Rundreise Aserbaidschan: Ein Land zwischen Aufbruch und Stillstand

  21 Juni 2016    Gelesen: 2392
Rundreise Aserbaidschan: Ein Land zwischen Aufbruch und Stillstand
Aserbaidschan ist kein gewöhnliches Urlaubsziel. Wer sich dennoch für eine Rundreise Aserbaidschan entscheidet, den erwartet ein Land, das hin und hergerissen scheint zwischen Orient und Okzident, Tradition und Moderne. Der Reisende trifft auf eine pulsierende Hauptstadt, aber auch auf einsame Bergdörfer mitten im Nirgendwo des Kaukasus. Ein Besuch in einem Land, das seine Zukunft zwischen Europa und Asien noch nicht so richtig gefunden zu haben scheint.



Ankunft in Baku um 18:40 Uhr Ortszeit. Die Sonne steht rot glühend am Horizont und macht sich an, die Nacht einzuläuten. Die Jugend sitzt entlang palmengesäumter Boulevards unweit der UNESCO-geschützten Altstadt und gönnt sich abwechselnd einen Zug von der Wasserpfeife und einen Schluck Tanquaray-Tonic. Riesige Werbereklamen blinken an bläulich-silber verspiegelten Glasfassaden, US-amerikanischer Hip-Hop dröhnt aus deutschen Luxuskarosserien und die berühmten Flame Towers flackern verheißungsvoll in LED über der Stadt.



Der erste Eindruck der 2,1 Millionenstadt lässt schon erahnen, was sich im Tageslicht des nächsten Morgens schnell bestätigt: Baku ist im Heute längst angekommen. Die Metropole an der Küste des Kaspischen Meeres strotzt nur so vor Statussymbolen der Neuzeit und architektonisch gewagten Neubauten wie dem Heydar Aliyev Center nach dem Entwurf der jüngst verstorbenen irakisch-britischen Stararchitektin Zaha Hadid.



Das Land des Feuers, ein Name, der auf die vielen brennenden Erdgasquellen der Region zurückgeht, hat einen rasanten Aufstieg hinter sich, den es vor allem eben jenem Energierohstoff zu verdanken hat.
Aserbaidschan rückt dabei immer näher an Europa heran. Das liegt zum einen an der Hauptstadt, die sich mit einer Reihe von Großevents schon mehrfach ins europäische Rampenlicht gestellt hat. Wie zum Beispiel mit den Olympischen Europaspielen in 2015 und dem Eurovision Song Contest, der die Schwedin Loreen im Jahr 2012 berühmt und Baku als moderne Metropole in ganz Vorderasien bekannt machte.



Zum anderen aber kann die Stadt stolz sein auf eine junge, aufstrebende Oberschicht mit einem Drang zu innovativen Start-Ups, Design-Boutiquen und quirligen Co-Working-Spaces. Geschäftsideen, die etwas abweichen von der eigentlich so traditionsbewussten Norm und doch vom autoritären Regime toleriert und oder sogar befürwortet werden, während andere Berufsgruppen, wie zum Beispiel Journalisten unter Staatspräsident Ilham Aliyev, Sohn des großen Heydar Aliyev, wenig zu lachen haben. Immer noch wird kritische Meinungsäußerung unterdrückt. Auch der modernste und demokratischste Lebensstil scheint in Aserbaidschan seine Grenzen zu haben.



Dass sich das Land aber auch von einer ganz anderen Seite zeigen kann, ist eine Erkenntnis, für die man nicht weit herausfahren muss aus der glitzernden Hauptstadt. Kaum hat man die ewigen Staulawinen Bakus hinter sich gebracht, wird es ruhig im Hinterland. Aus modernen Highways werden Schotterstraßen, aus glitzernden Skyscrapern verfallene Reihenhäuser.





Unsere Rundreise Aserbaidschan führt uns in die Region Quba, knapp drei Autofahrstunden nördlich von Baku. Hier sind die Straßen nicht gesäumt von neuen Toyota, Mercedes und BMW, sondern von alten Lada BA3, oft so liebevoll in Schuss gehalten, dass so mancher Sammler in Deutschland vor Neid erblassen würde. Alte Männer vertreiben sich auf winzigen Hockern sitzend mit Backgammon den Tag und lassen ihre ohnehin schon runzligen Gesichter etwas von der Sonne gerben. Hier ist die Welt noch in Ordnung.



Erstaunlich ist, dass in der Republik Aserbaidschan, einem Land, das zu 98 Prozent muslimisch geprägt ist, religiöse Minderheiten sehr wohl toleriert werden. Ein Musterbeispiel ist der „Rote Siedlung“ genannte Bezirk Krasnaja Sloboda, eine jüdische Gemeinde mitten im Rayon Quba. Hier leben etwa 4000 Bergjuden überaus friedlich neben ihren muslimischen Nachbarn. Synagogen reihen sich an Moscheen, jüdische Bäcker verkaufen zu den Gebetsrufen des Muezzins ihre duftenden Brote. Es gibt sogar eine schiitische Moschee, die früher mal eine christliche Kirche war. Sachen gibt’s, die hätte man hier vielleicht eher nicht erwartet.



Unsere Fahrt geht weiter. Und höher. Nämlich mitten hinein ins Herz des wilden Kaukasus. Schnell lassen wir Quba hinter und bald reiht sich ein Hügel an den anderen. Der Puls geht runter und es setzt eine angenehme Stille ein, nur ab und an zerrissen vom Dröhnen unseres Minibusses, der sich die ersten Serpentinen herauf quält. Mit jedem Meter, so scheint es, wird die Luft dünner und die Straßen schlechter. Das Handynetz hat schon an der Stadtgrenze den Geist aufgeben.



Rundreise Aserbaidschan: Xinaliq, ein vergessenes Dorf, in einem Land, das schon heute im Morgen leben will.

Stunden später sind wir in Xinaliq angekommen, mitten im großen Kaukasus-Gebirge, das Russland und den Südkaukasus teilt. Das Bergdorf am Rande des 4.243 Meter hohen Sahdag-Massivs gilt als höchstgelegenes Dorf in Aserbaidschan. Mit Sicherheit allerdings ist es das abgelegenste und isolierteste von allen, daran bleibt schon auf den ersten Blick kein Zweifel. Unwirklich grüne Täler wechseln sich ab mit schroffen Bergmassiven und Hügeln so sanft beigefarben, als seien sie von Caspar David Friedrich höchstpersönlich in die Landschaft gepinselt worden. Fast neigt man dazu sich die Augen zu reiben bei jedem neuen Anblick, der sich vor einem entfaltet, so unnatürlich natürlich wirkt Xinanliq.



Und dann, terrassenförmig an einen steilen Berghang gestapelt wie Puppenhäuser: die rund 380 Lehm-Behausungen der 2000 Einwohner, meist in Handarbeit Stein auf Stein gesetzt, so dass man durch die Lücken dazwischen in die Häuser hineinluken kann.



Zwischendrin umher tollende Hunde, die Asphalt nie kennengelernt haben. Man entdeckt Bäuerinnen, die vor dem Haus und den Augen ihrer Kinder Tiere schlachten. Kinder, die die angekommenen Städter anschauen mit Blicken, die größer, neugieriger und tiefer nicht sein könnten. Aus Augen, die sagen, dass sie so etwas wie einen Fotoapparat wohl noch nie zuvor gesehen haben.



Xinaliq wirkt ein wenig wie ein vergessenes Dorf, einer kleinen Oase des einfachen Lebens in einem Aserbaidschan, das lieber schon heute im Morgen leben würde.



Wenn es dunkel wird in Xinaliq, dann beginnt das eigentliche Schauspiel und die Natur macht sich zu ungeahnten Höhenflügen auf. Im Minutentakt ändert sich die Farbe der Berge und Täler, der Felder und Wiesen, von Gelb zu Orange zu Tiefrot, bis die Nacht mit einem funkelnden Sternenhimmel eingeläutet wird, so klar, wie er nur selten zu sehen ist in Europa – und man nichts weiter hört, als das Heulen der Hunde und zetern der Hühner im Stall. Gute Nacht Xinaliq!



Am nächsten Morgen geht es zügig zurück nach Baku. Denn am letzten Tag der Reise steht ein besonderes Highlight bevor: Wir möchten uns die Zukunft vorhersagen lassen – von einer echten Wahrsagerin, die unserer Dolmetscher persönlich kontaktiert und nach Baku gebeten hat. Eigentlich geht sie ihrer Berufung, so erklärt sie später selbst ihre besondere Gabe, nämlich ganz woanders nach: unter dem Feigenbaum am Berg Beshbarmag, dem Fünffingerberg.



Die Ernüchterung setzt allerdings schon beim Aufeinandertreffen ein: Wer eine mystische Frau mit Glasauge, dicker Warze und Kristallkugel erwartet hat, liegt völlig falsch. Wir treffen eine kleine, rüstige Dame im gestreiften Kleid, mit weiß glitzerndem Tuch auf dem Kopf und einem stetigen, zufriedenen Grinsen im Gesicht. Zumindest ihre eigene Zukunft scheint also ziemlich rosig zu sein.



Zur Begrüßung drückt sie jedem einen dicken Schmatzer auf die Wange. Und schon geht es los. Nacheinander setzen wir uns zu ihr auf die Bank und lassen uns die Zukunft voraussagen. Dazu liest sie uns allerdings nicht aus der Hand, sondern stellt lediglich ein paar persönliche Fragen: Du bist erfolgreich im Job, oder? Hast du Rückenschmerzen? Hast du eine Scheidung hinter dir? Bist du nicht als Kind beinahe ertrunken?

Während der Dolmetscher kaum mit dem Übersetzen hinterherkommt, macht sich bald ein mulmiges Gefühl in der Reisegruppe breit. Denn mit dem meisten hat die alte Frau tatsächlich Recht. Aber woher weiß sie das alles? Unsere Gegenfrage bleibt unbeantwortet. Und so verschwindet die Wahrsagerin bald so, wie sie gekommen ist: Liebevoll grinsend in der Metrostation im glitzernden Baku.

Quelle:anekdotique

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