"Er hatte überhaupt kein Bewusstsein für die Gefährlichkeit des Wassers", schildert Frank Villmow von der DLRG Berlin die verstörende Szene aus dem vergangenen Jahr. "Der kannte Wasser wohl nur aus Plastikflaschen." Er meint das nicht böse, Villmow ist eher entsetzt. "Bei den meisten Flüchtlingen fehlt das Verständnis für die Gefährlichkeit von Gewässern vollständig", sagt er.
Im Mai 2016 wiederholt sich die Geschichte – dieses Mal mit tödlichem Ausgang. Ein junger Syrer springt im sachsen-anhaltischen Schönebeck in die Elbe und treibt sofort ab. Laut Zeugen will ihm sein Freund helfen und hechtet wagemutig hinterher.
Einige Tage später entdecken Polizisten die Leiche des einen, Spaziergänger die Leiche des anderen Flüchtlings. Beide waren in der nahe gelegen Gemeinschaftsunterkunft Schönebeck-Frohse untergebracht. Dass man in der aufgrund starker Strömungen tückischen Elbe bestenfalls als gut trainierter Schwimmer baden sollte, dafür fehlte den 22 und 32 Jahre alten Männern offenbar das Gespür.
Ebenfalls ums Leben kommen im Juni zwei 17-jährige Flüchtlinge in Hamburg – und zwar an zwei Tagen hintereinander. Beide sterben im See im Stadtteil Allermöhe.
Experten erwarten deutlich mehr Unglücksfälle
Solche Fälle zeigen: An Deutschlands Badeseen und Flüssen, an Ost- und Nordsee droht ein tödlicher Sommer. Betroffen sind vor allem Flüchtlinge; viele von ihnen können weder schwimmen noch die Gefahren von Gewässern einschätzen. Allein an den ersten warmen Tagen dieses Jahres sind laut Schätzungen des DLRG Berlin bereits etwa 20 Flüchtlinge ertrunken.
Die ehrenamtliche Hilfstruppe verlässt sich bei der Erfassung von Unglücksfällen vor allem auf Meldungen aus den Medien, die entsprechend ausgewertet werden. Vermutlich liegt die Dunkelziffer höher. Betroffen ist bislang vor allem der Nordosten des Landes, weil es dort am längsten sonnig war. Wie viele tote Flüchtlinge werden es am Ende dieses Sommers sein?
"Wir rechnen mit deutlich mehr Unglücksfällen als vergangenes Jahr", sagt DLRG-Sprecher Martin Holzhause. Dabei waren die Zahlen bereits 2015 alarmierend. 27 Flüchtlinge kamen laut der Organisation bei Badeunfällen ums Leben; insgesamt gab es deutschlandweit 488 Tote. Im Vergleich zu 2014 stieg die Zahl der Badetoten um 96 Prozent (25 Prozent). Flüchtlinge gelten DLRG-intern inzwischen als "besondere Risikogruppe".
Warnhinweise in 25 Sprachen übersetzt
Das ist auch berechtigt, denn setzt man die Anzahl der geflüchteten Verunglückten ins Verhältnis zu den Badetoten insgesamt, ergibt sich tatsächlich ein dramatisches Bild. Zwischen fünf und sechs Prozent aller Badetoten sind demnach Flüchtlinge – obwohl sie nur zwischen ein und zwei Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen; sofern man von etwa 1,5 Millionen Flüchtlingen ausgeht, die sich in Deutschland aufhalten. Genaue Zahlen gibt es bekanntlich nicht.
Die DLRG steuert nun mit aller Kraft gegen einen Anstieg der Totenzahlen. Gefahrenhinweise für Badende wurden in 25 Sprachen übersetzt, damit sie wirklich jeder Flüchtling lesen kann. Für Analphabeten soll es spezielle Piktogramme geben. Die Gefahrenhinweise können von der DLRG-Website heruntergeladen werden; zum Teil werden sie auch direkt an Gemeinden und Flüchtlingsunterkünfte verschickt. Allerdings mit zweifelhaftem Erfolg.
"Was dann geschieht, entzieht sich unserem Einfluss", erklärt der Berliner DLRG-Mann Villmow. "Ich weiß nicht, ob in den Gemeinden schon das Bewusstsein für die Gefahr vorhanden ist." Den Schwimmunterricht für Flüchtlinge, den die DLRG im Berliner Bezirk Spandau organisierte, empfand er als frustrierend. Es fehlte an Kontinuität: Als eines der örtlichen Flüchtlingsheime schloss, verschwanden auch plötzlich alle Schüler.
"Flüchtlinge überschätzen sich total"
Deutlicher hatte kürzlich Deutschlands Bäderchef Berthold Schmitt die Probleme in einem Interview mit der "Welt" beschrieben. "Die Rettungsschwimmer und Schwimmmeister in den Bädern waren noch nie so oft im Wasser wie in den vergangenen Monaten, um den Gästen zu helfen. Es waren nicht alle kurz vorm Ertrinken, aber sie brauchten Hilfe, um an den Beckenrand zu kommen", lautete Schmitts alarmierende Bestandsaufnahme.
"Da kommen Hünen von Männern, wie Mitarbeiter erzählen, und gehen zum Beckenrand. Sie sehen den Beckenboden und denken, sie könnten darin stehen, und springen rein. Zwei Sekunden später springen meine Mitarbeiter hinterher. Das ist ein ganz markantes Thema, weil sich die Flüchtlinge komplett überschätzen", sagte Schmitt.
Die Politik reagiert auf diese Situation nur zögerlich. "Spezielle Maßnahmen zum Erlernen des Schwimmens sind für Flüchtlinge und Asylsuchende bisher nicht geplant", heißt es etwa in Berlin aus der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft. Immerhin ist für geflüchtete Schüler der Schwimmunterricht spätestens Pflicht, wenn sie von den Willkommensklassen in die Regelklassen wechseln. Ausgenommen seien Kinder, die infolge der Flucht traumatische Erlebnisse mit Wasser hatten.
Auch in Hamburg richtet sich das Augenmerk vor allem auf Kinder. Dort gibt es Schwimmunterricht in den Klassen drei und vier. Ältere Flüchtlinge erhalten Gutscheine für Unterricht in Hamburger Schwimmbädern. Verpflichtend ist das nicht. Nur ein Viertel nimmt die Gutscheine überhaupt entgegen. Wie und ob sie genutzt werden, darüber gibt es keine gesicherten Erkenntnisse.
Quelle : welt.de
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