Ein Sexualmord und die merkwürdige Rolle der Polizei

  06 Juni 2016    Gelesen: 732
Ein Sexualmord und die merkwürdige Rolle der Polizei
Vor drei Wochen wurde in Sachsen-Anhalt eine chinesische Studentin ermordet. Die Eltern eines Verdächtigen sind Polizisten. Haben sie die Ermittlungen behindert? Nun erreicht der Fall die Politik.
An einem warmen Mittwochabend im Mai beschließt die Chinesin Yangjie Li, damals Architekturstudentin, noch eine Runde zu joggen. Den Sport hat die 25-Jährige in Deutschland für sich entdeckt. Gegen 20.30 Uhr schlüpft sie in ihre schwarzen Turnschuhe und macht sich auf den Weg. Ihre Route führt vom Dessauer Gründerzeithaus, in dem ihre Wohngemeinschaft lebt, zum rund 700 Meter entfernten Stadtpark. Doch an diesem Abend kehrt die Tochter eines chinesischen Polizeibeamten, die kurz vor ihrem Masterabschluss steht, nicht zurück. Sie wird Opfer eines grausamen Verbrechens.

Zwei Tage später, an einem Freitag, dem 13., findet die Polizei einen weiblichen Leichnam. Nach Lis Verschwinden hatte eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei das Stadtgebiet abgesucht – zunächst vergeblich. Schließlich wird in einem Hinterhof eine unbekleidete Tote hinter einer Dixi-Toilette entdeckt. Das Gesicht dieser Person ist fürchterlich zugerichtet. Deshalb braucht es einige Zeit, um ihre Identität festzustellen. Dann endlich die Gewissheit: Es ist Yangjie Li, sie ist Opfer eines Sexualmordes geworden.

Nach dem Fund vergehen weitere drei Tage, bis zwei Tatverdächtige festgenommen werden: Sebastian F. und seine Verlobte Xenia I., beide 20 Jahre alt. Das Pärchen wohnt in der Nähe der chinesischen Studentin. Deren Leiche war direkt am Haus der beiden abgelegt worden.

Es ist ein Verbrechen, das eine besondere Facette hat – der tatverdächtige F. ist der Sohn eines Polizistenehepaars. Und nicht nur das: Die Mutter des Verdächtigen und sein Stiefvater, immerhin Chef der Dessauer Polizei, spielen in dem Fall eine merkwürdige Rolle.

Über Dessau scheint ein Fluch zu liegen

Wieder einmal Dessau. Die drittgrößte Stadt Sachsen-Anhalts, in der einst die legendären Junkers-Flugzeuge gebaut wurden und der weltberühmte Komponist Kurt Weill geboren wurde, die mit dem Wörlitzer Park und dem Bauhaus über gleich zwei Weltkulturerbe-Stätten verfügt – sie kommt seit über einem Jahrzehnt einfach nicht zur Ruhe. Als liege ein Fluch auf der früheren Fürstenresidenz. Dessau gilt heute deutschlandweit als Synonym für behördliches Versagen. Mit einer gewissen Regelmäßigkeit werden skandalumwitterte Geschichten publik, die wiederholt im Milieu der Polizei spielen.

Ein Fall aus dieser Stadt diente sogar als Vorlage für einen gruseligen "Tatort"-Krimi. Der Titel: "Verbrannt". Der Inhalt: Ein Asylbewerber verbrennt in der Obhut der Polizei. Der Verdacht: Polizisten sind die Täter. Vorbild für den Film war die Affäre um Oury Jalloh. Der Mann aus Sierra Leone verlor im Januar 2005 sein Leben in einer Polizeizelle. Gutachter haben die Version, er habe sich selbst angezündet, erschüttert. Das Problem: Wenn es kein Selbstmord war, muss es einen Mörder geben. Einen, der frei herumläuft, bis heute. Das damit verbundene Unbehagen will nicht aus Dessau weichen.

Wie überall gibt es auch in dieser Stadt tüchtige Polizeibeamte. Solche, die in ihrem Beruf aufgehen. Exemplarisch dafür stehen drei Staatsschützer, die sich einen Namen machten, weil sie entschlossen die rechte Szene bekämpften. Ihr Vorgesetzter soll daraufhin im Jahr 2007 die Anweisung gegeben haben, weniger zu ermitteln, weil die vielen Verfahren in der Statistik ein schlechtes Bild auf die Region würfen. Als das nach außen drang, schaute ganz Deutschland verwundert auf Dessau.

Der aktuelle Fall um die ermordete Studentin erschüttert den Ruf der Stadt aufs Neue. Nun hat es Dessau sogar in China zu trauriger Berühmtheit gebracht. In den sozialen Netzwerken und im Staatsfernsehen des Landes wurde tagelang jedes Detail des Verbrechens ausgeleuchtet. "Es ist natürlich fatal, dass Dessau erneut mit einem solch negativen Ereignis in Verbindung gebracht wird", sagt der CDU-Stadtrat und Landtagsabgeordnete Jens Kolze.

"Vorgänge aufklären, damit das Vertrauen in den Rechtsstaat nicht erschüttert wird"

Dabei gab es in dem Mordfall einen schnellen Fahndungserfolg. Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) sagte der "Welt am Sonntag": "Zwei Tatverdächtige konnten bereits elf Tage nach dem Mord in Untersuchungshaft genommen werden. Das ist ein Riesenerfolg." Doch der Minister, der früher einmal Staatsanwalt war, sagt auch, es seien "Vorgänge bekannt geworden, die wir dringend aufklären wollen, damit das Vertrauen in den Rechtsstaat nicht erschüttert wird".

Stahlknecht beschäftigt die Frage, ob das Polizisten-Ehepaar Jörg und Ramona Sch. versucht hat, aus persönlichem Interesse in die Ermittlungen einzugreifen. Sollte das zutreffen, wäre es ein Desaster. Jedenfalls ist ihr Sohn Sebastian F. nicht zum ersten Mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Als er noch keine 14 Jahre alt und damit noch nicht strafmündig war, geriet er in Verdacht, ein Kind sexuell missbraucht zu haben. Aber auch mit Delikten wie Brandstiftung, Beleidigung, Sachbeschädigung oder Körperverletzung wird F. in Verbindung gebracht. Gegen ihn sollen rund 40 Verfahren geführt worden sein. "Gerüchten zufolge soll seine Mutter als Polizistin versucht haben, Einfluss zugunsten ihres Sohnes zu nehmen", sagt der Innenminister, der einen Sonderermittler eingesetzt hat.

Nach Informationen der "Welt am Sonntag" beschäftigt sich inzwischen auch die Justiz mit den Vorwürfen. Anfang der Woche hat die Staatsanwaltschaft Magdeburg dazu einen Prüfvorgang angelegt. Dort ist noch ein zweiter Prüfvorgang anhängig. Er betrifft das aktuelle Geschehen und beide Elternteile. Auslöser war unter anderem die Aussage einer Polizistin. Sie will gesehen haben, wie Mutter und Stiefvater einen Tag nach der Entdeckung der Leiche der Studentin mehrere Tüten aus der Wohnung ihres Sohnes und seiner Verlobten trugen. In einem Interview hat das Polizistenehepaar alle Vorwürfe vehement bestritten und erklärt, die Wohnung des Sohnes nach der Tat nicht mehr betreten zu haben.

Einvernehmlicher Sex zu dritt?

Unbestritten ist, dass die Mutter des Verdächtigen zeitweilig in die Ermittlungen gegen ihn eingebunden war und Zeugen befragte. Ein weiteres Detail ist besonders pikant. Kurz vor der Festnahme des Pärchens hat die Polizistin laut eigener Aussage etwas erfahren, was sie eigentlich sofort hätte melden müssen. Die Verlobte ihres Sohnes fabulierte über ein Treffen mit der Chinesin am Abend vor dem Tag der Ermordung. Später erzählten die Tatverdächtigen, man habe zu dritt einvernehmlichen Sex gehabt. Das hört sich an wie eine Schutzbehauptung, zumal Zeugen die Studentin zum fraglichen Zeitpunkt ganz woanders gesehen haben wollen. Der Sohn stand da schon enorm unter Druck. Er muss zu diesem Zeitpunkt gewusst haben, dass an der Toten fremde DNA-Spuren gefunden worden waren.

Seitdem Sebastian F. und Xenia I. in Untersuchungshaft sitzen, verweigern sie jede Aussage. Das Polizistenehepaar Jörg und Ramona Sch. ist krankgeschrieben. Beide sollen nach dem Willen ihres Dienstherrn nicht mehr auf ihre alten Posten zurückkehren. In dieser Familie wird nichts mehr so sein, wie es einmal gewesen ist.

Für die Eltern der ermordeten Yangjie Li gibt es keine Familie mehr. Sie haben ihr einziges Kind verloren und verlangen jetzt Aufklärung. Der Vater hat den erfahrenen Berliner Anwalt Sven Peitzner engagiert. Der sagte dieser Zeitung, sein Mandant werde sich dem zu erwartenden Strafverfahren als Nebenkläger anschließen. "Er ist von Beruf Polizeibeamter und deshalb durchaus sachverständig. Die Familie möchte wissen, was ihrer Tochter widerfahren ist und ob nach der Tat die Ermittlungen möglicherweise behindert worden sind." Trotz aller Ungereimtheiten vertraue sein Mandant dem deutschen Rechtssystem und gehe davon aus, "dass die Tat in einem fairen Verfahren aufgeklärt wird und die Täter gerecht bestraft werden".

Für einen Vater, der seine Tochter in einem fremden Land verloren hat, sind das bemerkenswert bedächtige Worte. Umso mehr, wenn man weiß, dass sich ihm gegenüber nicht alle besonders feinfühlig verhalten haben. Der leitende Dessauer Oberstaatsanwalt verbreitete auf einer Pressekonferenz die Version der beiden Tatverdächtigen vom einvernehmlichen Sex zu dritt. Nach chinesischem Verständnis ist das nicht nur eine Verletzung der Ehre des Opfers, sondern auch der Ehre der Eltern. Der Auftritt des Staatsanwaltes ist gründlich missglückt.

Quelle : welt.de

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