde, als er in seiner ersten Saison die lang ersehnte "La Décima", den zehnten Champions-League-Titel für Real gewinnen konnte. Als ursächlich für seine Entlassung ein Jahr später sieht Ancelotti vor allem die Verletzungsmisere in der zweiten Saison, als Sergio Ramos, James Rodríguez, Pepe, Luka Modric und Karim Benzema wochenlang ausfielen.

Gareth Bales Rolle bei Ancelottis Entlassung in Madrid

Hinzu kam die "Bale-Situation". Gareth Bale wollte in Ancelottis System – das dieser meist am vorhandenen Spielermaterial ausrichtet – zentraler spielen, sagte dies Ancelotti aber nicht persönlich. Vielmehr wendete Bales Berater sich direkt an Präsident Pérez, der daraufhin ebenfalls Druck auf Ancelotti ausübte.

Doch angesichts der Verletztensituation hätte ein Verschieben von Bale eine Umstellung des gesamten Spielsystems bedeutet, weswegen Ancelotti den Waliser auf die nächste Saison vertröstete. Nach einer titellosen Spielzeit war da jedoch für Ancelotti im Sommer 2015 bei Real Madrid bereits Schluss.

Beinahe wäre es dann zu einer Rückkehr Ancelottis zum AC Mailand gekommen. Mehrere Tage überlegte er mit Vereinsoffiziellen in ausführlichen Gesprächen, an die Blütezeit von 2001 bis 2009 anzuknüpfen und den AC Mailand wieder zu einem großen Verein zu machen. Doch aufgrund einer anstehenden Wirbelsäulenoperation entschloss sich Ancelotti für ein Jahr Pause. Und daraufhin für das Engagement beim FC Bayern München.

Der Sohn eines Milch- und Käsebauern wird dabei auch ein Stück italienische Lebenskultur nach München mitbringen. Laut des ehemaligen Geschäftsführers des AC Mailand, Adriano Galliani, gibt es bei Ancelotti immer gutes Essen. Gerne serviert er Parmaschinken und Parmesan.

Quelle : welt.de

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