Die nächste Krawallwelle rollt auf die EM zu

  14 Juni 2016    Gelesen: 767
Die nächste Krawallwelle rollt auf die EM zu
Englands Verband zittert vor dem Wiedersehen mit den russischen Hooligans am zweiten Spieltag. Auch Marseille rüstet sich für die nächsten Krawalle. Die Maßnahmen der Franzosen laufen wohl ins Leere.
Luka Modric konnte nur müde lächeln. Hinter ihm lagen "die vielleicht besten 90 Minuten seiner Nationalmannschaftskarriere", wie Trainer Ante Cacic gelobt hatte. Erst im zweiten Anlauf erinnerte sich der Profi von Real Madrid an die Szene, die wie ein Sinnbild für das erste Wochenende der EM in Erinnerung bleibt.

"Ach ja, der Fan auf dem Rasen", sagte Kroatiens Mittelfeldstar und Siegtorschütze also langsam: "Ich habe das gar nicht so richtig realisiert. Plötzlich war da jemand, der nicht zu unserem Kader gehört. Aber es war okay." Wirklich?

Ein Fan springt über die Bande auf den Rasen und feiert das Siegtor seiner Kroaten gegen die Türkei mit den Spielern, parallel werden Rauchbomben gezündet. Später brennt noch eine bengalische Fackel im Pariser Prinzenpark, am Abend kommt es in Lille zu Zusammenstößen zwischen deutschen Krawallmachern und Ukrainern.

Auch losgelöst von der offenbar präzise vorbereiteten Eskalation in Marseille, wo russische Hooligans Polizisten und Engländer in Straßenschlachten verwickelten, hat diese EM ein Sicherheitsproblem. Dabei geht es jetzt erst so richtig los.

Teil zwei der Hooliganschlachten in Lens?

Der Blick auf den Spielplan lässt Schlimmes befürchten: Am Mittwoch (15.00 Uhr) spielt Russland in Lille gegen die Slowakei, 24 Stunden später sind die Engländer in Lens gegen Wales dran. Beide Orte liegen nur rund 30 Kilometer auseinander. In Lens nutzten anno 1998 schon deutsche Hooligans die verwinkelten Gassen für blutige Streifzüge. Vor allem der englische Verband FA befürchtet deswegen nun eine Fortsetzung der blutigen Kämpfe von Marseille. "Allen Fans, die keine Tickets haben, raten wir dringend davon ab, nach Lens zu reisen", heißt es in einer Mitteilung.

Zwar drohte der europäische Verband Uefa beiden Verbänden mit dem Turnierausschluss, wenn sich Exzesse wie am Samstag wiederholen. Gegen Russland ermittelt zudem die Disziplinarkommission, deren Urteil am Dienstag erwartet wird. Ob sich die Krawallmacher, von denen quasi niemand dingfest gemacht wurde, davon abhalten lassen, scheint mehr als fraglich.

Das ahnen wohl auch die französischen Gastgeber, die schon nach wenigen Spielen Umbauarbeiten an ihrem Sicherheitskonzept vornehmen. Am Sonntagabend ordnete Innenminister Bernard Cazeneuve ein Alkoholverbot rund um "sensible Orte" an.

Im Klartext heißt das: Vom Tag vor dem Spiel an bis zum Tag danach wird an den Stadien und Fanmeilen kein Alkohol ausgeschenkt, drinnen gibt es ohnehin nur alkoholreduzierte Getränke. Zudem sind die Kommunen aufgefordert, genau zu prüfen, in welchem Maße der Ausschank von Alkohol in den Innenstädten zu verantworten ist. In Lens etwa werden die 50.000 Briten, die erwartet werden, auf dem Trockenen sitzen.

"Was in Marseille passiert ist, finde ich inakzeptabel. Für uns als Gesellschaft und für alle Fans, die den Fußball lieben", sagte Cazeneuve. Die Maßnahme wirkt nicht nur deshalb wie eine Verzweiflungstat, weil das Gros der russischen Randalierer weitgehend nüchtern losprügelte.

Kein einziger Russe festgenommen

Kurz vor dem Turnierbeginn hatte Jacques Lambert, der Chef des Organisationskomitees, von der tollen Zusammenarbeit aller Sicherheitsbehörden geschwärmt. Alles, aber wirklich alles sei getan worden, um Terroristen den Zugang zum Fußballfest zu verwehren, sagte Lambert. Es wurde viel Geld in die Hand genommen, um so viele Polizisten wie noch nie bei einer Fußball-EM einsetzen zu können.

Über einen Terroranschlag redet tatsächlich niemand mehr, trotzdem wurden schon am dritten Turniertag die Sicherheitskontingente in den Stadien aufgestockt. Mit dem Ergebnis, dass sich der Kroate Modric bei der ersten Gelegenheit von einem Fan abknutschen lassen musste. Immerhin griff vor dem Prinzenpark-Stadion das modifizierte Konzept: Als Handgemenge zwischen Franzosen und Türken begannen, schritt die Polizei sofort ein.

Davon konnte in Marseille keine Rede sein. Für Empörung sorgte am Montag die Meldung, dass nicht einer der rund 200 russischen Randalierer dingfest gemacht werden konnte. Dafür werden nun sechs Briten, drei Franzosen und ein Österreicher vor ein Schnellgericht gestellt. Zwei der sechs Briten wurden zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt.

Während ein schwer verletzter Engländer noch immer um sein Leben kämpft, tobt hinter den Kulissen der Kampf um die Deutungshoheit: Witali Mutko, Russlands Sportminister, empfindet die Darstellung der Ausschreitungen als überzogen. Der englische Fandachverband sah sich sogar genötigt, eine Pressemitteilung herauszugeben. Sie seien Opfer von "organisierten, brutalen und rücksichtslosen Attacken" geworden, heißt es da: "Natürlich sind nicht alle englischen Fans Engel. Aber die allermeisten waren nach Marseille gekommen, um ein friedliches Fest zu feiern." Vor allem die Polizei wurde als Schuldiger identifiziert: "Sie haben es so weit kommen lassen."

Die nächste Bewährungsprobe erhalten die Sicherheitskräfte in der Hafenstadt schon am Mittwoch. Dann trifft Gastgeber Frankreich auf Albanien, auch hier werden Auseinandersetzungen befürchtet. Eine Woche später steigt dann das als Risikospiel eingestufte Duell zwischen Polen und der Ukraine im Stade Velodrome. Ein parallel stattfindendes Musik-Festival wurde sicherheitshalber verlegt. Bis Marseilles Polizisten durchschnaufen können, wird es noch eine Weile dauern.

Quelle : welt.de

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