Vor den Olympischen Spielen in London 2012 traf Boris Becker Muhammad Ali das letzte Mal persönlich. Die Krankheit hatte den Boxer schwer gezeichnet. Viele Jahre zuvor hatte Becker einen anderen Ali kennengelernt. Im Interview erzählt er von dem Treffen.
Die Welt: Herr Becker, wie wurde Muhammad Ali Ihr Idol?
Boris Becker: Ich wurde nachts von meinem Vater geweckt, um ihn boxen zu sehen. Aber noch mehr als den Boxer bewundere ich den Menschen Muhammad Ali.
Die Welt: Weil Ali ein sehr charismatischer Mensch war? Das sind Sie auch.
Becker: Ich möchte mich wirklich nicht mit ihm vergleichen. Das wäre wohl ein bisschen zuviel der Ehre. Ali ist ein Sportler, den ich seit nun 48 Jahren verfolge, bewundere, zum Teil live erlebe. Er ist für mich die herausragende Sportlerpersönlichkeit, er ist meine Sportikone überhaupt. Eben, weil er mehr war als nur Sportler, er war ein Phänomen. Was Muhammad bewegt hat, welche Botschaften er rübergebracht hat, welche Entscheidungen er getroffen hat, auch gegen die eigene Karriere - das würde sich heute keiner mehr trauen, das ist einmalig.
Die Welt: Sie meinen, als sich Ali in den USA gegen den Vietnam-Krieg aussprach und sogar den Wehrdienst verweigerte?
Becker: Absolut. Nehmen wir doch mal einen Fußballer, der aufgrund einer politischen Entscheidung seines Landes sagt: "Nein, ich verzichte auf die Champions League, ich verzichte auf die Weltmeisterschaft - ich trete in den Streik." Nicht nur, dass er seinen Sport nicht mehr ausüben durfte, sie haben Muhammad ja sogar ins Gefängnis gesteckt. Eine solche Dimension kann man sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen.
Die Welt: Aber Ali trat auch offen für Gewalt ein. Er war der Meinung, für die Rechte der Schwarzen müsse Blut fließen. Er war für Kampf, nicht für den Dialog.
Becker: Er war ein schwarzer Boxer, groß geworden in den Südstaaten. Die Eltern arbeiteten noch auf den Baumwollfeldern. Er hatte nie die gleichen Rechte wie weiße Kinder und Jugendliche. Die meisten vergessen, woher sie kommen - er nicht. Als er Boxweltmeister wurde, sprach er genau die Probleme an, die ihn sein Leben lang beschäftigten. Und zwar ohne Rücksicht auf Verluste.
Die Welt: Muhammad Ali hieß eigentlich Cassius Clay. Er wechselte seinen Namen, nachdem er zum Islam konvertiert war.
Becker: Bewundernswert! Stellen Sie sich vor: Wenn das heute einer machen würde, er wäre doch ausgestoßen von der Gesellschaft. Der würde nirgendwo mehr eingeladen werden. Muhammad aber war das egal. Was er als Sportler aus Überzeugung riskiert hat, das hat ihn als Menschen für mich so einzigartig gemacht.
Die Welt: Ali sagte über sich: "Ich fliege wie ein Schmetterling und steche wie eine Biene." Welchen Vergleich würden Sie für sich im Tennis suchen?
Becker: Eigentlich ist Alis Satz sogar aufs Tennis übertragbar. Tennis ist auch ein Einzelsport, du bist allein da draußen, kannst dich nicht auswechseln lassen. Wir müssen unsere Gegner auch immer wieder piesacken, bis wir sie dann schlagen, und irgendwann muss es auf dem Platz einen Knockout geben. Dieses Leichtfüßige und doch Dominante lässt sich wirklich miteinander vergleichen.
Die Welt: Sehen Sie Parallelen zu sich und Ali? Sie wählten auch nicht immer den bequemsten Weg in Ihrem Leben.
Becker: Ich beantworte diese Frage mal so: Als Persönlichkeit, als Mann, als Ikone muss man eine Meinung haben zu Dingen des Lebens. Viele Menschen hören dir zu. Sie wissen: Du reist viel und hast dadurch einen ganz anderen Horizont als sie. Ich habe immer auch andere Themen als Tennis angesprochen und tue es auch heute noch. Weil ich trotz aller Preisgelder, Erfolge und Werbeverträge nie vergessen habe, was mich als Mensch interessiert. Wenn ich nach einer Parallele zu Muhammad suche, dann ist es diese: Ich habe meine Meinung zur Rassenproblematik, ich lebe danach und werde dafür kritisiert, bis heute.
Die Welt: Ali sagte von sich: "Ich bin der Größte!" War das sportlich fair gegenüber den anderen Boxern?
Becker: Das war seine Art. Er hat das natürlich mit viel Charme gemacht. Wenn du als Einzelsportler nicht glaubst, dass du der Beste bist, wer soll es denn sonst glauben? Muhammad Ali hat das eben perfektioniert. Ich vermisse so etwas heutzutage, viele Sportler stapeln tief. Sie reduzieren sich, sagen nicht, was sie vorhaben, was sie gewinnen wollen. Sie nehmen sich den Druck, indem sie sagen, sie würden erst mal schauen. Ich sehe es als Zeichen starker Persönlichkeiten, den anderen zu sagen: "Hier, ich bin derjenige, der gewinnen wird!"
Die Welt: Muhammad Ali hat den Islam als die einzige Religion des Friedens bezeichnet. Ob er zuletzt wohl noch genau so geredet hätte, wenn er gekonnt hätte?
Becker: Ich glaube, beim Islam muss man vieles differenzieren. Es gibt ja da nicht nur eine Glaubensrichtung, sondern viele. Es gibt sehr friedliche, aber auch - wie in jeder Religion - die fanatischen, die extremen Gläubigen. Grundsätzlich würde ich sagen, dass es in Religionen kein Richtig und auch kein Falsch gibt. Wenn man in den Geschichtsbüchern nachschlägt, findet man einiges, das auch wir Christen falsch gemacht haben.
Die Welt: Haben Sie Ali persönlich getroffen, konnten Sie mit ihm reden?
Becker: Ja. Er hatte mitbekommen, dass ich ein Faible für schwarze Menschen habe, und darüber haben wir lange gesprochen. Ich habe ihm erzählt, dass ich es schwerer dadurch in Deutschland habe. Hätte ich eine schöne blonde, blauäugige Bayerin geheiratet, wäre sicher vieles für mich leichter gewesen. Das habe ich ihm erklärt.
Die Welt: Wann trafen Sie sich so privat?
Becker: In Wien, beim World Sports Award 1999. Da war er Ehrengast. Wir haben uns am Abend lange unterhalten und uns dann für den nächsten Morgen in seiner Hotelsuite zum Frühstück verabredet. Dort waren wir dann ein bisschen unter uns und sprachen. Ich war noch verheiratet, Barbara war auch dabei, seine Frau ebenfalls. Wir haben dann über das Farbenproblem in der Welt gesprochen. Dass Menschen erst einmal nach ihrem Äußeren beurteilt werden.
Die Welt: War dieses Gespräch der Auslöser dafür, dass Sie sich zu Ali hingezogen fühlen?
Becker: Nein, Boxfan war ich schon immer, Ali-Fan auch.
Quelle: welt.de
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