Beim Großen Preis vom Kanada liefern sich Hamilton und Nico Rosberg bereits in der ersten Kurve ein knallhartes Duell um Rang zwei. So hart, dass sich die Vorderräder der Silberpfeile berühren und Rosberg die Strecke verlassen muss, um Schlimmeres zu verhindern. Nachdem er sich wieder in den Verkehr einsortiert, ist er von Platz zwei auf Rang zehn zurückgefallen.
Nur eine "knackige Situation"?
Nun mag man das im Sinne von Niki Lauda, dem Mercedes-Teamaufseher interpretieren und sagen: "Es war wirklich eine knackige Situation. Man kann niemandem die Schuld geben. Mit dem Start von Sebastian begann die Konfusion. Er ist gestartet wie eine Rakete." Klar, Vettel hat die Situation für sich ausgenutzt, fair im Übrigen. Anders Hamilton, der ohnehin von der Pole gestartet ist. Um den auf zwei stehenden Rosberg gleich in die Parade fahren zu können, platzierte er seinen Boliden bereits nach links ausgereichtet in der Startbox.
Spätestens seit dem Rennen in Barcelona einen Monat zuvor, als Hamilton mit einem überharten Manöver für das Aus beider Mercedes-Fahrer gesorgt hat, hätte es eine klare Ansage an den Briten geben müssen. Nein, es soll keine neue Stallorder eingeführt werden, die die Fahrer beschneidet. Aber es muss für unfaires Verhalten Konsequenzen geben. Und wenn sie wie im Profifußball finanzieller Natur sind. Umso unverständlicher die Reaktion von Teamchef Toto Wolff: "Sie haben sich berührt. Das wollen wir nicht. Deswegen werden wir das diskutieren."
Diskussionen im Nichts
Diese Art der Diskussion kennt man unterdessen bei Mercedes. Sie münden im Nichts. Selbst wenn ein Hamilton das gesamte Team ins Aus schießt. Dabei hat der Beef zwischen den beiden inzwischen Tradition. Man erinnere sich nur an den Belgien Grand Prix 2014 bei dem sich die beiden Mercedes-Piloten gegenseitig um den Sieg brachten. Damals hieß es von Wolff: "Wir sind da, um sie Rennen fahren zu sehen - nicht, damit sie sich abstimmen, wer als Erster und wer als Zweiter durch die erste Kurve fährt." Zur damaligen Zeit ein super Satz. Spätestens aber seit dem Crash 2015 in Austin Texas eine echte Farce.
Damals wagte es Rosberg öffentlich seinem Teamkollegen in der Pressekonferenz Vorsatz zu unterstellen und bemerkte zudem, dass dieses Verhalten unfair sei. "Ein Stück Straße muss er mir schon lassen", prustete Rosberg damals. Selbst die Telemetrie-Daten wiesen damals aus, dass der Brite kurz auf dem Gas stand, als die beiden in die Kurve einbogen, was schließlich zur Kollision führte. Zwei Stunden nach der Analyse sagt Hamilton: "Ich war vielleicht ein bisschen aggressiv, würde es aber wieder so machen." Und das scheint unterdessen das von höchster Stelle abgesegnete Credo des Weltmeisters zu sein.
Die Zeiten haben sich geändert
Aber die Zeiten haben sich geändert. Mercedes führte seinerzeit unantastbar in Technik und Aerodynamik das Feld an. Die Silberpfeil-Piloten sind während der Rennen sogar so weit vorn, dass sie in den Übertragungen gar nicht mehr gezeigt werden, weil sie, das Feld abgehängt, ihre Kreise ziehen. Heute sieht das anders aus. Die Konkurrenz ist dran. Hätte sich Ferrari am Sonntag nicht mit Vettels Reifenwechseln verzockt, wäre Hamilton nach seiner unfairen Aktion nicht über Platz zwei hinausgekommen. Auch die roten Bullen sind wieder im Kommen. Haben mit einem Max Verstappen das wohl beeindruckendste Talent seit Jahren im Team. Williams hat ebenfalls bewiesen, dass sie mit den großen Jungs mitspielen können. Bei aller Mühe brachte es Rosberg in Kanada nicht fertig, einen Valtteri Bottas zu überholen.
Wenn die Silberpfeile diese Saison mit wehenden Fahnen verlassen wollen, dann sollten sie sich ernsthaft überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre einen Lewis Hamilton einzubremsen. Klar können die Verantwortlichen sich mit den Siegen und der Art und Weise wie sie errungen werden, arrangieren. Aber auf Dauer dürfte das nicht gut gehen. Der Fokus sollte langsam auf die äußere Konkurrenz, nicht auf die innere gerichtet werden. Andernfalls gibt es ein böses Erwachen für Lauda und Wolff.
Ali oder unfairer Seitenhieb?
Bis zum Saisonende sind es noch 14 Rennen und Mercedes ist lange nicht mehr so stark, dass sich das Team weitere Aussetzer leisten kann. Bereits am nächsten Wochenende geht es nach Baku, in die Hauptstadt von Aserbaidschan. Der Stadtkurs ist neu und nicht ohne. Bis Kurve 6 scheint alles ganz leicht: viermal 90 Grad nach links, zweimal 90 Grad nach rechts. Danach wird es spannend, eine Doppelschikane von Kurve 8 bis Kurve 11, eine Bergaufpassage, sowie zwischen Kurve 16 und Kurve 1 nicht weniger als 2,2 Kilometer Vollgas entlang der Stadtpromenade.
Das wäre dann auch das Stück, in dem die Silberpfeile ihre Überlegenheit ausspielen können, beim Rest ist mit den bereits in Kanada auftrumpfenden Ferrari, Red Bull und Williams durchaus zu rechnen Und es bleibt abzuwarten, ob Hamilton dann wieder à la Muhammad Ali wie ein Schmetterling schweben und wie eine Biene stechen kann oder ob er wieder nur unfaire Seitenhiebe austeilt.
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