Deutschlands Terrorabwehr kommt im Schneckentempo

  06 Juni 2016    Gelesen: 961
Deutschlands Terrorabwehr kommt im Schneckentempo
Die neue Anti-Terror-Einheit der Bundespolizei, BFE+, soll erst Ende 2017 vollständig einsatzbereit sein. Nach den aufgedeckten Anschlagsplänen von Düsseldorf sorgt das für Kritik am Innenminister.
Sie sollen Häuser stürmen, Terroristen außer Gefecht setzen und Schwerverletzte bergen. Sie tragen das kompakte "G36c", den kleinen Bruder des Sturmgewehrs von Bundeswehrsoldaten, dazu schusssichere Westen und pechschwarze Helme mit Gesichtsschutz. Die neue Anti-Terror-Einheit der Bundespolizei soll den Länderpolizeien im Fall der Fälle zu Hilfe eilen. Etwa in der Düsseldorfer Altstadt, wenn Selbstmordattentäter des IS dort ihre jetzt bekannt gewordenen Terrorpläne verwirklicht hätten.

Ein solches Szenario wird seit Langem durchgespielt. Bereits nach den Anschlägen in London 2005 und Madrid 2007 war das so. Jedes Mal warnten Sicherheitsbehörden davor, dass man womöglich nicht gut genug aufgestellt sei. Als dann Anfang 2015 in Paris Terroristen die Redaktion der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" stürmten und elf Menschen töteten, veranlasste Innenminister Thomas de Maizière (CDU) schließlich den Aufbau einer neuen Anti-Terror-Einheit bei der Bundespolizei.

Seitdem hat sich die Lage nicht verbessert. Im Gegenteil: Mittlerweile bekommen die Sicherheitsbehörden fast täglich mehrere Hinweise zu vermeintlichen oder tatsächlichen Anschlagsplänen. In Düsseldorf wäre die vorgesehene Eliteeinheit, die das Kürzel BFE+ ("Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit") trägt, nicht zur Stelle gewesen. Sie ist immer noch nicht komplett einsatzbereit. Woran liegt das? Das Ressort von de Maizière verweist darauf, dass auch eine noch so große Terrorgefahr die Bestimmungen des Vergaberechts nicht außer Kraft setzen könne.

So zumindest lesen sich die Antworten, die das Innenministerium jetzt auf Nachfragen der "Welt am Sonntag" gab. Da heißt es etwa, man müsse noch "ballistische Schutzausrüstung, gepanzerte Fahrzeuge und medizinische Ausstattung" besorgen. Beim Bonner Beschaffungsamt, der zentralen Einkaufsbehörde des Bundes, liefen derzeit entsprechende Ausschreibungen. Parallel sei es nötig, für die BFE+ ausgewählte Polizisten sorgfältig zu schulen.

Medienwirksame Präsentation im Dezember

Zuletzt hatte das Ministerium noch den Eindruck vermittelt, das Vorhaben komme rasant voran. Am 16. Dezember 2015 ließ de Maizière in Blumberg bei Berlin schon einmal 50 Beamte der BFE+ antreten, die ihr Können medienwirksam vor Journalisten zeigen durften. Bei der Show-Veranstaltung fuhren sie mit VW-Bussen vor, weil Panzerwagen fehlten. Doch lediglich diese Teileinheit – eine von fünf geplanten – ist abrufbereit.

Das sorgt für Kritik. Ansgar Heveling (CDU), der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, sagte der "Welt am Sonntag": "Wir können es uns angesichts der Bedrohungslage nicht leisten, zu viel Zeit verstreichen zu lassen." Die Einheit müsse "schnellstmöglich einsatzfähig" sein. Noch deutlicher wird Rainer Wendt, der Bundeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft: "Es entsteht leider der Eindruck, dass wir hier Terrorabwehr im Schneckentempo machen. Terroristen werden sich sicher nicht an unseren Zeitplan halten."

Die Eliteeinheit soll künftig per Hubschrauber jeden Winkel der Republik in höchstens einer halben Stunde erreichen können – daher die Verteilung auf fünf Standorte. Die beiden Teileinheiten in Sankt Augustin (Nordrhein-Westfalen) und Bayreuth (Bayern) werden aber erst bis Ende 2016 aufgestellt sein, die in Hünfeld (Hessen) und Uelzen (Niedersachsen) sogar erst Ende 2017.

Der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann, meinte bereits vor einem halben Jahr: "Diese robuste Einheit ist einmalig in Deutschland. Wir haben damit eine Fähigkeitslücke geschlossen zwischen Bereitschaftspolizei und der GSG 9 der Bundespolizei." Damals hatte er noch von einer "Vorreiterrolle" der BFE+ gesprochen. Sie soll die GSG 9 ergänzen, die 1972 nach der Geiselnahme bei den Olympischen Spielen in München gegründet worden war. Berühmt wurde diese Spezialeinheit 1977 bei der Operation "Feuerzauber", als sie die entführte Lufthansamaschine "Landshut" im somalischen Mogadischu erfolgreich erstürmten.

Kritik von der Gewerkschaft der Polizei

Die Unterschiede sind beträchtlich: Bei der GSG 9 dauert die Basisausbildung vier Monate. Sie schult auch die Bereitschaftspolizisten der BFE+, die schon nach acht Wochen fit sein sollen für die Bekämpfung von Terroristen. Während die GSG 9 ausschließlich für die Befreiung von Geiseln und den Anti-Terror-Kampf vorgesehen ist, sollen ihre Kollegen von der BFE+ auch für den bereitschaftspolizeilichen Tagesdienst herangezogen werden.

Das kritisiert Jörg Radek, der Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP): "Einerseits den alltäglichen Polizeidienst abdecken zu müssen und andererseits für terroristische Sonderlagen zu trainieren, dürfte nicht ganz leicht fallen. Da hat die Politik ein Gebilde geschaffen, das einen schweren Geburtsfehler hat."

Wie man es besser machen kann, hat ein Vorgänger von de Maizière gezeigt: der kürzlich verstorbene FDP-Politiker Hans-Dietrich Genscher. In seiner Amtszeit als Innenminister hatte er den Polizeioffizier Ulrich Wegener mit der Aufstellung der GSG 9 beauftragt. Nach nur sechs Monaten war sie verfügbar. Wegener wurde ein legendärer Kommandeur. Das hohe Ansehen Deutschlands bei der Terrorismusbekämpfung könnte jetzt verspielt werden.

Quelle : welt.de

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