"Willst du im Leid erheitert sein / Und ungenetzt beschoren fein / Dann zieh nach Konstanz an den Rhein / Wenn sich die Reise füge. / Darinnen wohnen Fräulein zart / Die grasen einem um den Bart ..."
Die Fräulein, die Oswald frequentierte, gehörten zu den "öffentlichen Frauen". Sie beließen es nicht bei Bartpflege, sondern gaben dem angesexten Liedermacher gegen einen Extra-Obulus auch eine Synchron-Show zum Besten: "Wer leiht, dem fällt der Zins in` Schoß. Denn Els und Elli tanzten los / Und hüpften Passgang wie ein Ross". Noch rückblickend stöhnte der Liedermacher über die horrenden Lustspesen seiner Reise: "Denk ich erst an den Bodensee / Dann tut mir gleich der Beutel weh."
Oswalds Klage gilt dem dreisten Geschäftsgebaren der Konstanzer Huren. "Los, zahl, du musst!, war ihr Gesang". Sex war das Boomgewerbe auf dem Konstanzer Konzil, und die jahrelange Nachfrage nach öffentlichen Frauen hatte die Sitten verroht.
Prostitution im Mittelalter, heute Gegenstand erfolgreicher Trivialromane, war bis zur Reformation übrigens theologisch toleriert, gesellschaftlich akzeptiert und kommunal organisiert. In Straßburg bezeugt die sogenannte Münsterschwalbe, das Beispiel einer frivol barbusigen Bauplastik an der Kathedrale, die kirchlich geduldete Existenz der Prostitution. Im Sankt-Georgen-Kloster des schweizerischen Städtchens Stein am Rhein findet man im Festsaal des Abtes bis heute ein Wandgemälde von 1515 – es dokumentiert den "Dirnentanz" der Zurzacher Messe. Erst mit Martin Luther und der Einführung der Priesterehe, mit der Entstehung des Bürgertums überhaupt, wird das im Mittelalter verbreitete Konkubinenwesen sozial geächtet.
Die Stadt Konstanz veranstaltet im Rahmen ihres fünfjährigen Konzilgedenkens gerade ein ganzes Themenjahr zu Ehren des mittelalterlichen Dirnenwesens: Leitfigur ist Imperia. Honoré de Balzac, der große Lebemann der französischen Literaturgeschichte, hat Imperia in seinen "Tolldreisten Geschichten" dem Konstanzer Konzil eingeschrieben.
Die historische Imperia (1455-1512) gehört eigentlich nach Rom und war eine der berühmtesten Kurtisanen der Renaissance. Raffael soll, als er die Dichterin Sappho für die Stanzen des Vatikans malte, gerüchtehalber Imperia verewigt haben. Kurtisane kommt aus dem Italienischen (von cortegiana – Edeldame) und meint eine Spielart des sexuellen Hedonismus für die gehobenen Stände: Imperia war eine hoch gebildete Frau, die Wert auf ein geistreiches Vorspiel legte, wenn sie in ihrem Salon "am hellen Tage den Kardinälen samt Mütze die Liebe gewährte". So zitiert der Literaturwissenschaftler Helmut Weidhase in seiner Quellenstudie ein zeitgenössisches Lobgedicht auf Imperia.
Der literarische Nachruhm Imperias begann mit Matteo Bandello. Aus seinen 214 Meister-Novellen plünderte die europäische Hochliteratur von Shakespeare ("Romeo und Julia") bis Stendhal ("Die Kartause von Parma") und Lord Byron ("Parisina"). Bandellos Imperia-Novelle von 1554, die im Deutschen nie gedruckt wurde, feiert vor allem das Luxusambiente der "schönsten römischen Kurtisane": "Jeder Fremde, der das Haus betrat, konnte meinen, hier lebe eine Fürstin."
Konkreter zur Sex-Sache geht es ein Jahrhundert später bei Béroaldo de Verville. Der Franzose gilt als mutmaßlicher Verfasser des Renaissanceromans "Le Moyen de Parvenir" ("Der Weg zum Erfolg", dt. ungekürzte Erstausgabe 2013), einem Tisch-Palaver voller derber Schwänke, Anekdoten und Zoten. In diesem Werk hat Imperia einen höchst frivolen Auftritt.
Imperia ist bei Verville nämlich nicht nur Kurtisane, sondern eine Pups-Künstlerin der besonderen Art. Zu ihrem Liebesspiel gehörten kleine, von Hühnerhaut ummantelte und mit Moschus gefüllte Liebeskügelchen, die sie beim Geschlechtsverkehr als Knallkörper einsetzte.
Beim Sex mit dem Herrn von Lierne, einen französischen Edelmann, suchte sie "mit einer Hand nach einem der kleinen Bällchen und ließ es mit einem kleinen Stoß ihrer beiden Hinterbacken derart explodieren, dass es einen laut tönenden Pups von sich gab. Als der Edelmann dies vernahm, wollte er seine Nase aus dem Bett hervorstrecken, um nach Luft zu schnappen. `Es ist nicht so, wie Ihr denkt`, sagte sie."
Tatsächlich hatte Imperia mit ihrem Po angenehme Düfte zur Detonation gebracht. Ihrem französischen Freier erzählt sie, alle Fürze italienischer Frauen dufteten wie Parfüm, das läge an den aromatischen Kräutern in der Ernährung. Der Flatus seiner Französinnen sei leider anderer Natur, seufzt der Edelmann.
Vervilles derbe Pointe ist dann die, dass Imperia beim weiteren Liebesspiel noch ein wahrhaftiger Pups entweicht. "Ein Duft, ganz und gar vergiftet, strömte aus der Nähe des Etablissements der Exkremente hervor, so abscheulich riechend, wie niemals ein Pups zuvor." Als sich der Herr ob des kotigen Parfüms beschwert, antwortet Imperia: "Seigneur, dies ist eine Galanterie, mit der ich dem Geschmack Eures Landes entgegenkommen wollte."
Solcherart sind die Schwänke, von denen sich auch ein Honoré de Balzac (1799-1850) zu seinen "Tolldreisten Geschichten" inspirieren ließ. Interessanterweise hat Balzac Imperias Wirken ganz bewusst ins Setting eines Kirchenkonzils verlegt – eine frühe Fassung spielt noch auf dem Konzil von Trient, doch auf Anraten von Balzacs Verleger, der um das lüsterne Image der mittelalterlichen Kirchengroßversammlung am Bodensee gewusst haben muss, sollte es das Konzil von Konstanz sein.
"La belle Impéria" geht, in wenigen Sätzen zusammengefasst, so: Ein kleiner, subalterner Kirchenfunktionär kommt keusch nach Konstanz, begreift schnell die real herrschenden Sitten der großen Kardinäle und möchte auch ein wenig am "Liebeshallelujah" (Weidhase) teilhaben. Er kann sich Imperia aber nicht leisten, weswegen sie ihn demütigend verlacht und wegschickt.
Der Erzbischof von Tours gibt dem armen Kleriker dreißig Silberlinge, damit dieser tunlichst die Finger von Imperia lasse. Das bleibt ein frommer Wunsch. Der Rest von Balzacs Erzählung handelt sehr unterhaltsam davon, wie die Bischöfe bei Imperia Schlange stehen und mit welchen Tricks sie sich als Konkurrenten gegenseitig auszustechen versuchen.
Balzacs Geschichte ist ein heiterer Schwank auf die Doppelmoral als solche – man muss gar nicht nur an Kirchenfunktionäre, sondern könnte auch an die im Zuge der Abgasaffäre schon wieder historisch anmutenden Lustreisen der VW-Betriebsräte denken.
Der Bildhauer Peter Lenk hat seiner von Balzac inspirierten Imperia-Statue im Hafen von Konstanz lächerlich kleine Vertreter der Weltlichkeit und Geistlichkeit auf die Hände gesetzt: Es ist die steingewordene Balzac-Botschaft, dass alle Macht durch Lust und Geld bestechlich und dann schnell zur Zwergennummer schrumpfen kann.
Das beste Beispiel ist die Stadt Konstanz selbst: Als die Aufstellung des Imperia-Denkmals im Jahr 1993 auf ihre Weise tolldreist – nämlich gegen den Willen der Stadt – geschah, forderte der Gemeinderat, dass das "Hurenstandbild" wieder entfernt werde. Allein es fehlte die rechtliche Handhabe: Die Hafenanlagen gehörten den (damals noch nicht stadteigenen) Schiffsbetrieben. 2016 feiert die Stadt ein Jahr im Zeichen der Imperia, als wäre das Denkmal für die Doppelmoral schon immer eine lustvolle Touristenattraktion gewesen.
Quelle : welt.de
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