Brexit und Finanzmärkte: Zittern vor dem Pfund-Crash

  23 Juni 2016    Gelesen: 422
Brexit und Finanzmärkte: Zittern vor dem Pfund-Crash
Die Briten stimmen ab - und die ganze Finanzwelt hält den Atem an. Ein Votum für den EU-Austritt könnte die Märkte in heftige Turbulenzen stürzen.

Es ist eine angespannte Ruhe, die derzeit über der Finanzwelt liegt. Wie vor einem Hurrikan, von dem man nicht weiß, ob er wirklich kommt, wo genau er zuschlagen wird und wie schlimm die Verwüstungen sein werden, die er anrichtet.


An diesem Donnerstag stimmen die Bürger Großbritanniens darüber ab, ob sie die EU verlassen wollen. Für große Teile der Wirtschaft wäre ein Austritt ein Horrorszenario - mit unabsehbaren Folgen, vor allem für den Finanzplatz London.

Die meisten Anleger hoffen darauf, dass es noch mal irgendwie gutgehen wird. Sie haben sich positioniert: Die Briten bleiben drin. Ob in London, Frankfurt oder Paris - überall stiegen die Aktienkurse in den vergangenen Tagen. Das Pfund kletterte am Morgen des Wahltags gar auf ein Jahreshoch zum Dollar. Doch was, wenn die Optimisten sich irren? Wie schlimm würde der Tag nach einem Austrittsvotum?

An Warnungen mangelt es nicht. Ob Internationaler Währungsfonds oder US-Notenbank Fed: Fast jeder, dessen Meinung in der Finanzwelt etwas zählt, hat zuletzt die schweren wirtschaftlichen Folgen eines Brexits verdeutlicht: Weniger Handel, weniger Investitionen, weniger Wachstum.

Soros warnt vor einem "schwarzen Freitag"

Das alles wären zwar mittel- und langfristige Folgen, doch an den Börsen könnten sie schon sehr schnell durchschlagen. Schließlich werden dort die Erwartungen an die Zukunft gehandelt.

Die EU riskiere einen "schwarzen Freitag", warnte die 85-jährige Investorenlegende Georgs Soros Anfang der Woche im "Guardian". Anleger könnten panikartig aus dem britischen Pfund fliehen. Der Wechselkurs gegenüber dem Dollar würde um mindestens 15 Prozent fallen, "möglicherweise um mehr als 20 Prozent". Anschließend würde es den aufgepumpten Immobilienmarkt treffen, schrieb Soros. Der Mann kennt sich aus mit Währungskrisen: Er selbst war es, der 1992 mit einer Spekulationsattacke dafür sorgte, dass das britische Pfund 15 Prozent abwertete und aus dem europäischen Währungssystem ausscheiden musste.

Auch an den europäischen Aktienmärkten dürfte ein Austrittsvotum für heftige Turbulenzen sorgen. "Im Falle eines Brexit erwarten wir starke Marktverwerfungen, die sich kaskadenartig über Europa hinaus ausbreiten könnten", sagt Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland beim weltgrößten Vermögensverwalter Blackrock. "In einem ersten Schritt wäre ein Abverkauf bei britischen Aktien zu erwarten auch deutsche und europäische Aktien könnten um fünf Prozent und mehr fallen." In einer zweiten Stufe rechnet Lück damit, dass auch große Investoren aus Übersee europäische Titel verkaufen. Die Effekte könnten dann noch verstärkt werden.

Statt in Aktien dürften die Anleger ihr Geld dann in Investments stecken, die als krisensicher gelten. Dazu zählen neben Gold vor allem amerikanische und auch deutsche Staatsanleihen. Die waren wegen der allgemeinen Unsicherheit schon in den vergangenen Wochen sehr gefragt - obwohl sie mittlerweile gar keine Zinsen mehr bringen.

Was solch heftige Bewegungen an den Finanzmärkten bedeuten können, haben frühere Krisen gezeigt: Etwa im Herbst 2008, als die US-Investmentbank Lehman Brothers kollabierte und die Finanzwelt ins Chaos riss. Damals hatte niemand mit den heftigen Kettenreaktionen gerechnet, die die Bankpleite auslöste. Der Geldhandel zwischen den Finanzinstituten fror plötzlich ein. Die Notenbanken mussten Billionen von Dollar in die Märkte pumpen, um einen Komplettzusammenbruch zu verhindern.

So schlimm dürfte es diesmal nicht kommen. Zwar kann es auch diesmal zu Kettenreaktionen kommen, wenn etwa der Immobilienmarkt einbricht oder Derivate in den Bilanzen der Banken rapide an Wert verlieren. Doch immerhin konnten sich diesmal alle Marktteilnehmer darauf vorbereiten. "Jeder Bankmanager sollte wissen, ob er am Freitag Geld braucht oder nicht", sagt ein Frankfurter Finanzinsider. Außerdem steht den Banken nach acht Jahren Krisenpolitik mittlerweile ohnehin fast unbegrenzt Geld zur Verfügung: Die Europäische Zentralbank etwa verleiht es täglich zum Nullzins.

Dennoch ist die Nervosität gerade bei den Banken hoch. "Die Tage rund um das Referendum werden für die Kapitalmärkte ein Härtetest", sagte Deutsche-Bank-Chef John Cryan Anfang der Woche bei einer Veranstaltung in Berlin.

Die großen Finanzinstitute haben die Zahl ihrer Händler aufgestockt, um jederzeit auf Kursentwicklungen reagieren zu können. Häuser wie die Schweizer UBS und die niederländische ING warnten ihre Kunden, dass es im Kapitalmarktgeschäft wegen enormer Kursschwankungen und knapper Liquidität zu Problemen bei der Ausführung von Aufträgen kommen könnte. Britische Banken wurden von der Notenbank dazu angehalten, ausreichend Bargeld vorzuhalten, falls verängstigte Kunden ihre Konten plündern sollten.

Auch die Investmentfonds des Landes horten schon seit Wochen vermehrt Bares, um im Falle eines Austrittsvotums dafür gewappnet zu sein, dass Investoren in großem Stil ihr Geld aus dem Land abziehen.

Die größte Gefahr dürfte dabei ausgerechnet von den Optimisten ausgehen, die schon seit Tagen auf steigende Kurse wetten. Sobald sie merken, dass sie sich verzockt haben, müssen sie radikal umsteuern. Das kann nicht nur turbulent werden, sondern auch für alle sehr teuer.

Quelle: spiegel.de


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