Schüssel, der Wendekanzler des Jahres 2000, weiß aus eigenem Erleben, wovon er schreibt. Jedes Mal, wenn sich die Freiheitliche Partei anschickt, aus dem Trotzwinkel der Opposition auszubrechen, richten sich alle Augen auf Österreich. Dann rückt das wenig bedeutsame Land, für das sich ansonsten kaum jemand außerhalb der Landesgrenzen interessiert, plötzlich in den Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit, ganz so, als fände in dem Kleinstaat ein Fanal von welthistorischer Bedeutung statt, als stünde eine faschistische Machtergreifung unmittelbar bevor. Der finstere Schatten des Hakenkreuzes liegt dann wie ein bedrohliches Menetekel über dem ganzen Land.
Das ist kein reines Medienphänomen. In den aufgeregten Wochen vor der Stichwahl dominierte der scheinbar unaufhaltsame Höhenflug des blauen Kandidaten Norbert Hofer die deutschen Nachrichtenportale. Kein anderes Thema wurde häufiger angeklickt und gelesen, nichts öfter in den Leserforen kommentiert. Das war auch auf ZEIT ONLINE der Fall. Begierig wurden alle Schauergeschichten aus dem Nachbarland verschlungen. Die Berichterstatter kamen gar nicht nach, das gesteigerte Interesse an österreichischem Gruselstoff zu stillen.
Fernsehkameras aus der ganzen Welt suchten nach verräterischen Motiven, ein Team des CBS-Nachrichtenmagazins 60 Minutes war aus New York angereist und streifte tagelang durch Wien auf der Suche nach den Schauplätzen eines authentischen Horrors: Wo würde es zu gewaltsamen Ausschreitungen kommen, auf welcher Route würde der Fackelzug der blauen Bataillone marschieren?
Ganz offensichtlich steht Österreich international unter einem Generalverdacht, der letzte Hort unverbesserlicher Rechtsradikaler zu sein. Die Welt scheint davon auszugehen, dass das Land schicksalhaft von einem Nazi-Gen besessen ist. Plötzlich betrat mit Norbert Hofer nicht mehr der Kandidat einer mitunter verbal radikalen, populistischen Partei die politische Bühne, sondern aus dem historischen Schatten trat ein Sendbote des "Dritten Reiches", der bevorstehende Pogrome anzukündigen schien.
Zumindest die Medienhysterie erinnerte frappant an den Februar 2000, als Wolfgang Schüssel in einem Überraschungscoup seinen Teufelspakt mit Jörg Haider schloss. Auch damals zelebrierten die Medien braune Messen, dem Land wurde das Symbol der Nazis aufgestanzt, und in der Gestalt des blauen Volkstribunen trat ein schauriger Wiedergänger von Adolf Hitler in den Vordergrund.
In Wien herrschte tagelang Belagerungszustand, die Weltpresse war in Legionärsstärke angerückt. Der amerikanische Nachrichtensender CNN hatte sogar sein TV-Team aus dem Bürgerkriegsland Tschetschenien abgezogen und in die neue Krisenzone geworfen. Im Pressezentrum wurden Neuigkeiten wie in der Abflughalle eines Airports als englischsprachige Lautsprecherdurchsagen verkündet. Als dann die geschockten Regierungen der EU verabredeten, Österreich diplomatisch zu boykottieren, schien es allen klar zu sein, dass nur eine entschlossene Quarantäne die Welt von diesem braunen Seuchenherd werde schützen können. Haider, das war politisches Ebola, tödlich, unheilbar, extrem kontagiös. Es dauerte sieben Monate, bis der Ausnahmezustand wieder aufgehoben wurde.
Tags: